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Kapital & Arbeit: Der Boykott der KäuferInnen

Schleckers Einstieg in den Abstieg

29. April 2010 | Beim gnadenlosen Kampf um Marktanteile gehen Discounter wie Lidl, Netto oder Ikea den Beschäftigten an die Gurgel. Doch nun hat die Drogeriemarktkette Schlecker überzogen: Die Kundschaft macht nicht mehr mit.


Seinen Konzernumbau hatte sich Anton Schlecker wahrscheinlich etwas anders vorgestellt. Seit Jahrzehnten betreibt der ehemalige Metzgermeister aus der schwäbischen Kleinstadt Ehingen ein überaus erfolgreiches Unternehmen: 1974 eröffnete er seinen ersten Drogeriemarkt, drei Jahre später hatte er bereits über hundert Filialen, 1994 kontrollierte seine Firma 11 000 Drogeriegeschäfte in Deutschland und 3000 in Europa.

Und stets konnte Schlecker, der wie die Aldi-Eigentümer Karl und Theo Albrecht und Lidl-Gründer Dieter Schwarz höchst selten Interviews gibt und keine Geschäftszahlen veröffentlicht, mit seinen Beschäftigten nach Belieben umspringen. Er zahlte niedrige Löhne, hintertrieb die Gründung von Betriebsräten, kam mit einer minimalen Belegschaft aus (in vielen Filialen arbeitet nur eine Kassierin) und liess die Angestellten auch noch von einer Videokamera überwachen. Lange Zeit ging das gut. Selbst seine Verurteilung wegen Lohnbetrugs 1998 fiel bei der Kundschaft nicht weiter ins Gewicht.

Billiglohnsektor dank Rot-grün

Das änderte sich schlagartig, als Schlecker (geschätzter Jahresumsatz: sieben Milliarden Euro) unter dem Druck neuer, grösserer und schönerer Drogeriemärkte sein Geschäftsmodell änderte: Anstelle der kleinen AS-Filialen, deren VerkäuferInnen immerhin nach Einzelhandelstarif bezahlt werden und wo sich trotz aller Schikanen ein paar Betriebsräte etablieren konnten, sollten grossflächigere XL-Märkte die KonsumentInnen anlocken. Der Clou dabei: Schlecker kündigte vielen bisherigen Beschäftigten – und empfahl ihnen, sich bei der firmeneigenen Leiharbeitsfirma Meniar («Menschen in Arbeit») zu schlechteren Bedingungen zu bewerben.

«Das Entgelt lag um sechzig Prozent unter dem bisherigen Lohn», sagt Markus Klemt, Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im Bezirk Schwarzwald-Bodensee. «Statt 12,50 Euro brutto bekamen die Schlecker-VerkäuferInnen in den betriebsratsfreien XL-Filialen nur noch 6,80 Euro in der Stunde, ausserdem mussten sie auf zwei Wochen Ferien sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten.»

«Gegen diesen Skandal haben wir die Öffentlichkeit gut mobilisieren können», sagt Achim Neumann, der in der Verdi-Zentrale für die Schlecker-Kampagne zuständig ist. TV-Reportagen, Talkshows, Radiointerviews, Zeitungsberichte und zahllose Anrufe bei Abgeordneten hätten dazu geführt, dass selbst CDU- und FDP-PolitikerInnen auf die bundesweite Empörung reagieren mussten. Sie schliessen nicht einmal die Änderung eines Gesetzes aus, das die vormalige rot-grüne Bundesregierung 2004 zur Liberalisierung der Leiharbeit erlassen hatte und Dumpinglöhne ermöglichte.

Mittlerweile unterhalten viele Unternehmen firmeneigene Leiharbeitsfirmen, deren Beschäftigte deutlich schlechter gestellt sind als die Stammbelegschaft. Die Deutsche Bahn und der Chemiekonzern BASF; Volkswagen, das Rote Kreuz und die Deutsche Telekom; Unispitäler, Zeitungsverlage und die Zürcher Ameos-Gruppe, die in Deutschland private Kliniken betreut: Sie alle drücken auf diese Weise die Löhne. «Schlecker hat nur übertrieben, was andere auch tun», sagt Klemt, «und dafür die Quittung erhalten.» Innerhalb kurzer Zeit sei der Umsatz in den AS-Filialen seines Bezirks «um 20 bis 25 Prozent eingebrochen».

Lidl fordert Mindestlohn

Es gibt also in dem Land, wo Handelsunternehmen mit Sprüchen wie «Geiz ist geil» werben können, sozial denkende KonsumentInnen. «Derzeit verhandelt Schlecker mit uns gleich über drei Tarifverträge», sagt Neumann, «und wir gehen davon aus, dass der Konzern halbwegs anständige Vergütungen akzeptieren wird.»

Und nicht nur das: Die grosse Empörung der letzten Monate hat auch anderen Discountern vor Augen geführt, was ein Imageschaden bewirken kann. Lidl zum Beispiel wehrt sich zwar weiterhin gegen Betriebsräte, lässt aber die VerkäuferInnen nicht mehr unbezahlte Überstunden leisten und hat versprochen, die Überwachung des Personals einzustellen. Inzwischen fordert der Discounter, gegen den Verdi seit Jahren streitet, sogar einen branchenüblichen Mindestlohn – weil ihn andere Konzerne mit noch schlechteren Arbeitsbedingungen und Löhnen unterbieten. Mit dem Edeka-Tiefpreisanbieter Netto konnte Verdi vor einem Monat einen Tarifvertrag abschliessen. Und die Billigmöbelkette Ikea, die sich bisher durch Billiglöhne hervortat, hat ebenfalls den Einzelhandelstarif akzeptiert. «Die Schlecker-Geschichte war ein grosser Erfolg für uns», sagt Neumann.

Sonderkurse für Verkaufsleiter

Selbst die Bioläden reagieren. Alnatura zum Beispiel, mit über fünfzig Filialen der zweitgrösste Lebensmitteldetaillist mit ausschliesslich biologisch erzeugten Produkten, überprüft seit vier Wochen alle Arbeitsverträge. Niemand werde künftig unter Tarif bezahlt, versichert eine Firmensprecherin auf Anfrage.

Dennoch kann sich der südbadische Gewerkschafter Klemt nicht zurücklehnen: «Lidl hat aufgrund des öffentlichen Drucks vor Jahren begonnen, die schärfsten Bezirks- und Verkaufsleiter zu entlassen», sagt er. «Die waren in Sonderkursen extra darauf abgerichtet worden, Verkäuferinnen fertigzumachen. Wo sind die jetzt hin – wenn nicht zu anderen Discountern?» Seit zehn Jahren stagniert die Kaufkraft, wachsen Verkaufsflächen, werden die Öffnungszeiten verlängert: «Der halsabschneiderische Wettbewerb geht voll zulasten des Personals.» Aber immerhin: Die Öffentlichkeit macht nicht mehr alles mit. (pw)