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Nordirland: Die Kriegsursachen und der Friedensprozess
Wer will denn Frieden?
1. September 1994 | Im August 1969 entsandte die britische Regierung Truppen nach Nordirland. Sie sollten nur ein paar Wochen bleiben. 25 Jahre später sind sie noch immer dort. Und sie werden noch lange bleiben.
Es war eine grosse Menschenmenge, die da Mitte August zum Belfaster Rathaus marschierte, und viele der DemonstrantInnen versammelten sich zum ersten Mal vor dem mächtigen Gebäude, das seit über siebzig Jahren als Symbol der protestantisch-unionistischen Überlegenheit gilt. Lange Jahre war der katholisch-nationalistischen Bevölkerung von Belfast verboten worden, in der Innenstadt zu demonstrieren; bisher wurde, wer dort eine Manifestation wagte, mit Polizeiknüppeln, Hartgummigeschossen und Tränengas vertrieben. Aber jetzt, bei der grossen Sinn-Féin-Kundgebung für Frieden und gegen 25 Jahre britische Besatzung, hielt sich die RUC, die fast rein protestantische Polizei, zurück – und sie schritt auch nicht ein, als Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams davon redete, dass die republikanische (vgl. Randspalte) Bewegung den Krieg gegen die Briten praktisch gewonnen habe.
Es hat sich viel geändert in den letzten anderthalb Jahren: Zuerst die Irische Initiative von Gerry Adams und John Hume, dem Vorsitzenden der katholischen nordirischen Social Democratic & Labour Party (SDLP), dann die Bekanntgabe von Geheimgesprächen zwischen London und Sinn Fein, danach die anglo-irische Regierungserklärung, schliesslich eine Ablehnung dieser Erklärung durch Sinn Fein – und jetzt der allseits erwartete IRA-Waffenstillstand.
Haben also die OptimistInnen recht behalten, Leute wie Tony Benn zum Beispiel, der zu Jahresbeginn die «Northern Ireland Termination of Jurisdiction Bill» vorlegte? Der Gesetzentwurf des grossen alten Mannes der britischen Labour-Linken sieht vor, dass die britische Rechtsprechung und die Präsenz der Armee in Nordirland am 31. Dezember 1999 endet; sein Vorschlag wurde im Unterhaus allerdings nicht debattiert. Benn ist seit langem davon überzeugt, dass die Truppen noch in diesem Jahrzehnt abziehen würden. Und warum auch nicht?
Seit Jahren befürwortet eine Mehrheit der britischen Bevölkerung einen Rückzug der Soldaten von der irischen Insel. Auch der herrschenden Klasse sei der Krieg zu teuer geworden, sagt Benn: London pumpt derzeit rund acht Milliarden Euro jährlich in den Nordosten der irischen Insel, die direkten Militärausgaben nicht mitgerechnet.
In einer Gesellschaft, in der nur noch der Geldwert zählt, ist dieser Krieg den wirklich Herrschenden längst zu kostspielig geworden: Die City von London (dort trifft sich die Geld-Elite der Welt) gleicht heute einer Festung; allein die IRA-Bombe im Sommer 1993 richtete einen Schaden von rund 1,5 Milliarden Euro an. Seither duplizieren viele der Banken, Versicherungen und Börsenfirmen, die ja zu keiner Sekunde den Kontakt zum Weltmarkt verlieren dürfen, einen Teil ihrer Aktivitäten – sie halten Personal, Räumlichkeiten und Maschinen bereit für den Fall, dass es nochmals knallt. «Jede Geschichte hat ein Ende», sagt Tony Benn, «auch die des britischen Imperialismus in Nordirland».
Sehen so Sieger aus?
Auch in Nordirland sind einige Leute optimistisch – die BewohnerInnen von South Armagh (dem «Banditenland», wie es die BritInnen nennen) denken, dass die IRA schon gewonnen hat. South Armagh liegt direkt an der Grenze zur irischen Republik; hier bestimmt die IRA seit Jahrzehnten das Geschehen. Die Armee konzentriert sich in dieser Gegend vor allem darauf, sich selber zu schützen: Die Soldaten rennen meist zu viert durch die Dörfer, zwei decken im Rückwärtslauf die Patrouille. Viele sind hier von Heckenschützen erschossen worden, allein auf dem kleinen Marktplatz des Dorfes Crossmaglen haben über zwanzig Menschen ihr Leben verloren. Auch jene BewohnerInnen, die für die IRA nicht allzu viel übrig haben und den bewaffneten Kampf ablehnen, lassen eher der IRA als den Sicherheitskräften Informationen zukommen – «den Briten» verkaufen sie hier nicht einmal ein Streichholz.
