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Nordirland: Republikanische Attentate

Zwei Anschläge, aber kein Krieg

12. März 2009 | Auf wen haben es die republikanischen Militanten abgesehen, wenn sie – wie jetzt – Anschläge verüben? Die britische Regierung treffen sie damit jedenfalls nicht.

«Wir müssen nur einmal Glück haben», schrieb die irische Untergrundorganisation IRA im Jahr 1984, als Premierministerin Margaret Thatcher nur knapp einem Anschlag entgangen war, «sie aber immer.» So gesehen haben zwei IRA-Abspaltungen in den letzten Tagen gleich zweimal «Glück» gehabt, nachdem sie monatelang Attentate ohne den von ihnen erhofften Erfolg verübt hatten. Am Samstag erschoss ein Kommando der Real IRA, der «wahren IRA», zwei britische Soldaten, und am Montag tötete die Continuity IRA, die «fortdauernde IRA», einen nord­irischen Polizisten.

Natürlich sind die Verhältnisse der achtziger Jahre nicht mit den heutigen zu vergleichen. Damals herrschte in Nordirland ein Krieg, der von allen Seiten – vom britischen Staat, von den probritisch-protestantischen Loyalisten und der IRA – mit grosser Härte geführt wurde. Heute hingegen, knapp elf Jahre nach dem Karfreitagsabkommen von 1998, hat sich die britische Armee in die Kasernen zurückgezogen, sind die Wachtürme an der inneririschen Grenze abgerissen, gehört die britische Repression der Vergangenheit an. Heute amtiert in Belfast eine Regionalregierung, in der die ehemaligen Erzfeinde von der IRA-nahen Partei Sinn Féin und der rabiat-protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) den Ton angeben.

Dennoch kommen die Anschläge so überraschend nicht. Der Schulterschluss von Sinn Féin und DUP hat im irisch-republikanischen Lager viele AnhängerInnen des bewaffneten «Befreiungskampfs» erbittert. Hatten sie nicht lange Zeit gemeinsam mit den heutigen Sinn-Féin-Chefs gegen die britische Besetzung und für die irische Einheit gekämpft? Und was ist herausgekommen? Eine mittlerweile staatstragende Sinn Féin, die den britischen Nordirlandstaat akzeptiert und die alten Ziele verraten hat. So sehen es jedenfalls die Hardliner. Und so richten sich ihre Anschläge weniger gegen die Sicherheitskräfte als gegen die alten Gefährten wie die früheren IRA-Kommandanten Martin McGuinness (jetzt Vizechef der Regionalregierung) und Gerry Adams (jetzt Staatsmann). Ihre taktische Überlegung: Durch Operationen wie jene der letzten Tage wird die Sinn-Féin-Führung gezwungen, sich ganz auf die Seite der Sicherheitskräfte zu stellen, wenn sie von der DUP weiterhin geduldet werden will. Das aber, so die Hoffnung, könnte der Sinn-Féin-Basis – die der Staatsgewalt immer noch äusserst skeptisch begegnet – endlich die Augen öffnen.

Eine haarsträubende, selbstmörderische Politik, die wahrscheinlich nicht aufgeht. Denn die irisch-­katholische Bevölkerung hat genug vom Krieg und den britischen Vergeltungsmassnahmen, denen sie jahrzehntelang ausgesetzt war. Anders als in den achtziger Jahren findet der bewaffnete Kampf jetzt keinen Rückhalt mehr. Die republikanischen Desperados opfern sich und andere für eine Idee (irische Einheit), deren Zeit vorbei ist. Ausserdem: Wer will in Nord­irland schon den Anschluss an einen Staat, der fast bankrott ist?

Und doch reden manche nord­irischen PolitikerInnen von einem «Abgrund», in den man nun blicke. Woher diese Angst? Niemand spricht es offen aus, aber viele ahnen oder wissen es: Der Friedensprozess bewegt sich auf dünnem Eis. Angekommen ist er nur ganz oben, auf der politisch-parlamentarischen Ebene, im britisch-irischen Dialog, im nordirischen Parlament. Weiter unten haben die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen eher noch zugenommen. Noch nie gab es in Belfast so viele «Friedenslinien» genannte Mauern zwischen den protestantischen und katholischen Arbeitervierteln, in denen der Nord­irlandkrieg einst ausgetragen wurde. Unten ist auch die oft versprochene «Friedensdividende» nie angekommen: In den proletarischen Ghettos ist die Arbeitslosigkeit unvermindert hoch; Jugendliche aus irisch-katholischen Arbeiter­familien haben wenig Aussicht auf einen qualifizierten Arbeitsplatz, die Diskriminierung ist immer noch da. Das Misstrauen nimmt zu, weil es kaum politische Initiativen gibt, die die Kluft überbrücken könnten. Belfasts glitzernde Shopping-Malls können nicht darüber hinwegtäuschen: Der Hass wächst.

Der Krieg wird nicht zurückkehren. Einen Guerillakampf wie in den siebziger und achtziger Jahren können die IRA-DissidentInnen nicht führen. Ihnen mangelt es nicht nur an Unterstützung und Erfahrung – für eine lange Auseinandersetzung fehlt den politisch frustrierten und alten IRA-Kämpfern und ihren siebzehnjährigen Heissspornen der Atem. Sie werden zudem von ehemals aktiven IRA-Mitgliedern, die treu zur Sinn-Féin-Führung stehen, das Milieu kennen und mit den Sicherheitsdiensten kooperieren, genau beobachtet. Dies erklärt, weshalb in den letzten Jahren so viele Anschlagsversuche der Hardliner scheiterten. Bis diese jetzt, eher zufällig, mal «Glück» hatten.

Ganz von der Hand zu weisen ist die Gefahr für den britischen Frieden und die Obrigkeit jedoch nicht: Keine andere Bevölkerung im Vereinigten Königreich leidet derzeit so sehr unter dem Finanzcrash und der Wirtschaftskrise wie die nordirische. (pw)