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Kapital & Arbeit: Konstanzer Maultaschenpreis 2015

Dosenchef macht Belegschaft ein

9. Dezember 2015 | Erpressung in Rielasingen, Unterbietungswettlauf in Konstanz und ein rechtlich zweifelhafter Rauswurf in Allensbach: Drei Firmen haben sich um den Maultaschenpreis für besonders beschäftigtenfeindliches Unternehmerverhalten beworben. Und wer hat gewonnen?


«So etwas haben wir hier bisher noch nicht erlebt», sagt Raoul Ulbrich, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Singen. Es komme zwar oft vor, dass Schweizer Unternehmer ihre Mühe mit dem deutschen Arbeitsrecht haben, dass sie keine Betriebsräte und keine Tarifsysteme kennen – aber Nussbaum in Rielasingen sei schon ein ganz besonderer Fall. Das kann man wohl sagen. Denn vieles deutet darauf hin, dass die Firmenchefs mit ihrer Teile-und-herrsche-Politik den Standort Rielasingen, möglicherweise aber das gesamte Unternehmen, an die Wand fahren.

Die Dosenfabrikation in Rielasingen (vormals Lechner) gehört seit 2001 zu schweizerischen Nussbaum AG mit Sitz in Matzingen (Kanton Thurgau). Lange Zeit sei das Verhältnis einigermaßen passabel gewesen, sagt Thorsten Schlicht, der zuständige Betriebsbetreuer bei der IG Metall Singen. Aber dann habe ihm der neue Geschäftsführer Bernd Gebhardt im Herbst 2014 mitgeteilt, dass das Unternehmen die Tarifbindung bis Ende 2015 aufgeben werde. Ziel der Massnahme: Absenkung der Lohnstufen unter das Minimum dessen, was im Tarifsystem der Metallindustrie noch akzeptabel ist. «Erst nach langen und schwierigen Verhandlungen haben wir uns schließlich im Juli 2015 auf ein Eckpunkte-Papier einigen können», berichtet Schlicht, man sei den Forderungen des Eigentümers Florian Nussbaum entgegengekommen – «aber in einem tariflich vernünftigen Rahmen».

Nur wenige Tage später jedoch warf die Geschäftsleitung per Aushang alles über den Haufen: Man werde die Produktionslinien 1 und 7 (sie machen, so Schlicht, rund sechzig Prozent der Fertigung aus) in andere Werke verlegen – es sei denn, 85 Prozent der Beschäftigten unterschreiben einen Einzelvertrag. Was dann geschah, schildert Schlicht so: «Die Beschäftigten sind massiv unter Druck geraten, sie wurden mitunter mehrmals am Tag angerufen und aufgefordert, den Einzelvertrag und eine Anhebung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Wochenstunden zu akzeptieren.» Die Firmenleitung setzte sich durch und versprach daraufhin in einem Schreiben an die IG Metall, bis «Ende 2020 keine Produktionslinien» zu verlagern. Knapp zweieinhalb Monate später jedoch folgte eine erneute Kehrtwende, weil es der Betriebsrat gewagt hatte, bei einer unbefristeten Einstellung auf den tariflichen Minimallohn zu pochen und in diesem Fall einer tarifwidrigen Kürzung des Bruttolohns von 3000 auf 2500 Euro zu widersprechen: Jetzt werde alles verlagert, und zwar ab sofort, ließ Gebhardt den Betriebsrat wissen (die genauen Details sind auf der Webseite der Konstanzer Maultasche dokumentiert).

«Zuerst wollten sie die Gewerkschaft loswerden, jetzt nehmen sie sich den Betriebsrat vor», sagt Thorsten Schlicht. Derzeit kursiere in der Belegschaft eine Unterschriftenliste, die den Betriebsrat zum Rücktritt auffordert. 70 der 115 Beschäftigten sollen bisher unterschrieben haben. Dabei, so Schlicht, gelte für den Betrieb noch Nachbindung: «Es müssen also die bisherigen Löhne weiter gezahlt werden, die Beschäftigten sind materiell erst einmal nicht schlechter gestellt.» Die Ironie dabei ist: «Wenn es tatsächlich so schlecht um den Betrieb steht, wie die Geschäftsleitung behauptet, hätte sie tatsächlich Kosten sparen können. Aber nur im Einvernehmen mit uns von der IG Metall.» Aber verhandeln und Kompromisse eingehen passe wohl nicht zum monarchistischen Selbstverständnis der Firmeninhabers, dessen Dosen vor allem an Beiersdorf (Niveau, Eucerin, Hansaplast, tesa) gehen. Florian Nussbaum sei mithin ein «sehr würdiger Preisträger».

Südkurier Medienhaus und Schmieder-Kliniken

Den zweiten und dritten Preis vergab das Konstanzer Maultaschenkomitee, das sich nach der Maultaschenaffäre 2009 gegründet hatte, an das Medienhaus Südkurier und an die Geschäftsleitung der Schmieder-Kliniken Allensbach. Der Südkurier habe den zweiten Platz «aufgrund seiner Gesamtleistung» erhalten, begründet ver.di-Sekretär Markus Klemt die Wahl: Ebenfalls Flucht aus der Tarifbindung mit den üblichen Folgen (Arbeitszeiterhöhung um fünf Wochenstunden, Lohnerhöhungen nach Gutdünken des Chefs). Dazu die Bestrafung jener zehn Prozent der Belegschaft, die keinen Einzelvertrag unterschrieben haben (sie bekommen seither keine Lohnerhöhung mehr). Ausserdem lange Zeit «Tricksereien» bei der Vergütung von ZeitungszustellerInnen. Zusammenarbeit mit einer Leiharbeitsfirma, die keine Zulassung hatte. Schlechte Honorierung der freien MitarbeiterInnen («Der Südkurier ist einer von nur wenigen Verlagen, die sich nicht an die gemeinsame Honorarempfehlung von Journalistenverbands DJV und ver.di halten», sagt Klemt). Und nun auch noch eine «strategische Partnerschaft» mit dem Schwarzwälder Boten, die «zum Abbau von Lokalredaktionen und der Medienvielfalt» führt.

Margrit Zepf wiederum, Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Schwarzwald-Bodensee, schildert den Fall Schmieder: Kündigung eines Betriebsratsmitglieds, das außerhalb des Betriebsgeländes ein Gewerkschaftsplakat aufgehängt hatte. Die Aktion sei Teil einer bundesweiten ver.di-Kampagne für eine bessere personelle Ausstattung des Gesundheitswesens gewesen, habe sich also nicht gegen Schmieder gerichtet, sondern an die Adresse der Politik, erläutert Zepf. Dennoch habe die Geschäftsleitung Karl-Heinz G. entlassen. Ihr Argument: er sei damals offiziell krankgeschrieben gewesen sei und habe folglich die Erkrankung nur vorgetäuscht. Gegen diese Begründung spricht allerdings ein ärztliches Attest. «Es geht nicht an, dass Arbeitnehmern, die in angemessener Form auf ein existierendes Problem aufmerksam, fristlos gekündigt wird», sagt Margit Zepf. «Deswegen hat Schmieder den dritten Preis verdient». (pw)