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Italien: Die Kooperativen von Reggio Emilia

Der Flug der Hornissen

23. Dezember 2010 | Kaum irgendwo sonst sind so viele Genossenschaften so gut vernetzt wie in Norditalien, und wohl nirgendwo ist die Kultur des kollektiven Wirtschaftens so ausgeprägt wie zwischen Po und Apennin. Eine Rundreise durchs Land der Alternativökonomie.

Da stand er nun und musste sehen, wie er weiterkam. Achtzehn Monate lang hatte er in den Bergen gegen italienische Faschisten und die deutsche Naziwehrmacht gekämpft, hatte Hunger gelitten und mit seiner Sabotageeinheit zahllose Brücken gesprengt. Aber was jetzt, nach der deutsch-italienischen Kapitulation im Frühling 1945? In die grosse Rüstungsfabrik Reggiane, wo er vorher gearbeitet hatte, konnte und wollte er nicht mehr zurück. «Die meisten Partisanen haben nach dem Krieg ihre alte Arbeit wiederaufgenommen», erinnert sich Fernando Cavazzini. «Aber ich bin weiter ein Partigiano geblieben, ein Parteigänger für eine bessere Gesellschaft.»

So kam der heute 87-Jährige auf die Idee, mit ein paar Bauarbeitern eine Kooperative zu gründen. Sie hätten sich an die Gewerkschaft und den damaligen Genossenschaftsverband gewandt, erzählt Cavazzini im Istoreco, dem Geschichtsinstitut des Partisanenverbands Anpi (vgl. den Text «Das Gedächtnis der Resistenza» unten). «Die haben uns nur ausgelacht», erinnert er sich, «und gesagt: Das schafft ihr nie!» Nach dem Krieg war die lokale Ökonomie zusammengebrochen, die Reggiane hatte Tausende entlassen, die Arbeitslosigkeit stieg steil an. «Uns wenigen Partisanen ist es gelungen, die Deutschen aufzuhalten», habe er sich gedacht, «dann werden wir auch das schaffen.» Cavazzini behielt recht. Sein Maurerkollektiv Rinascente setzte sich durch, investierte viel in die Weiterbildung, entwickelte neue Maschinen (die Patente bekam eine Baugerätekooperative, die ehemalige Partisanen gegründet hatten) und zählte 1979, als er in Rente ging, 670 Mitglieder – 600 ArbeiterInnen und 70 Angestellte.

Genauso stolz wie auf den geschäftlichen Erfolg ist Cavazzini auf die Entwicklungsarbeit, die die GenossInnen leisteten: «Wir wollten ja den Gedanken einer solidarischen Ökonomie weitertragen.» Über Jahre hinweg reiste der Rinascente-Geschäftsführer wöchentlich in die Toskana, wo er mit Rat und manchmal auch einem Kredit seiner Kooperative die Gründung von Genossenschaften unterstützte. Und seine Ferien verbrachte er auf Sizilien, wo dank seiner Hilfe die Baukooperative La Proletaria und andere Kollektive entstanden. Die Vernetzung sei dabei wichtig gewesen, erzählt er – und kann sich noch gut daran erinnern, wie ihm einmal Mitglieder einer Transportgenossenschaft von den vielen Leerfahrten berichteten: «Die karrten Obst aus Sizilien in die Emilia Romagna und fuhren mit leeren Lastern zurück. Da habe ich ihnen den Kontakt zu einer Backmaterialfirma hier und zu La Proletaria in Ragusa vermittelt.»

