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Kapital & Arbeit: Krach bei Daimler

Widerspruch aus «Klein-Vietnam»

23. Februar 2006 | In den kommenden Wochen wählen die Beschäftigten fast aller Unternehmen ihre VertreterInnen im Betriebsrat. Im Stuttgarter Stammwerk von Daimler-Chrysler tobt der Wahlkampf besonders heftig.

Wenn nicht alle ohnehin von dem Termin wüssten, könnte man die Donnerstagsrunde fast ein konspiratives Treffen nennen – so versteckt liegt der Sitzungsraum im Hintergebäude der Mettinger Kneipe Mosquito, so unwirtlich kalt ist es manchmal in dem Nebenzimmer und so ernsthaft wird hier mitunter diskutiert. Aber geheim ist an den Treffen nichts. Denn erstens darf kommen, wer mitmachen will. Zweitens wird das Ergebnis der Beratungen einmal im Monat gleich 7000fach an die KollegInnen verteilt. Und drittens sitzen hier ganz normale ArbeiterInnen und Angestellte des Daimler-Chrysler-Werks von Stuttgart-Untertürkheim.

Leute wie Tom Adler zum Beispiel, der seit 1984 als gewählter Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten im Achsen- und Giesserei-Betrieb in Mettingen vertritt und sich selbst als «Fossil» bezeichnet. Oder Serkan Senol, gewerkschaftlicher Vertrauensmann in «Klein-Vietnam », wie man in Mettingen die Giesserei nennt, weil man dort in Staub und Hitze zehn Kilo schwere Bremsscheiben herumwuchten muss: ein Automann, der sein Handwerk aus dem Effeff beherrscht, der aus dem Kopf die Schaltgeschwindigkeit aller Getriebe bis auf die Hundertstelsekunde genau hersagen kann. Oder Georg Rapp, Entwicklungsingenieur im Motorenwerk Untertürkheim und Ersatz-Betriebsrat, der durch einen mutigen Arbeitsgerichtsprozess viel für die Daimler-Chrysler-Beschäftigten und die IG Metall erreicht hat, seit ein paar Monaten aber von der Betriebsratsmehrheit geschnitten wird.

Auch Martin Reinold sitzt dabei, ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann. Und Mate Dosen, ein Betriebsrat der Giesserei-Arbeiter von Mettingen, der eher ruhig und bedächtig argumentiert, aber aus der IG Metall ausgeschlossen wurde, weil er mit anderen vor Jahren die von der Betriebsratsspitze betriebene Politik der Sozialpartnerschaft nicht länger aushielt und eine eigene Betriebszeitung gründete. Und Markus Messing, ebenfalls Betriebsrat, ebenfalls zuständig für «Klein-Vietnam », aber im Unterschied zu Dosen einer, der auch Vorgesetzte mal am Hemd packen kann. Bis vor kurzem schaute auch Gisela Schmid vorbei, früher zuständig für die Schwerbehinderten, denen das Management von Daimler-Chrysler (DC) und die Betriebsratsspitze über ein Jahr lang die ihnen zustehende Betriebsversammlung verweigerte, wie sie sagt. Das Management, weil es an Belegschaftsversammlungen ohnehin nicht interessiert ist – und die IG-Metall-Betriebsratsspitze um den Vorsitzenden Helmut Lense, weil ihr (so Schmid) Treffen, bei denen auch andere Meinungen als die ihre Gehör finden könnten, nicht genehm sind. Schmid hat «nach einem Mobbing ohne Ende, und zwar von allen Seiten» auf Ende letzten Jahres gekündigt.

Es ist ein bunter Haufen also, der sich da wöchentlich im «Mosquito» trifft, nur ein paar hundert Meter vom Haupttor des DC-Werks Mettingen entfernt. Die Redaktionsmitglieder der Betriebszeitung «Alternative» eint vor allem eines: Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass die DC-Konzernleitung mit den Beschäftigten weiter Schlitten fährt, die Rendite auf Kosten der Belegschaft hochschraubt, Personal abbaut, Arbeitszeiten verlängert und Löhne kürzt. Und um dem Widerstand von unten eine Stimme zu verleihen, publizieren sie seit Anfang 2005 eine eigene Zeitung, in der sie all jene Fragen stellen können, für die sie nach eigenem Bekunden in der offiziellen IG-Metall-Werkzeitung «Scheibenwischer» keinen Raum mehr erhalten.

