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Buchkritik: «Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien»

Mit Handgranaten zur Streikbekämpfung

19. März 2015 | Kaum war Italien befreit und der Krieg zu Ende, begann schon wieder der Kampf gegen den Faschismus. Eine Reise durch die Geschichte der italienischen Linken – mit einem multimedialen Band.

Cover des Buchs «Bürgerkrieg und Klassenkampf»Es geschah am 7. Juli 1960. Wochenlang befanden sich Italiens AntifaschistInnen in heller Aufruhr: In Rom amtierte ab März 1960 die christdemokratische Minderheitsregierung von Fernando Tambroni – und die liess sich vom Movimento Sociale Italiano (MSI), der faschistischen Partei, tolerieren. Gerade mal fünfzehn Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Nationalsozialismus spielte der MSI wieder eine Rolle in der italienischen Politik. Das konnten und das wollten die italienische Linke und vor allem die ehemaligen PartisanInnen nicht zulassen.

Schon vor dem 7. Juli war es in Genua zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen: Ausgerechnet die Industrie- und Hafenstadt mit ihrer Widerstandstradition hatte der MSI als Veranstaltungsort eines Parteitag ausgewählt, eine klare Provokation. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung reagierte umgehend: Hafenarbeiter legten die Arbeit nieder, Jugendliche organisierten Märsche, ein Generalstreik brachte die Stadt zum Stillstand und am 30. Juni – der Parteitag sollte am 2. Juli beginnen – zogen Hunderttausend durch Genuas Strassen. Die Behörden schickten schwer bewaffnete Polizisten vor, Reiterstaffeln galoppierten mit gezückten Degen in die Menge. Doch die Jugendlichen und ArbeiterInnen hielten stand; sie warfen mit Tischen, Stühlen und Steinen, aus den oberen Stockwerken flogen sogar Bettgestelle auf die Ordnungskräfte; die Staatsgewalt wurde in erbitterten Strassenkämpfen zurückgedrängt.

Fünf Tote

In den nächsten Tagen – in Genua herrschte Waffenstillstand, der Parteitag war abgesagt, doch Tambroni regierte weiter mit Hilfe des MSI – kam es in anderen Städten Italiens ebenfalls zu Streiks und (nach Polizeieinsätzen) zu Strassenschlachten. Auch in Reggio Emilia, der Hochburg der italienischen Kooperativenbewegung, besuchten am Nachmittag des 7. Juli rund 20000 DemonstrantInnen eine antifaschistische Kundgebung auf der Piazza della Libertà.

Diesmal allerdings war der von Altfaschisten kommandierten Polizei aus Rom befohlen worden, den Menschen eine Lektion zu erteilen: Sie warfen Gas- und Rauchbomben, dann fielen Schüsse. Fünf Arbeiter, darunter zwei frühere Partisanen, starben im Kugelhagel der Polizisten und Carabinieri. Es folgten ein Generalstreik und weitere Auseinandersetzungen; in Palermo wurden dabei drei Arbeiter und eine Frau erschossen. Den Aufschrei überlebte die Regierung Tambroni nicht; sie trat am 19. Juli zurück.

Neues altes Italien

Diese Ereignisse – und die Stimmung, die in den fünfziger und sechziger Jahren herrschte – beschreiben und zeigen die AutorInnen und RegisseurInnen des Text-, Bild- und Filmbands «Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien 1» auf beeindruckende Weise. Sie schildern anschaulich, wie nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ende mit der Hoffnung auf einen Neubeginn gefeiert worden war, ein neuer Krieg begann. Wie die alten Schergen schnell an die Macht zurückkehrten und die Repressionsapparate kontrollierten, wie wieder gefoltert wurde und Grossgrundbesitzer und Unternehmer etwa bei Streiks stets auf die Polizei zurückgreifen konnten, die oft mit Maschinengewehren und drei Handgranaten pro Mann anrückte. Bis Juli 1960 starben bei sozialen Konflikten insgesamt 95 Menschen.

Das Buch zeichnet die damaligen Geschehnisse und Entwicklungen detailliert nach – und geht weit darüber hinaus. So erläutert der Historiker Cesare Bermani, wer die Proteste prägte: Es waren vor allem die jungen MigrantInnen aus dem armen italienischen Süden, die in die norditalienischen Industriestädte geströmt waren, wo sie auf die älteren antifaschistischen WiderstandskämpferInnen trafen und zunehmend auch auf Studierende, die sich zu wehren begannen. Gemeinsam entwickelten diese unterschiedlichen Gruppierungen eine neue Protestkultur und trieben die betulichen linken Partei- und Gewerkschaftsspitzen vor sich her.

Sergio Bologna wiederum, Mitbegründer der Zeitschrift «Classe Operaia» und Autor der Zeitung «Lotta Continua», beschreibt in einem Aufsatz die Geschichte und Theorie des Operaismus, eine der interessantesten linken Bewegungen überhaupt – weil die OperaistInnen in den Lohnabhängigen selber die treibende Kraft sahen und sie (anders als die traditionellen linken Führungen) nicht nur dann mobilisierten, wenn es ihnen passte. Sie spielten in den Kämpfen Ende der sechziger und in den siebziger Jahren, bei den grossen Streiks und Fabrikbesetzungen in Mailand und Turin, eine gewichtige Rolle.

Demnächst erscheint der zweite Band von «Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien»; wieder mit vielen Dokumentarfilmen (darunter von Pier Paolo Pasolini) und wieder in der exzellenten «Bibliothek des Widerstands» des Laika-Verlags. (pw)