Wer kollektiv wirtschaften wolle, müsse stets über den Tellerrand des eigenen Kollektivs hinausschauen, sagt der alte Partisan. Davon ist auch Ildo Cigarini überzeugt, der mit seinen Lackschuhen und seiner ordentlich-gelierten Frisur ganz anders daherkommt als der einfach gekleidete Cavazzini, der immer noch auf einem alten Velo durch Reggio radelt. «In der Provinz Reggio Emilia mit ihrer halben Million Einwohner gibt es keine Familie, in der nicht mindestens eine Person einer Kooperative angehört», sagt der Präsident der regionalen Kooperativenvereinigung Legacoop in ihrem neuen Hauptquartier. Rund 200 000 Mitglieder hätten die 214 Legacoop-Genossenschaften allein in dieser Provinz, sagt Cigarini, «dazu kommen noch die Genossenschafter jener Kooperativen, die uns nicht angeschlossen sind».

Dreissig Prozent der Wertschöpfung

Viele seien bloss Mitglied in Konsumgenossenschaften wie Coop und Conad, «aber 39 000 arbeiten in Kooperativen, die ihnen gehören». Sie wählen ihre Vorstände und Geschäftsführungen, fassen auf Vollversammlungen die wichtigsten Beschlüsse, bestimmen über die Höhe der Einlagen und entscheiden über Gewinnausschüttungen. Es sind Theater- und Kulturinitiativen, Architekten- und Ingenieurskollektive, Speditions- und Carfirmen, Übersetzungsdienste, Fitnessstudios, Restaurantketten wie die Cooperativa Italiana Ristorazione (mit 8000 GenossenschafterInnen), IT-Unternehmen, Landmaschinenhersteller, Reinigungs- und Wachdienste wie Coopservice (mit 14 000 GenossenschafterInnen) oder hochdiversifizierte Kooperativen wie CCPL, deren 1800 BesitzerInnen im Energie-, Baustoff- und Verpackungsgewerbe arbeiten. Dazu kommen selbstverwaltete Bauunternehmen wie Coopsette mit rund 600 GenossInnen, Unieco mit einer neuen Zentrale direkt neben dem Legacoop-Hauptquartier und Orion, wie Cavazzinis Genossenschaft nach mehreren Fusionen mittlerweile heisst.

Sie alle haben ihren Sitz in der Provinz Reggio Emilia, auch wenn viele von ihnen längst national und international operieren. Sie erwirtschaften etwa dreissig Prozent des regionalen Sozialprodukts und sind mit einer Eigenkapitalsumme – in Form von Genossenschaftsanteilen und Darlehen ihrer Mitglieder – in Höhe von 2,4 Milliarden Euro finanziell robust. Sie können Krisen wie den derzeitigen Wirtschaftseinbruch überstehen (Cigarini: «In den letzten zwei Jahren baute die Privatwirtschaft in der Provinz Tausende von Arbeitsplätzen ab, die Genossenschaften aber haben niemanden entlassen.»). Und sie verfügen über eine hohe Lebenserwartung.

«In manchen Kooperativen wirtschaften die Enkel und Urenkel mit dem Geld, das frühere Generationen zurückgelegt haben», erläutert Cigarini – und erzählt von den vielen Jubiläen. «Während im privatwirtschaftlichen Bereich viele Firmen nur ein paar Jahre überleben, weil die Patrons die Gewinne einsacken und kaum investieren, hat kürzlich eine Wohnungsbaugenossenschaft ihren 100. Geburtstag gefeiert.» Zwei weitere Kooperativen konnten 2010 sogar ihren 120. Jahrestag begehen: die 1890 von Schreinern gegründete Cormo Società Cooperativa, die ihre Fenster und Türen mittlerweile international verkauft. Und die aus einem Malerkollektiv hervorgegangene Tecton Coop, Marktführerin bei der Restaurierung alter Kirchen und Paläste.

Ivano Barberini habe vor seinem Tod im letzten Jahr ein sehr schönes Buch verfasst, erzählt Ildo Cigarini: «Der Flug der Hornisse». In ihm vergleiche der frühere Präsident des italienischen und des internationalen Genossenschaftsverbands die Kooperativen mit dem Insekt: «Sie sind aufgrund ihrer Prinzipien schwer wie der Körper einer Hornisse, haben nur kurze Flügel und können doch fliegen.» Barberini habe sich, so Cigarini, zeit seines Lebens mit der Frage beschäftigt, unter welchen Bedingungen Kooperativen in der Marktwirtschaft überleben könnten.