«Zukunftssicherung 2012»

Die Wut vieler Belegschaftsmitglieder und die Kritik der «Alternative»-RedakteurInnen speist sich grossteils aus dem Abkommen, das im Sommer 2004 die DC-Unternehmensleitung, der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall unterzeichnet hatten. Damals hatte die Führung des hochprofitablen Konzerns der deutschen Belegschaft das Messer an die Brust gesetzt: Entweder akzeptiert sie einen Personalkostenabbau in Höhe von 500 Millionen Euro – oder ein Teil der Produktion wird an Standorte in anderen Staaten verlegt. Auf diese Erpressung reagierten Mitte Juli 2004 rund 60.000 DC-Beschäftigte in allen deutschen Werken mit einem Streik. Rund 2000 ArbeiterInnen des Werkteils Mettingen blockierten zwei Stunden lang sogar die B10, eine autobahnähnliche Zufahrtsstrasse nach Stuttgart.

Einen solchen Protest hatte es in der süddeutschen ArbeiterInnenbewegung schon lange nicht mehr gegeben. Der Widerstand war breit, das Ergebnis des Protests jedoch ernüchternd: In Geheimverhandlungen ging die Betriebsratsspitze um die IG-Metall-Repräsentanten Erich Klemm (Werk Sindelfingen) und Helmut Lense (Werk Untertürkheim), die auch im Aufsichtsrat der AG vertreten sind, auf das Ultimatum ein. Die Konzernspitze verzichtete in dem als «Zukunftssicherung 2012» bezeichneten Beschäftigungspakt auf betriebsbedingte Kündigungen. Im Gegenzug bewilligte die Betriebsratsspitze längere Arbeitszeiten für die so genannten DienstleisterInnen (etwa im Kantinenbereich), eine Lohnreduktion für alle und einen um zwanzig Prozent niedrigeren Einstiegslohn für alle Neuangestellten.

Dieses Ergebnis, sagen die KritikerInnen, hätte man nie hinnehmen dürfen – und es wäre wohl auch nicht hingenommen worden, wenn die Betriebsratsspitze ihren Kompromiss den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten (siehe Kasten unten) vorgelegt hätte. «Doch die Basis», sagt Tom Adler, «wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.» Die mangelnde Demokratie bei der betrieblichen Interessenvertretung war da schon Thema im Werk Untertürkheim. Bereits im September 2003 hatten 64 DC-Vertrauensleute und -Betriebsräte in einem offenen Brief an die zuständigen Verwaltungsstellen der IG Metall (IGM) in Stuttgart und Esslingen die Defizite kritisiert. Die Untertürkheimer Betriebsratsführung würde ohne Rücksprache und Zustimmung der Vertrauensleute Abmachungen mit der Geschäftsführung treffen, habe Beschlüsse missachtet und lade kaum noch zu Versammlungen ein.

Der Unmut über das Abkommen vom Sommer 2004 führte die KritikerInnen der sozialpartnerschaftlich agierenden Betriebsratsmehrheit zusammen. «Ich habe in den letzten zwanzig Jahren noch nie so viel Empörung erlebt», erinnert sich Adler. Und so gründete er mit anderen IGM-BasisvertreterInnen eine lose Vereinigung mit dem Namen «Alternative», die seit Anfang 2005 die meist vier Seiten umfassende Betriebszeitung mit demselben Namen herausgibt. Der Zeitpunkt war nicht schlecht gewählt, denn noch im selben Jahr ordnete die Konzernleitung einen bundesweiten Abbau von 8500 Arbeitsplätzen an (siehe nebenstehenden Text).

Die im Aufsichtsrat vertretene IGM-Betriebsratsführung akzeptierte den Abbau und bewilligte die dafür vorgesehene Abfindungssumme in Höhe von 950 Millionen Euro. Die «Alternative»-Gruppe entwarf ein Gegenkonzept: Mit derselben Summe könne zwei Jahre lang bundesweit eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden finanziert werden, argumentierten die konfliktorientierten BelegschaftsvertreterInnen. Das sichere Arbeitsplätze und bewahre das angeschlagene deutsche Sozialsystem vor neuen Beitragslücken. Dieser Vorschlag kam bei der IGM-Betriebsratsführung jedoch genauso schlecht an wie andere Vorstösse. So schlugen die «Alternativen» etwa vor, die Ausgliederung von DC-Jobs an Fremdfirmen mit Niedriglöhnen öffentlich zu thematisieren und Partnerschaften mit den Belegschaften anderer Unternehmen einzugehen.

