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Nordirland: Oben Friede, unten Krach

Dauerzoff zwischen den Ghettos

6. Juni 2002 | Vier Tage dauerten die letzten Strassenschlachten in Belfast. Dabei hat die Marschsaison noch gar nicht begonnen.

Auf ihre Weise haben im Osten von Belfast Jugendliche die Feiertage zum Thronjubiläum der britischen Königin begangen: mit Handgreiflichkeiten, mit Steinen, mit Brandbomben und am letzten Abend auch noch mit Gewehren.

Die Auseinandersetzungen hatten bereits am Freitag begonnen, als probritische ProtestantInnen ihre Wimpel und Girlanden zu Ehren der Queen auch in unmittelbarer Nähe der irisch-nationalistischen Enklave Short Strand anbringen wollten. Short Strand liegt inmitten des überwiegend protestantischen Ostbelfast und ist an allen Seiten von hohen Mauern umgeben, der so genannten «Friedenslinie». Früher waren die rund zweitausend katholischen BewohnerInnen der Enklave immer wieder von ihren Nachbarn angegriffen worden – und am Gefühl der Bedrohung hat sich offenbar wenig geändert. Jedenfalls scheint im Zuge der Auseinandersetzungen der letzten Tage, an denen jeweils mehrere hundert Jugendliche beteiligt waren, auch das eine oder andere IRA-Mitglied mitgemischt zu haben. Polizeiangaben zufolge seien die Schüsse, die acht Personen verwundeten, aus Short Strand abgefeuert worden.

Während sich im Regionalparlament die PolitikerInnen aller Parteien immer besser verstehen und Konflikte oft einvernehmlich regeln, warten in den Arbeiter- und Armenvierteln von Belfast viele Jugendliche und junge Arbeitslose nur auf einen Anlass, um loszuschlagen. Anfang Mai zum Beispiel genügte schon die Übertragung des schottischen Pokalendspiels zwischen Celtic (vorwiegend katholisch) und Rangers (vorwiegend protestantisch) – kurz nach Abpfiff war in Nordbelfast die schönste Strassenschlacht im Gange.

Im Norden der nordirischen Hauptstadt sind protestantische Enklaven wie Tiger Bay von katholischen Wohnvierteln umgeben beziehungsweise katholische Enklaven wie Ardoyne von protestantischen – oftmals nur getrennt durch eine Strasse oder eine Mauer. Dort haben sich seit dem Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 die Spannungen zwischen den beiden Gemeinschaften noch verschärft. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Ulster; ihr zufolge haben bis zu zwei Drittel der 18- bis 25-Jährigen noch nie ein Gespräch mit Leuten von der anderen Seite geführt. Wozu auch? Mit einem Feind redet man doch nicht.

Das genau ist der Kern des Problems. An der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie haben die meisten die Lage mittlerweile begriffen: Die von den ProtestantInnen befürwortete Union mit Britannien ist mit dem Karfreitagsabkommen noch stärker geworden. Das sehen inzwischen selbst die protestantischen Hardliner so. Die VerfechterInnen eines gemeinsamen Irlands glauben hingegen, dass irgendwann einmal die katholische Bevölkerung die Mehrheit stellt und für einen Anschluss an den Süden stimmt.

Unten aber warten die Menschen immer noch auf ihre «Friedensdividende» in Form von Jobs und sehen sich unmittelbar bedroht. Vor allem die besonders loyal zur britischen Krone stehenden protestantischen Arbeiterjugendlichen sind davon überzeugt, dass sie «ins Meer getrieben» werden sollen. Die Führungen der loyalistischen Paramilitärs haben jedenfalls grosse Mühe, ihre Mitglieder im Zaum zu halten. Der Mord an dem katholischen Postboten Danny McColgan im Januar hat gezeigt, wie locker die Waffen sitzen.

Die Intensität der Auseinandersetzungen könnte zunehmen, wenn die Marschsaison so richtig beginnt – im Juli. Höhepunkt wird auch dieses Jahr wieder der Umzug des protestantischen Oranier-Ordens von Portadown sein. Seit 1995 hat der Marsch der Oranier von der Kirche von Drumcree durch die katholische Garvaghy Road immer wieder zu (mitunter schweren) Kämpfen geführt. Ein Kompromiss scheint auch jetzt ausser Reichweite: Noch immer lehnen es die Protestanten von Portadown ab, mit den KatholikInnen des Ortes auch nur zu reden. (pw)