Früher, zu Beginn der Genossenschaftsbewegung, lautete die Frage noch anders. Damals ging es weniger um die Konkurrenzfähigkeit gemeinwirtschaftlicher Ansätze und deren Überleben im Kapitalismus. Sondern um den Umbau der Gesellschaft und die Zukunft der Arbeiterklasse. Die Kooperativenbewegung habe den Zweck, «das Volk auf ein ökonomisches, intellektuelles und moralisches Niveau zu bringen, um so die siegreiche Revolution vorzubereiten, ohne das Proletariat in ein Massaker und in die Niederlage zu führen», hiess es 1889 in der sozialistischen Zeitung «La Giustizia».

Reform und/oder Revolution waren damals die grossen Themen – und die Sicherung der Lebensgrundlagen. Innert weniger Jahrzehnte legte die Genossenschaftsbewegung einen beachtlichen Aufschwung hin; im Gebiet zwischen Po und Apennin betrat der vierte Stand mit Macht die Bühne. Die Landarbeiterinnen und Halbpächter – die anders als im italienischen Süden oder wie um Mailand nicht unmittelbar von den Grossgrundbesitzern abhängig waren, sondern auf nahe beieinanderliegenden Gehöften wirtschafteten und sich gegenseitig halfen – formierten sich zu einer sozialen und politischen Kraft. Sie gründeten Gewerkschaften, bauten gemeinsam Strassen, Bahnlinien und Dämme gegen die Hochwasser des Po, errichteten Volkshäuser mit Bibliotheken, Versammlungsräumen, Kleintheatern und Beizen und wählten Sozialisten wie den «La Giustizia»-Herausgeber Camillo Prampolini in die regionalen und nationalen Parlamente.

Noch heute ist der zentrale Altstadtplatz in der Provinzhauptstadt nach Prampolini benannt, der wie kaum ein anderer italienischer Politiker das Konzept einer alternativen Ökonomie vorantrieb. Während seiner Zeit vergesellschaftete die Stadtverwaltung von Reggio Emilia die Gas-, die Strom- und die Wasserversorgung; sie kommunalisierte Bäckereien und Schlachthöfe und gründete 1900 kommunale Apotheken, die nicht nur die Armen mit billigen Medikamenten versorgten, sondern auch selbst Arzneimittel herstellten. Noch heute erwirtschaften die Farmacie Comunali einen Überschuss, der städtischen Sozialprojekten zugute kommt.

GenossInnen und ihre Angestellten

In jener Zeit, als Genossenschaften wie Unieco und CCPL entstanden, die den Armen zu billigem Wohnraum verhalfen, schlossen sich in Reggiolo, einer Kleinstadt nordöstlich von Reggio Emilia, auch ein paar Maurer zur Cooperativa Muratori Reggiolo (CMR) zusammen. Von den früheren systemtransformierend-sozialistischen Zielen ist die 1907 gegründete CMR mittlerweile allerdings weit entfernt, wie Alberto Rebuzzi freimütig einräumt. «Natürlich halten wir an den genossenschaftlichen Grundsätzen fest», beteuert der CMR-Präsident. Die rund 230 Kollektivmitglieder bestimmen auf der jährlichen Vollversammlung den Kurs der Genossenschaft, alle haben bei den Gremienwahlen eine Stimme (egal, wie hoch ihre Einlage ist), und «an den grossen politischen Generalstreiks nehmen selbstverständlich alle teil». Aber das Geschäft habe sich im Laufe der letzten Jahrzehnte doch geändert.

