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Kapital & Arbeit: Im Euro gefangen

Das deutsche Diktat

4. März 2010 | Viele europäische Staaten haben ernste Schwierigkeiten. Weil sie Banken und Unternehmen aus der Patsche halfen, sind sie hoch verschuldet – und verstossen gegen die Kriterien von Maastricht. Aber was, um Himmels willen, ist das?


Griechenland steckt in einer tiefen Krise. Die Verschuldung des Staates hat ein enormes Ausmass erreicht. Im letzten Jahr musste die Regierung bei Banken viel Geld aufnehmen: 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – also rund ein Achtel all dessen, was die griechische Wirtschaft und der griechische Staat in einem Jahr an Waren herstellen und an Dienstleistungen bieten. Aber Griechenland ist nicht allein. Auch Spanien hat Schulden. Dort wies der Staatshaushalt 2009 ein Minus von 11,4 Prozent des BIP auf. Aus dem Staatshaushalt wird alles Mögliche bezahlt: die Kosten für Schulen, für Strassenbeleuchtung, für Kindergärten, für SpitalärztInnen, für Theater, für Armee und Polizei, für SozialarbeiterInnen und so weiter.

Irland geht es ebenfalls nicht gut. Weil sich dort Banken auf Lotteriespiele in Geldgeschäften eingelassen hatten, musste ihnen die Regierung in Dublin helfen – und hat dafür viele Milliarden ausgegeben, die jetzt dem Staat fehlen. Also kürzt er Staatsbediensteten die Löhne und Arbeitslosen die Bezüge. Die Beschäftigten müssen länger arbeiten, gleichzeitig wird die Hilfe für die Ärmsten gesenkt. Trotzdem musste sich Irland im vergangenen Jahr viel Geld borgen: 12,5 Prozent des BIP.

Diese drei Staaten haben nicht nur ähnliche Schwierigkeiten – sie kämpfen mit demselben Problem. Und das heisst Euro, die Gemeinschaftswährung von derzeit sechzehn Staaten in der Europäischen Union (EU). Vor dem Beitritt zur Eurogemeinschaft konnten Griechenland, Spanien, Irland und die anderen Staaten Schwächeperioden ihrer Volkswirtschaft selbstständig lösen. Kam beispielsweise die spanische Wirtschaft ins Schlingern, hat die Regierung in Madrid den Wert des Peso im Vergleich zu den anderen Währungen herabgesetzt. Griechenland konnte die Drachme abwerten, Irland das Punt.

Auf diese Weise wurde die Ausfuhr von irischen, spanischen und griechischen Waren billiger, man konnte mehr im Ausland absetzen. Gleichzeitig wurden die ausländischen Waren teurer; also kauften die Menschen mehr einheimische Erzeugnisse. Dieses Vorgehen hatte zwar seine Nachteile, aber immerhin konnten gewählte Regierungen selber über die Entwicklung ihrer Wirtschaft entscheiden und in Notzeiten Geld aufnehmen, wenn sie das für richtig hielten. Diese Möglichkeit haben sie nach einem Beitritt zur Eurowährungsunion nur noch eingeschränkt.

Denn seither gibt es Prüfsteine (Kriterien), die auf einer EU-Sitzung 1992 in der niederländischen Stadt Maastricht vereinbart und bei einem Folgetreffen 1996 in Dublin verschärft wurden. Für die Verschärfung sorgte die deutsche Regierung: Sie wollte ihre starke D-Mark nur dann mit schwächeren Währungen wie dem österreichischen Schilling, der italienischen Lira oder dem belgischen Franc vereinen, wenn alle beteiligten Staaten drei Regeln einhalten:

→ Sie dürfen sich jedes Jahr nur bis zu einer Obergrenze von drei Prozent des BIP neu verschulden.

→ Sie dürfen die gesamte Staatsschuld nicht über sechzig Prozent des BIP steigen lassen.

→ Und sie müssen dafür sorgen, dass ihre Preissteigerung höchstens 1,5 Prozentpunkte über jenen der drei Staaten mit den niedrigsten Preiserhöhungen liegt. Wer diese Regeln bricht, bekommt zuerst einen blauen Brief und muss dann mit empfindlichen Geldstrafen rechnen.

Aber wer hat als Erstes gegen die Maastrichter Kriterien verstossen? Deutschland. Weil es die Kosten der Wiedervereinigung nur durch neue Staatsanleihen bezahlen konnte. Und wer verletzt die heiligen Regeln seit Gründung der Währungsunion? Italien. Dort liegt die Gesamtverschuldung des Staates derzeit bei über 115 Prozent des gesamten Wirtschaftsaufkommens (BIP). In den letzten Jahren haben nur wenige Eurostaaten die Grundsätze von Maastricht einhalten können.

Auch dafür gibt es einen Grund – und der liegt wieder in Deutschland. In keiner anderen Volkswirtschaft sind seit der Euroeinführung die Lohnkosten so niedrig geblieben wie im mächtigsten EU-Staat. Der Warenausfuhrweltmeister Deutschland unterbietet auf diese Weise die Wirtschaftskraft der anderen Staaten. Deren Erzeugnisse werden dadurch weniger wettbewerbsfähig; Fabriken und Büros machen zu; die sozialen Folgen müssen dann die betroffenen Staaten abfedern. Das belastet deren Staatshaushalt und zwingt die Regierungen zum Schuldenmachen.

Aber was tut Deutschland? Statt den Geburtsfehler von Maastricht einzusehen und nicht mehr nur auf den Vorteil deutscher Unternehmen zu schauen, haben die EU-Finanzminister auf Druck der Berliner Regierung Griechenland und den ärmeren Eurostaaten Sparmassnahmen verordnet, die die deutsche Regierung im eigenen Land nie durchsetzen könnte. Gewiss: Viele Ursachen der spanischen, griechischen, irischen oder portugiesischen Probleme sind hausgemacht. Vetternwirtschaft, Steuerbefreiung für die Reichen und schlampige Rechnungsführung zum Beispiel – und der Glaube an eine Rettung durch die Marktwirtschaft. Eigene Lösungen können sie jedoch nicht mehr finden. Weil sie sich dem Euro unterworfen haben. (pw)