Lügnerinnen und Vulgär-Marxisten

Wer vertritt am besten die Interessen der Beschäftigten? Die «Ko-Manager», wie Adler all jene nennt, die «auf Kuschelkurs mit den Vorgesetzten sind» und in den letzten zehn Jahren im DC-Aufsichtsrat praktisch allen Entscheidungen des Managements zustimmten und sich dem Personalabbau nicht widersetzten? Oder «die politischen Abenteurer», die mit «populistischen Sprüchen» wie «Opposition» und «gemeinsam vors Tor» für Aufruhr sorgen wollen? Derzeit kocht die Stimmung hoch, denn in drei Wochen werden hier wie in den meisten Metallbetrieben die Betriebsräte neu gewählt.

Im DC-Werk Untertürkheim tobt der Wahlkampf besonders heftig; viele Nerven liegen blank – so blank offenbar, dass der wieder kandidierende Betriebsratsvorsitzende Lense ein erst zugesagtes Interview wieder absagen liess. Man könne sich nach der Wahl unterhalten – wenn sich die «Aufregung gelegt» habe, liess er ausrichten. Dabei hätte es viele Fragen gegeben: Wieso beispielsweise seine IGM-Liste in Mettingen so viel Widerspruch erfahre oder weshalb in seinem Organ «Scheibenwischer» die KritikerInnen der Betriebsratsmehrheit als «zutiefst naiv oder absolut skrupellos», als «zynisch und menschenverachtend» und ausgestattet mit einem «zutiefst vulgär-marxistischen Weltbild» bezeichnet werden, nur weil sie das Konzept einer offensiven, betriebsübergreifenden Gegenwehr vertreten. Und ob er einen Gewerkschaftsausschluss der DissidentInnen befürworte.

Sieghard Bender, den Chef der IGM-Verwaltungsstelle Esslingen, nervt das «Theater», wie er den Konflikt nennt, schon lange. Der Streit koste enorm viel Zeit, sagt er, ausserdem würde man dabei den «Klassenfeind» aus den Augen verlieren. Einen Gewerkschaftsausschluss – der von der IG Metall immer dann praktiziert wurde, wenn IGM-Mitglieder auf oppositionellen Betriebsratslisten kandidierten – würde er jedoch nicht gutheissen: «Das löst die Probleme nicht.» Er wäre ja in diesem Fall auch ein Treppenwitz der Geschichte: Nachdem Ende der sechziger Jahre die beiden aufmüpfigen Daimler-Arbeiter Willi Hoss und Hermann Mühleisen gegen die damaligen Betriebsratsfürsten in Untertürkheim kandidiert hatten, wurden die Mitglieder ihrer oppositionellen und bei Betriebsratswahlen erfolgreichen «Plakat»-Gruppe aus der IGM ausgeschlossen. 1990 revidierte der IGM-Vorstand diesen Fehlentscheid. Die Betriebsräte der «Plakat»-Gruppe hätten nur die Interessen der Mitglieder im Auge gehabt, hiess es damals. Tom Adler war einer davon.(pw)


Stichwort Interessenvertretung

Laut Betriebsverfassungsgesetz haben alle Belegschaften in Unternehmen mit mindestens fünf Beschäftigten das Recht, einen Betriebsrat zu wählen. Je nach Betriebsgrösse gehören diesem Rat mehrere BetriebsrätInnen an (im DC-Werk Untertürkheim sind es 45), die teilweise oder (wie in Untertürkheim) ganz von der Arbeit freigestellt sind. Die Rechte und Pflichten der BetriebsrätInnen sind gesetzlich festgelegt. So muss etwa die Geschäftsleitung den Betriebsrat über alle Personalangelegenheiten informieren und bei Arbeitszeiten, Einstellungen, Umlegungen von ArbeiterInnen in andere Arbeitsgruppen, Kündigungen und Mehrarbeit dessen Zustimmung einholen (Mitbestimmung). Allerdings sind die BetriebsrätInnen zu einer «vertrauensvollen Zusammenarbeit» verpflichtet und unterliegen in manchen Fällen einem Schweige- und Friedensgebot. In Konzernen mit mehreren Betrieben bilden die Betriebsräte in der Regel einen Gesamtbetriebsrat.

Im Unterschied zu den BetriebsrätInnen, die keiner Gewerkschaft angehören müssen, haben die Vertrauensmänner und -frauen eine rein gewerkschaftliche Funktion. Sie werden nur von den Gewerkschaftsmitgliedern ihres Betriebs oder ihrer Abteilung gewählt, haben keine verbrieften Rechte und bilden gemeinsam den Vertrauensleutekörper. (pw)