Im April besetzte die Armee das Dorf. Ihre Kaserne war so oft von der IRA attackiert worden, dass sie neu aufgebaut werden musste. Zweitausend Soldaten okkupierten jede Strassenecke und die Felder entlang der Strecke zum nächstgrösseren Ort Newry, um die Bautransporte zu schützen. Sie versteckten sich hinter Hecken, um die Soldaten in den Checkpoints zu schützen; und diese wiederum hatten die Aufgabe, die Bauarbeiter zu schützen.
«Ist das der Frieden, von dem die britische Regierung spricht?», fragte da nicht nur Paddy Short, ein 75 Jahre alter Kneipenwirt. Anfang August war die Renovation in Crossmaglen beendet, die Soldaten zogen ein paar Kilometer weiter und besetzten den Weiler Newtownhamilton. Die Armee will, wie sie vor drei Wochen bekanntgab, alle Kasernen entlang der irisch-irischen Grenze verstärken. Und doch ist Short überzeugt, dass die Briten abziehen. «Die IRA hat gewonnen.» Woher er das weiss? «Die Soldaten laufen doch alle rückwärts hier», sagt er. «Sehen so Sieger aus?».
Neue Zwischentöne
Nicht so optimistisch sind dagegen die Menschen in Westbelfast. Die im letzten Dezember unterzeichnete und mit viel Lorbeer bedachte «Friedensinitiative» der britischen und der irischen Regierung bringe überhaupt nichts, sagt zum Beispiel Jim McCabe. Jim McCabe, dessen Frau von der britischen Armee mit einer «plastic bullet» erschossen wurde und der sich danach in einer Kampagne gegen die Hartplastikgeschosse engagierte, ist kein Befürworter des bewaffneten Kampfs der IRA. Aber er lebt in der Springfield Road, nur ein paar Meter von einer schwer bewachten RUC-Kaserne entfernt.
«Wenn die Briten Frieden wollen, müssen sie die Armee abziehen», sagt er, «und die Polizei neu organisieren.» Die fast hundertprozentig protestantische Polizei geht immer noch rigoros gegen die nationalistische Bevölkerung vor. Begleitet von Armee-Patrouillen halten Polizisten Menschen auf der Strasse an, zwingen sie, die Schuhe auszuziehen und sich mit ausgestreckten Händen stundenlang an eine Mauer zu stellen. Ein Ende dieser Besatzung ist das Mindeste, was die Menschen in diesem Teil Belfasts als Vorbedingung für einen Friedensprozess betrachten. Dass Britannien dazu bereit ist, will allerdings niemand so recht glauben: In den Verlautbarungen der Politiker war bisher keine Rede von einem Rückzug der Armee. Auch eine Neustrukturierung der RUC hat keiner von denen vorgeschlagen, für die ein Ende der IRA-Aktionen schon Friede heisst.
Doch genau das ist für die britische Regierung Vorbedingung für das, was sie Friedensprozess nennt. Nur wenn die IRA «für immer» ihre Waffen niederlege, heisst es in der anglo-irischen Regierungserklärung, dürfe Sinn Féin an Verhandlungen über die Zukunft Nordirland teilnehmen. Bisher hat es zwei solcher Verhandlungsrunden gegeben, beide unter Ausschluss von Sinn Féin. An diesen nahmen die Regierungen von London und Dublin teil, die SDLP (die in Nordirland etwa zwei Drittel der katholischen Bevölkerung vertritt), die kleine mittelständische interkonfessionelle Alliance Party, die Ulster Unionist Party (die grösste protestantisch-unionistische Partei UUP (sie regierte von 1922 bis 1972 Nordirland mit diktatorischen Ausnahmegesetzen) und die noch etwas radikalere Democratic Unionist Party (DUP) des Predigers Ian Paisley. Die Verhandlungen scheiterten schnell. Beide Male verliessen UUP und DUP die Gespräche, weil ihre Forderungen nicht akzeptiert wurden. Sie verlangten den Ausschluss der irischen Regierung, die in ihren Augen die Regierung eines feindlichen Staates ist. Als die anderen Parteien dies ablehnten, liessen die UnionistInnen die Gesprächsrunden platzen. An solchen Verhandlungen darf also Sinn Féin teilnehmen, wenn die IRA die Waffen niederlegt. Mehr haben Dublin und London nicht in Aussicht gestellt.