So arbeitet mittlerweile rund die Hälfte der Belegschaft im Büro. Die CMR, die unter anderem ein Kieswerk betreibt, ist zum Dienstleistungsunternehmen geworden, das für seine Bauprojekte wie Fabrikhallen, Shoppingcenter oder Wohnhäuser – je nach Bedarf – LeiharbeiterInnen von anderen Firmen einsetzt. Die werden zwar ordentlich bezahlt, gehören aber nicht der Kooperative an. «Wir organisieren und planen, transportieren den Baustoff, stellen die Kranführer und die Poliers», sagt Rebuzzi. «Aber wir müssen auch auf unsere Kosten achten.» Die Konkurrenz ist gross. Und jetzt, «in der grössten Krise der Baubranche seit fünfzig Jahren, müssen wir darauf achten, dass die Arbeitsplätze unserer Mitglieder erhalten bleiben».

Ein bisschen ähnelt das CMR-Krisenkonzept dem Ansatz so manch anderer Kooperativen. Im Agrarsektor zum Beispiel gehören die meisten Kooperativen nicht den ArbeiterInnen, sondern den LieferantInnen: den Bauern und Winzerinnen. Die Weinbaugenossenschaft Riunite etwa, die in Campegine die weltweit grösste Lambrusco-Fabrik betreibt, ist im Besitz von 2600 Winzerfamilien; die 300 Önologen und Arbeiterinnen jedoch, die den Wein keltern, abfüllen, verpacken und ausliefern, sind nur angestellt. Die Kooperative hat durchweg demokratische Strukturen, wie Riunite-Präsident Corrado Casoli erläutert; aber mitbestimmen können nicht alle – auch jene WeinbäuerInnen nicht, deren Keltereien die rasch expandierende Riunite (mittlerweile die grösste Weinexporteurin Italiens) in den letzten Jahren aufgekauft hat und als normale Firmen führt. Von Ausbeutung könne jedoch keine Rede sein, versichert Casoli (eine Aussage, die ein Önologe später bestätigte). Hat es in Krisenzeiten nicht auch Lohnkürzungen gegeben? Das sei nur der Fall gewesen, antwortet der smarte Präsident, «wenn es auch den Winzern schlecht ging». Aber jetzt seien die Probleme bewältigt, denn «wir setzen auf Qualität».

Das gilt auch für die Baukooperative CMR. Im Unterschied zur Riunite hat sie jedoch immer wieder über den Tellerrand hinausgeblickt – und den Anstoss zu neuen Genossenschaften gegeben: Als ein paar Kollektivmitglieder nach Beschäftigungsmöglichkeiten für ihre behinderten Kinder suchten, schuf CMR die Sozialkooperative Il Bettolino, in der mittlerweile fünfzig Beschäftigte mit psychischen und physischen Handicaps Basilikumpflanzen züchten. Und als ein Bauherr pleiteging, verkaufte CMR nicht etwa das für ihn fertiggestellte Altersheim, sondern gründete kurzerhand eine Genossenschaft, die den Betrieb übernahm. Das Unterfangen war so erfolgreich, dass die inzwischen 400 Ärztinnen, Therapeuten, Köchinnen, Pfleger und Putzleute, allesamt GenossenschafterInnen, jetzt acht Heime führen, in denen sie sich um Alte und Kranke kümmern und ein Freizeitprogramm anbieten. Die Unterbringungskosten sind vergleichsweise gering, erläutert Tiziana Pè, Leiterin des Achtzig-Betten-Heims I Tulipani in Gonzaga, «und doch arbeitet unser Betrieb wirtschaftlich», vor allem «dank der grossen Motivation der Kollektivmitglieder». Deswegen seien die Wartelisten auch lang; eine Reihe von CMR-GenossInnen habe sich bereits angemeldet.

