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Die jüngsten Wahlen und ihre Folgen

Ein Neustart für Europa?

8. Mai 2012 | In den letzten Monaten haben fast überall in Europa die StimmbürgerInnen die Politik des besinnungslosen Sparens abgewählt. Doch abstimmen allein reicht noch nicht.


Es war ein Befreiungsschlag. Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich, bei den Parlamentswahlen in Griechenland, bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, bei Kommunalwahlen in Italien und in Britannien – überall haben die BürgerInnen gegen das Diktat der Finanzmärkte, gegen eine auch wirtschaftlich katastrophale Austeritätspolitik, gegen ihre politische Entmachtung und nicht zuletzt gegen die erdrückende Dominanz der Berliner Spar- und Schuldenbremsenpolitik votiert.

In Frankreich wird erst zum zweiten Mal in der Fünften Republik ein Sozialist Präsident, weil er versprach, den Fiskalpakt neu zu verhandeln und die Einkommensmillionäre höher zu besteuern. In Griechenland wurde Syriza, die Koalition der Radikalen Linken, auf Anhieb zweitstärkste Kraft und führt nun den Kampf gegen Europas «barbarisches Spardiktat», so der Vorsitzende Alexis Tsipras, auch im Parlament. In Schleswig-Holstein brachte die Stimmbevölkerung der schwarz-gelben Koalition die zehnte Schlappe in Folge bei; in Italien schlug Beppe Grillos Protestbewegung Cinque Stelle vielerorts Berlusconis Popolo della Libertà und die Lega Nord; in den britischen Gemeinden (mit Ausnahme von London) fand Labour fast zur alten Stärke zurück – und in Spanien, wo die regierende Volkspartei schon Ende März wider Erwarten die Regionalwahl in Andalusien verloren hatte, besetzen jetzt die Indignados, die Empörten, wieder viele Plätze.

Selbst die populäre, aber neoliberal gestrickte deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kann von Glück reden, dass die nächste Bundestagswahl erst in sechzehn Monaten abgehalten wird. Die deutsche Regierung hat zwar in den letzten Jahren und im Auftrag der Finanzmärkte und des deutschen Kapitals, insbesondere der Deutschen Bank, anderen Regierungen und der EU ihren Willen aufzwingen können – nicht aber den BürgerInnen, die überall den Eurosadismus abwählten. Natürlich interpretierten viele Mainstream-Medien (vor allem in Deutschland, aber nicht nur dort) die Wahlergebnisse schnurstracks als Ausdruck einer fatalen Bequemlichkeit: Die Französinnen, die Griechen und alle anderen seien zu Reformen nicht bereit und würden lieber auf Kosten künftiger Generationen in sozialen Hängematten schlummern. Mal abgesehen davon, dass es solche sozialen Netze kaum irgendwo gibt: Die Rebellion, die sich zuerst auf der Strasse bemerkbar machte und jetzt einen parlamentarischen Ausdruck fand, richtet sich nicht gegen Strukturreformen. Sondern dagegen, dass seit Beginn der Finanzmarktkrise deren Verursacher und Profiteurinnen in Form von Staatsgarantien, Rettungsschirmen, Steuerkürzungen und Privatisierungen auch noch belohnt werden – während gleichzeitig ein grosser Teil der Bevölkerung seine Lebensgrundlage verliert.

Doch die wirkliche Schlacht steht erst bevor. Ein paar Regierungswechsel ändern noch nichts am Machtgefüge, das von – den Lohnabhängigen abgepressten oder abgeschwatzten – Billionensummen und deren Agenturen dominiert wird, die auf der Suche nach bestmöglicher Verzinsung über den Globus vagabundieren. Andererseits könnte die Wahl von François Hollande, sofern er politisch klug agiert, durchaus Folgen haben. Denn die BetreiberInnen des Finanzmarkt-Casinos hoffen nicht nur darauf, dass ihr derzeitiges Geschäftsmodell (Bankenrettungsgarantie plus Gratisgeld von der Europäischen Zentralbank) bestehen bleibt. Sie setzen auch auf den Fortbestand der Austeritätspolitik, lange Zeit vorangetrieben vom Regierungsbündnis Paris-Berlin – eine bessere politische Kreditausfallversicherung bekamen sie bisher nirgendwo, weder an der Wall Street noch in der City of London. Auch wenn die Elite den demokratischen Pöbel noch so sehr verachtet: Ganz ohne politischen Konsens können selbst die renditebessenen Märkte und deren VertreterInnen in Regierungsämtern nicht agieren.

Und der wurde ihnen in den letzten Tagen aufgekündigt. Es gibt also Spielraum, den sogar die europäische Sozialdemokratie nutzen könnte – wenn sie nicht wieder, wie zu Tony Blairs und Gerhard Schröders Zeiten, einknickt. Wenn der Druck von unten anhält. Und nicht allein in Frankreich oder Griechenland. (pw)