Was Sinn Féin und IRA an der anglo-irischen Regierungserklärung dennoch aufhorchen liess, waren Zwischentöne. Zum ersten Mal sprach die britische Regierung nämlich von einem Selbstbestimmungsrecht der irischen Bevölkerung. Zudem erklärte London ganz offiziell, dass Britannien in Nordirland keine selbstsüchtigen ökonomischen und strategischen Interessen verfolge. Könnte es sein, dass Britannien tatsächlich Nordirland verlassen will?
Über Monate hinweg diskutierte die republikanische Bewegung die anglo-irische Erklärung: der Armeerat der IRA befragte praktisch jeden Freiwilligen und die rund 700 Gefangenen; Sinn Fein interviewte nicht nur die eigene Basis, sondern organisierte offene Diskussionsrunden in allen Städten, auf dem Land und auch in der irischen Republik. Ende Juli lehnte die Partei dann auf einem Kongress die Erklärung ab. Britannien, hiess es, müsse schon die unionistische Bevölkerung dazu bewegen, ihre starre Haltung aufzugeben. Da es kein Zurück gebe, könne die Lösung nicht innerhalb der nordirischen Grenzen gefunden werden. Die Haltung der UnionistInnen sei für den Friedensprozess von ausschlaggebender Bedeutung.
Den Neid Südafrikas erregt
Doch von einer Lösung, die ein wie auch immer geartetes Gesamt-Irland vorsieht, wollen die Nachfahren der protestantischen SiedlerInnen nichts wissen, die vor Jahrhunderten aus England und Schottland in die irische Kolonie verfrachtet worden waren, damit sie dort die stets rebellischen Iren und Irinnen in Schach hielten. Ihre Ahnen hatten sich ja ebenfalls bewaffnet, um notfalls für ihre Zugehörigkeit zu Britannien zu kämpfen, während die IRA im Unabhängigkeitskrieg (1917-1921) die britischen Besatzungstruppen in die Knie zwangen. Das Ergebnis war, dass ein Teil Irlands bei Britannien verblieb.
Die Grenzen dieses Kunststaats Nordirland wurden dabei so gezogen, dass den ProtestantInnen eine stabile Mehrheit sicher war. Auf diese von Britannien geschaffenen Mehrheitsverhältnisse beruft sich heute die britische Regierung, wenn sie, wie etwa in der anglo-irischen Erklärung, das demokratische Argument heranzieht und erklärt, dass eine Änderung des Status quo nur mit Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit, also der ProtestantInnen, in Frage käme. In der Vergangenheit hatte die protestantische Oberschicht diese gar nicht so demokratisch zustande gekommene Mehrheit ausgiebig genutzt. Sie schuf mit Ausnahmegesetzen, auf die das südafrikanische Apartheid-Regime lange Zeit neidisch war, eine Diktatur, in der die katholische Bevölkerung praktisch rechtlos war.
KatholikInnen wurden in allen Bereichen diskriminiert und hatten auf kommunaler Ebene de facto kein Stimmrecht. Dagegen rebellierte 1968/69 die Bürgerrechtsbewegung, die nicht mehr verlangte als Gleichberechtigung und die Aufhebung der Sondergesetze. Erst, als Polizei und protestantischer Mob die BürgerrechtlerInnen zusammenschlugen, katholische Viertel anzündeten, Zehntausende vertrieben (eine IRA gab es damals faktisch nicht, sie entstand erst wieder bei der Verteidigung der katholischen Quartiere) und dann noch die britische Armee eingesetzt wurde, um den Unrechtsstaat zu schützen – erst dann kam die Forderung nach einem vereinten Irland überhaupt auf.