Ohne die zahlreichen Sozialkooperativen wären viele Menschen aufgeschmissen. Selbst im hintersten Winkel der Provinz, im Dorf Succiso, sorgt beispielsweise eine Kooperative dafür, dass ihr Bergdorf nicht ausstirbt. Hier, an den Abhängen des Apennin, betreiben die Mitglieder der Genossenschaft Valle dei Cavalieri eine Herberge, ein Besuchszentrum des Nationalparks Appennino, Landwirtschaft mit Schafzucht und Pecorino-Herstellung, ein Restaurant, einen kleinen Laden und einen Schulbus für die wenigen Kinder des Sechzig-Seelen-Orts. Sie helfen den zumeist betagten DorfbewohnerInnen beim Schneeschippen und bieten mit der Bar – in der sich im Winter nur ein paar Leute verlieren – einen sozialen Treffpunkt. Ohne das Projekt der 32 GenossenschafterInnen (viele von ihnen abgewanderte, junge DorfbewohnerInnen, die 3000 Euro Einlage zahlten) und das Engagement der hier arbeitenden Kooperativenmitglieder (Einheitslohn: 1000 Euro netto) wäre Succiso so tot wie viele andere Dörfer im Tal.

Das kleine Geldnetz …

An der Geldwirtschaft kommen jedoch auch erfolgreiche selbstverwaltete Projekte nicht vorbei. Wohin mit den Überschüssen und Rücklagen? Und woher die Kredite für krisenbedingte Durststrecken und Investitionen nehmen? Dafür gibt es gute Adressen: das grosse Consorzio Cooperativo Finanziario per lo Sviluppo (CCFS) und die kleine, durchweg basisdemokratisch strukturierte Finanzkooperative Mag6. Beide Finanzdienstleister sind genossenschaftlich organisiert, beide beziehen ihr Kapital ausschliesslich von Mitgliedern oder Mitgliedsorganisationen (und nur an diese vergeben sie Kredite), und beide behandeln alle AntragstellerInnen gleich, egal, wie gross sie sind, wie viel Geld sie eingelegt haben und wie hoch der gewünschte Kredit ist. Und doch gibt es Unterschiede.

Mag6 zum Beispiel, vor 22 Jahren von dreissig Leuten gegründet, legt grossen Wert auf den zwischenmenschlichen Umgang. «Unser Geld ist nicht dazu da, Profit und neues Geld zu erzeugen», sagt Gründungsmitglied Luca Iori in der kleinen Bibliothek der Initiative: «Wir wollen Werte schaffen und haben daher beschlossen, dass wir von den Kreditnehmern keine Sicherheiten verlangen.» Vertrauensbürgschaft statt Vermögensbürgschaft. Sein früherer Chef habe ihn ausgelacht, erzählt der ehemalige Bankangestellte - aber im Unterschied zu den kommerziellen Geldhäusern, wo Kredite oftmals platzen, habe Mag6 seit Bestehen nur einen einzigen Ausfall verkraften müssen.

Das liege, erklärt Iori, vor allem daran, dass der Verwaltungsrat in Vertretung der 1200 GenossenschafterInnen und die sechs Festangestellten mit den potenziellen KreditnehmerInnen zuerst ein persönliches Verhältnis aufbauen. «Wir wollen sie kennenlernen und haben in den letzten Jahren den Wert der Langsamkeit entdeckt», sagt er. Zudem unterstütze Mag6 nur Projekte, «die keine finanziellen Interessen verfolgen, im Gegensatz zu vielen Grossgenossenschaften weitgehend hierarchiefrei sind, Selbstverwaltung und Transparenz respektieren und sich für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse aller einsetzen».

Das funktioniert offenbar. Mag6 hat das ganze, von Mitgliedern investierte Genossenschaftskapital (2,4 Millionen Euro) an 180 politische und kulturelle Initiativen verliehen. Und das, obwohl der Zinssatz - der nur von den Betriebskosten her bestimmt ist - momentan bei 8,5 Prozent liegt. «Viele Projekte würden bei Banken bis zu vierzehn Prozent zahlen oder gar nichts kriegen», sagt Iori. «Zudem beraten und coachen wir kostenlos.» Dieser Wissenstransfer sei nicht zu unterschätzen.

