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Britannien: Die Presse im Wahlkampf

«Nun wirds persönlich»

21. April 2015 | Für das Boulevardblatt «Daily Mail» ist die schottische Regierungschefin die «gefährlichste Frau in Britannien». Sie sei «scheinheilig». Über Ed Miliband von Labour ziehen die Medien ähnlich her. Warum?

Eine Zeit lang schwiegen die Geschütze. Als «Gewerkschaftsknecht» und «Brudermörder» hatten ihn die konservativen Zeitungen Britanniens vor viereinhalb Jahren bezeichnet, weil er seinen Bruder David mit Unterstützung der Trade Unions bei der Wahl um den Vorsitz der Labour Partei besiegte. Und natürlich als Sohn eines Mannes, «der Britannien hasste». Ed Miliband, dessen Vater Ralph ein wichtiger sozialistischer Denker gewesen war, schien eine Gefahr zu sein. Doch dann verebbte die Polemik: Der «Rote Ed» wurde belächelt, hin und wieder mit der Knetfigur Wallace aus den Animationsfilmen «Wallace and Gromit» verglichen (was gar nicht mal so abwegig war) und als kleiner ahnungsloser Streber in die Ecke gestellt. Eine Zeit lang schwiegen die Geschütze.

Das hat sich in den letzten Wochen geändert. Je näher die Unterhauswahl am 7. Mai rückt, desto heftiger attackieren die britischen Blätter den Labourvorsitzenden. Er sei unfähig, gefährde den wirtschaftlichen Aufschwung, vertreibe die Unternehmen, ramme der Wehrbereitschaft (wie einst seinem Bruder) den Dolch in den Rücken – ausserdem stecke er in der Tasche der schottischen NationalistInnen. Deren Chefin Nicola Sturgeon bekommt ebenfalls ihr Fett ab: Sie sei «anti-britisch», so ein Editorial des «Daily Telegraph» (Druckauflage: 511.000), «grössenwahnsinnig» (so die «Daily Mail», 1,7 Millionen), auf jeden Fall aber «arrogant», wie das auflagenstärkste Revolverblatt «Sun» (1,86 Millionen Exemplare) vergangene Woche schrieb.

Woher diese Ausfälle? Der bei weitem grösste Teil der britischen Printmedien ist seit jeher konservativ eingestellt, doch diese Töne sind neu. Und es gibt Gründe dafür. Erstens gehören die meisten Blätter milliardenschweren Verlegern, etwa den Barcley-Brüdern, Besitzer der «Telegraph»-Gruppe, dem US-australischen Medienzar Rupert Murdoch – der sich neben der «Sun» auch die «Times» (400.000 Exemplare), die «Sunday Times» (840.000) und «Sun on Sunday» (1,65 Millionen) hält – oder dem früheren «Porno-Baron» Richard Desmond, dem Eigentümer von «Daily Express» (400.000) und «Daily Star» (420.000). Sie alle verteidigen handfeste ökonomische Interessen, die sie bei der konservativen Partei von David Cameron gut aufgehoben sehen.

Der zweite Grund ist nicht weniger wichtig: Nach einem vom linksliberalen «Guardian» (Auflage: 177.000) enthüllten Abhörskandal kam die Regierung 2011 nicht umhin, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten: Über Jahre hinweg hatte Murdochs Boulevardpresse die Mobiltelefone von zahllosen, mehr oder weniger Prominenten überwacht. 2012 empfahl die Kommission einschneidende Massnahmen, darunter die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz mit Sanktionsmöglichkeiten. Cameron – der in den ersten fünfzehn Monaten seiner Amtszeit 26 Mal mit Murdoch und dessen GehilfInnen persönlich konferiert und und einen früheren Murdoch-Chefredaktor zum Pressesprecher gemacht hatte – lehnte die Empfehlungen rundweg ab; Ed Miliband versprach, sie umzusetzen. Danach erreichte eine Mail aus dem Hause Murdoch die Labour-Zentrale: «Ab sofort wirds persönlich».

Drittens aber sieht es so aus, als könnten Murdoch und Co. jetzt erstmals eine Wahl verlieren. Seit 1979 hatten Murdochs Zeitungen in Britannien stets die Partei unterstützt, die danach ins Amt kam – darunter Tony Blairs New Labour. Auch Blair war immer wieder bei Murdoch vorstellig geworden und hatte sich den Tarif durchgeben lassen. Doch jetzt ist alles offen. Selbst Boulevard-LeserInnen lassen sich nicht immer alles vorschreiben. (pw)