Seither bekämpft die IRA diesen Staat, und die protestantischen ArbeiterInnen verteidigen ihn. Schon 1966 feierten ein paar Loyalisten die Gründung der Ulster Volunteer Force (UVF) mit einem Attentat: Sie schossen auf vier Männer, die einen südirischen Akzent sprachen. Das müssen IRA-Spione sein, schlossen sie messerscharf – obwohl es zu diesem Zeitpunkt keine IRA gab. Eine ähnliche Strategie verfolgen die loyalistischen Paramilitärs bis heute. Vor allem in den letzten Jahren haben UVF und die Ulster Defense Association (UDA) verstärkt Zulauf erhalten. In manchen protestantischen Arbeiterquartieren, wie an der Shankill Road, ist die Arbeitslosigkeit mit siebzig Prozent so hoch wie entlang der katholischen Falls Road – und viele der Armen sehen die Ursache für ihre Misere nicht in der kapitalistischen Strukturkrise, sondern im Einfluss, den angeblich die irische Regierung ausübt. Diese sei ihre eigentliche Bedrohung.
«Dann legen wir erst richtig los»
«Wir leben im Belagerungszustand», sagt beispielsweise David Erwine, ein arbeitsloser Klempner, der früher als UVF-Mitglied fünf Jahre im Gefängnis sass. Auch die UVF sei für Frieden, erläutert er, aber nicht unter jeder Bedingung. Nur wenn die IRA ihre Waffen abliefere, die feindliche Regierung in Dublin ihre Einmischung einstelle und die protestantische Mehrheit in Nordirland wieder das Sagen habe (denn das sei Demokratie), würde die UVF den Kampf einstellen. Vorher nicht. Im Unterschied zur IRA, die nur Mitglieder der Sicherheitskräfte und Leute, die mit diesen zusammenarbeiten, für «legitime Anschlagsziele» hält (die IRA-Einheiten halten sich im wesentlichen daran, auch wenn bei ihren Bombenanschlägen oft Unbeteiligte sterben und es natürlich zynisch klingt, wenn die IRA hinterher den «tragischen Vorfall zutiefst bedauert») – im Unterschied dazu sehen die loyalistischen Kommandos in jedem Katholik ein Mitglied, in jeder Katholikin eine Sympathisantin der IRA. Und so fahren sie mit geklauten Autos oder Motorrädern in nationalistische Quartiere, schiessen durch Wohnzimmerfenster, erlegen Taxifahrer, knallen ab, wen sie treffen können.
Seit sie wissen, dass ihre Regierung drei Jahre lang Geheimgespräche mit der IRA führte, und ihre Regierung kein «strategisches und ökonomisches Interesse» (wie es in der anglo-irischen Regierungserklärung heisst) an ihnen hat, ist die protestantische Bevölkerung Nordirlands in höchstem Masse alarmiert. Für die LoyalistInnen ist das ein klarer Verrat. «Ein Waffenstillstand zeigt uns nur, dass die britische Regierung mit der IRA ein Geheimabkommen getroffen hat», vermutete Ray Smallwood, der in der Führungsgruppe der UDA sass (und deswegen im Juli von der IRA ermordet wurde). Wenige Wochen vor seinem Tod sagte er mir in einem Interview: «Wenn die IRA den Kampf einstellt, werden wir erst richtig loslegen.» In der Logik der LoyalistInnen hat die Gewalt der IRA zu Zugeständnissen der britischen Regierung geführt, also müssen sie ihrerseits nur mehr Menschen töten, um von London gehört zu werden. Solange Zehntausende so denken, wird sich kein Friede einstellen.
Jahrzehntelang versprach die britische Regierung der protestantischen Bevölkerungsmehrheit, dass ihre Vorherrschaft gewahrt bleibe. Sie respektiere den «demokratischen Willen», sagt sie auch heute noch – und damit signalisiert London, dass sich die ProtestantInnen auf keine Veränderungen einzustellen brauchen. Mit dieser Macht im Rücken haben sich die protestantischen Politiker in den letzten 25 Jahren auch keinen Zentimeter bewegt: Sie wollen keine Lösung des Konflikts, der ist für sie nur ein «Terrorismusproblem», sie wollen ihre alte Herrlichkeit, ihre Diktatur zurück. Und hatten nicht die britische Armee und der britische Geheimdienst jahrelang die loyalistischen Todesschwadronen ausgerüstet, ausgebildet, angeleitet und informiert?