… und das grosse

Während Mag6 nicht weiterwachsen will und lieber ähnliche Konzepte unterstützt, dreht das Kooperativenfinanzkonsortium für Entwicklung CCFS an einem ganz grossen Rad. Die Ursprünge des Finanzdienstleisters reichen weit zurück: Er war zuvor eine lokale Eisenbahngenossenschaft gewesen. Nach der Verstaatlichung aller Bahnen in den siebziger Jahren gründeten hundert Genossenschaften 1981 das Konsortium, das ihre Rücklagen verwaltet und im Bedarfsfall günstige Kredite bietet. Und das tut CCFS mit wachsendem Erfolg.

Präsident Ilio Patacini, der seit 1981 dabei ist, zählt im Konferenzsaal der neuen Zentrale in Reggio die wichtigsten Fakten auf: CCFS ist der einzige Finanzdienstleister dieser Art in Italien. Den 1115 Mitgliedsgenossenschaften aus dem ganzen Land steht ein Gesamtkapital von aktuell 700 Millionen Euro zur Verfügung. Da viele Geschäftsbanken dem Konsortium vertrauen, kann CCFS auf weitere 400 Millionen zugreifen. Die Differenz zwischen Spar- und Kreditzins beträgt ein Prozent: Derzeit bekommen Kooperativen für ihr eingelegtes Geld 1,5 Prozent; wer Geld braucht, zahlt 2,5 Prozent. Spekulations- und Börsengeschäfte schliesst die CCFS-Satzung aus.

Vor allem aber, und das macht das Konsortium zu einer besonderen Einrichtung, «können wir vermitteln». Wenn eine Gemeinde etwa ein Schwimmbad bauen will, «akzeptiert sie vielleicht die Offerte eines Baukollektivs», sagt CCFS-Direktorin Simona Caselli. «Aber wer betreibt das Bad? Wir kennen Genossenschaften, die solche Einrichtungen verwalten können. Und wir haben Kontakt zu Kooperativen, die Grünflächen pflegen oder das Catering besorgen könnten.»

Mit solchen Gesamtpaketen und mit Leasingofferten für Kooperativen, die ihrer Kundschaft die Finanzierung des jeweiligen Vorhabens erleichtern wollen, ist CCFS zu einer allseits anerkannten Instanz geworden. «Manchmal müssen unsere Mitglieder bei Bankgesprächen nur erwähnen, dass wir ihr Kreditbegehren unterstützen», erzählt Patacini und lächelt, «und schon bekommen sie Konditionen eingeräumt, die wir ihnen nie bieten könnten.» Wo sonst haben Kooperativen einen solchen Einfluss? Wo sonst gibt es eine von Genossenschaften gegründete und finanzierte Solidaritätsinitiative wie Boorea, die an Schulen Unterrichtseinheiten organisiert, in denen SchülerInnen die Grundprinzipien kollektiven Wirtschaftens lernen? Die Frauenhäuser und antifaschistische Museen unterstützt, in Palästina drei Krankenhäuser subventioniert und im (natürlich ebenfalls genossenschaftlich verfassten) lokalen TV-Sender Telereggio jeden Samstagabend ein Programm gestaltet und – wie Boorea-Direktor Stefano Campani ergänzt – die musische Ausbildung von MigrantInnenkindern fördert?

Die politischen Zustände in Italien und ihre Auswirkungen beschäftigen zwar die Kooperativen. Aber was in Rom passiert, kümmert die selbstbewussten GenossenschafterInnen von Reggio nur am Rande: «In den nächsten drei Jahren», sagt CCFS-Direktorin Caselli, «wollen wir landesweit tausend neue Kooperativen gründen.» (pw)

Dies ist die aktutualisierte Fassung eines früheren Artikels, der in der Wochenzeitung WOZ erschien. Er wurde teilweise umgeschrieben für das Buch «Wirtschaft zum Glück»).