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Nordirland: Trimbles zweites Ultimatum

Der heisse Hauch des Predigers

18. Juli 2002 | Bisher sind die protestantischen Märsche vergleichsweise friedlich verlaufen. Und doch ist das Friedensabkommen nicht sicher.

Der Aufruhr konnte sich sehen lassen. Steine sausten durch die Luft, Flaschen segelten hinterher, empörte DemonstrantInnen attackierten Polizisten, die Wasserwerfer auffahren liessen und Plastikgeschosse abfeuerten. Im Vergleich zu früheren Jahren aber verlief der Höhepunkt der nordirischen Marschsaison recht friedlich.

In Portadown zum Beispiel, wo der protestantische Oranierorden seit fünf Jahren nicht mehr von der kleinen Kirche von Drumcree kommend durch die katholische Garvaghy Road ziehen darf, wurden bei Scharmützeln laut Polizeiangaben lediglich 24 Beamte «und einige Zivilisten» verletzt. Auch in Belfast flackerten am Freitag nur vereinzelt Strassenschlachten auf. An jedem 12. Juli feiern Nordirlands ProtestantInnen den Sieg ihres Königs Wilhelm von Oranien über seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob (1690), und sie tun es besonders gern an jenen Stellen, wo sie den KatholikInnen so richtig schön zeigen können, wer Herr im Haus ist – in deren Wohngebiet nämlich.

In Westbelfast marschierten die Oranier durch die katholische Springfield Road. Dort flogen Holzprügel, Ziegel und Molotowcocktails (diesmal geworfen von den AnwohnerInnen), doch auch hier dauerte die Schlacht nicht lange. Und in Nordbelfast, wo letztes Jahr noch mehrere Nächte hindurch KatholikInnen gegen ProtestantInnen (und beide Seiten gegen die Polizei) gekämpft hatten, blieb es ausgesprochen ruhig – dank einem Grosseinsatz der IRA. Die hatte mehrere altgediente Kämpfer aufgeboten, um die aufgebrachten KatholikInnen zu beruhigen, wie der Belfaster Polizeichef lobend bemerkte.

Dass die grosse Auseinandersetzung diesmal ausblieb, hat mehrere Gründe. So beschränken sich die Auseinandersetzungen zwischen den BewohnerInnen der katholischen und der protestantischen Armutsquartiere längst nicht mehr nur auf die Feiertage im Oranierkalender. Zu Jahresbeginn und im Frühling – also lange vor Beginn der Marschsaison – hatte es an den Brennpunkten in Nord- und Ostbelfast mehrfach gekracht. In einem Fall verletzten Heckenschützen der IRA, die ihr Viertel bedroht sahen, fünf Protestanten. Es braucht also keinen 12. Juli mehr, keinen historischen Anlass, um auf den Gegner loszugehen. Dazu kommt, dass der Konflikt derzeit vermehrt parlamentarisch ausgetragen wird.

Trimbles Da Capo

So hat Regionalpremier David Trimble wieder einmal ein Ultimatum gestellt. Trimble verlangt, dass London die IRA-Partei Sinn Féin aus der nordirischen Mehrparteienregierung wirft. Seinem Verständnis nach zeigen die Schüsse im Mai, die Berichte über die IRA-Kolumbien-Connection und der letztjährige Einbruch in der wichtigsten Polizeiwache Nordirlands (den die Ermittlungsbehörden absurderweise der IRA anlasten), dass die IRA weiterhin aktiv ist.

Sinn Féin, so Trimble, habe damit gegen das am Karfreitag 1998 unterzeichnete Friedensabkommen verstossen. Tony Blair müsse noch vor der parlamentarischen Sommerpause handeln (sie beginnt Mitte nächster Woche), sonst werde er zurücktreten und mit seiner Partei, der gemässigten probritischen Ulster Unionist Party (UUP), alle Regierungsgeschäfte boykottieren.

David Trimble weiss natürlich, was er da tut. Er weiss genauso gut wie Blair, dass der Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams sehr daran gelegen ist, den Friedensprozess in Gang zu halten. Er weiss auch, dass Adams grosse Mühe hat, die wachsende Schar frustrierter IRA-Mitglieder zu bändigen, sie sich fragt, was das Karfreitagsabkommen eigentlich gebracht habe. Aber während die Sinn-Féin-Führung immerhin auf politische Erfolge verweisen kann (sie ist im irischen Parlament mit fünf statt vormals einem Abgeordneten vertreten), laufen ihm, dem Friedensnobelpreisträger Trimble, die WählerInnen davon. Schon die Unterhauswahl im Juni 2001 hatte ihm ein Desaster beschert. Seine Partei UUP verlor ein Drittel ihrer Sitze, während die Democratic Unionist Party (DUP) die Zahl ihrer Mandate von zwei auf fünf mehr als verdoppeln konnte. Die DUP aber ist die Partei des protestantischen Predigers Ian Paisley, der jeden Ausgleich, jedes Zugeständnis an die katholische Minderheit in Nordirland kategorisch ablehnt.

Nächster Premier Paisley?

Mit Paisley im Nacken, dessen Haltung übrigens auch eine Mehrheit der UUP-Unterhausabgeordneten teilt, muss Trimble nun in den nächsten Wahlkampf ziehen. Im Mai nächsten Jahres entscheidet die Bevölkerung Nordirlands über die Zusammensetzung des nordirischen Regionalparlaments. Die Auswahl der KandidatInnen beginnt im September, nach der Sommerpause. Nach dem im Karfreitagsabkommen festgelegten Modus stellt die stärkste Fraktion im Belfaster Parlament den Regionalpremier, die zweitstärkste Fraktion den Vizepremier. Da eine wachsende Mehrheit der ProtestantInnen den Friedensprozess ablehnt und zudem die katholisch-sozialdemokratische SDLP gegenüber Sinn Féin an Boden verliert, könnte der nächste Premier Ian Paisley heissen – und sein Stellvertreter Gerry Adams.

Ein Sieg des Predigers hätte verheerende Auswirkungen – für die UUP. Um Paisley zu stoppen, greift Trimble jedoch zu Massnahmen, die den Friedensprozess ebenfalls beenden könnten. So rächt sich allmählich, dass die Verantwortlichen in London, Dublin und Washington mit dem Karfreitagsabkommen ein Lösungsmodell entworfen haben, das allein auf die Führungsfiguren der verschiedenen nordirischen Gruppierungen zugeschnitten war und die Bevölkerung beiseite liess. Das Abkommen hatte ja allen alles versprochen (den ProtestantInnen die Union mit Britannien, den KatholikInnen die Wiedervereinigung mit Irland) in der Hoffnung, dass im Laufe der Zeit die Gegensätze geringer würden.

Doch die Gegensätze sind gewachsen – weil die, die den Krieg von ihren Ghettos aus geführt haben, mittlerweile jede Hoffnung auf die verheissene Friedensdividende verloren haben. Entlang der Belfaster Shankill Road, einer Hochburg der protestantischen Hardliner, liegt die Arbeitslosigkeit unvermindert bei siebzig Prozent. (pw)