Majors innenpolitische Probleme
Bis vor drei, vier Jahren glaubte die republikanische Bewegung, dass die britische Regierung nur ihren Abzug erklären müsse, dann würde die unionistische Bevölkerung schon einsehen, dass an einem vereinten Irland kein Weg vorbeiführe. Doch diese Gewissheit ist Sinn Féin und der IRA abhanden gekommen sie erkannten, dass eine Million Menschen nicht in ein gemeinsames Irland gezwungen werden können und dass jeder weitere Anschlag die ProtestantInnen noch unversöhnlicher macht.
Deshalb fordern sie nicht mehr den Abzug der Briten innerhalb einer Legislaturperiode, sondern verlangen nur noch, dass sich London in zehn, vielleicht zwanzig Jahren zurückzieht und während dieser langen Zeit die protestantische Bevölkerung davon überzeugt, dass ihr nordirischer Staat nicht länger haltbar ist. Sinn Féinund IRA sichern seit Jahren zu, dass in einer Gesamtlösungden ProtestantInnen alle Rechte garantiert werden, dass sie von einem wie auch immer verfassten Irland nichts zu befürchtenhaben. Das Problem ist nur: Die loyalistische Bevölkerung glaubt Sinn Féin und der IRA kein Wort.
Und viele haben auch kein Interesse an einem Frieden – beispielsweise die überwiegend protestantischen Beschäftigten der Wachdienste,der Sicherheitsfirmen, des Staatsapparats. Rund ein Viertel aller Beschäftigten sindin Bereichen angestellt, die wegfallen, wenn der Krieg vorbei ist. Die republikanische Bewegung, die mit der Irischen Initiative von Hume (SDLP) und Adams (Sinn Féin) die Friedensdiskussion überhaupt erst ausgelöst hat, weiss sehr wohl, dass die herrschende Klasse in Britannien nicht nur aus Kostengründen ihr Interesse an Nordirland verloren hat Mit dem Ende des Kalten Krieges ist ein wesentlicher Grund für die Anwesenheit britischer Truppen weggefallen: Nordirland hat seine geostrategisch-militärische Bedeutung eingebüsst. Aber John Major bewegt sich nicht, weil er innenpolitische Probleme hat. Da ihm seine reaktionären Hinterbänkler nicht immer folgen, war er in wesentlichen Fragen (etwa bei der Abstimmung zu Maastricht) auf die 13 unionistischen Unterhausabgeordneten angewiesen.
Hauptsache Ruhe
Dazu kommen die engen Beziehungen zwischen Nordirland und Britannien und die geographische Nähe – von anderen Kolonien konnte sich London viel einfacher verabschieden. Und doch setzen die Republikanerinnen ganz auf Deeskalation. Die IRA kann militärisch nicht besiegt werden, das haben die britischen Militärs schon vor über einem Jahrzehnt zugegeben – aber sie kann auch die britische Armee nicht besiegen. Die Briten können hingegen noch ewig durchhalten, die LoyalistInnen wollen noch ewig durchhalten, und für die Menschen in den nationalistischen Ghettos wird die Lage immer schlimmer. Nicht zuletzt deswegen waren Sinn Fein und IRA – im Gegensatz zu London – immer gesprächsbereit. Während London mit der Arroganz der Macht glaubt, die Friedensbedingungen diktieren zu können, versichert die IRA seit Monaten durchaus ernsthaft ihre Bereitschaft zu «flexiblen und positiven Schritten».
Aber es gibt auch kritische Stimmen – wie die der unabhängigen Sozialistin Bernadette McAliskey, die unter ihrem Mädchennamen Devlin als Bürgerrechtlerin weltweit bekannt wurde. «Wenn die IRA den Kampf aufgibt, ändert sich nichts. Denn die Bedingungen, die vor 25 Jahren zum Ausbruch des Krieges führten, sind immer noch vorhanden», sagt sie. «Die Briten hätten schon lange die Ursachen des Krieges beseitigen können: die Diskriminierung, die Armut, die undemokratischen Verhältnisse, die Ausnahmegesetze. Aber sie wollen nicht. Also wird es keinen Frieden geben, sondern nur eine trügerische Waffenruhe. Auch wenn die IRA jetzt ihre Waffen begräbt, holen die Jungen sie wieder hervor. Und dann beginnt alles von vom». Bernadette McAliskey ist zutiefst pessimistisch. «Die Briten», sagt sie, «wollen keine wirkliche Veränderung der Verhältnisse, sie wollen nur Ruhe». (pw)
PS: Dieser Beitrag erschien in der Septemberausgabe der schweizerischen Friedenszeitung «friz».