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Britannien: Zoff in der Sozialdemokratie

Zerrüttung bis hin zur Scheidung

13. Juli 2013 | Der Labour-Vorsitzende Ed Miliband und die grosse Gewerkschaft Unite haben sich in einen Konflikt treiben lassen, der nur der Parteirechten nützt – und den Tories.

Es ist schon erstaunlich. Da hat die regierende konservativ-liberale Koalition vor zwei Wochen eine atemberaubende Verlängerung der Austeritätspolitik bis 2018 angekündigt, die Gemeindebudgets um weitere zehn Prozent gekürzt und den Arbeitslosen noch mehr Unterstützung gestrichen. Und was tut die oppositionelle Labour-Partei? Sie zerlegt sich in einem Machtkampf, der den grossen Auseinandersetzungen Mitte der neunziger Jahre in nichts nachsteht. Damals hatte New Labour unter Tony Blair gegen den heftigen Widerstand der Parteilinken den programmatischen Artikel 4 (Verstaatlichung der Schlüsselindustrien) aus den Parteistatuten gekippt. Und nun will der rechte Parteiflügel – zum grossen Vergnügen der Konservativen – auch noch die traditionelle Verbindung zu den Gewerkschaften kappen.

Die 1900 von den Trade Unions gegründete Labour-Partei wurde anders strukturiert als die sozialdemokratischen Parteien Kontinentaleuropas. Sie bestand aus einem Bündnis von linken Gruppierungen, Vereinen, Gewerkschaften und lokalen Gliederungen; selbst die britische KP gehörte ihr in den zwanziger Jahren vorübergehend an. Lange Zeit gaben die der Partei angeschlossenen Gewerkschaften den Ton an, die auf ihren Jahreshauptversammlungen noch immer in schöner Regelmässigkeit die Erhebung eines politischen Beitrags beschliessen, der Labour zugutekommt. Ohne die finanzielle Unterstützung der Gewerkschaftsmitglieder wäre die Partei längst pleite. Dafür hatten die Gewerkschaften ein erhebliches Mitspracherecht – von dem auch der Labour-Vorsitzende Ed Miliband profitierte. Während sich 2010, nach der Wahlniederlage, Labour-Unterhausabgeordnete und -Einzelmitglieder mehrheitlich für Milibands Bruder David, einen Vertreter des blairistischen Flügels, als Parteivorsitzenden aussprachen, votierten die Gewerkschaften mit ihren Blockstimmen für Ed. Sie versprachen sich von ihm einen Kurswechsel: eine Abkehr von der neoliberalen New-Labour-Politik.

Blair ist immer noch da

Und nun der Konflikt – ausgerechnet zwischen Ed Miliband, dem Hoffnungsträger, und Len McCluskey, dem linken Chef der mit 1,5 Millionen Mitgliedern grössten britischen Gewerkschaft Unite. Der Anlass war vergleichsweise gering. Im schottischen Wahlkreis Falkirk suchte Labour eineN NachfolgerIn für einen Abgeordneten, der nach einer Schlägerei in einer Unterhausbar aus der Partei ausgeschlossen worden war. Als gesichert gilt, dass Unite ihre Mitglieder in Falkirk dazu aufrief, Labour als Einzelmitglieder beizutreten, um am Auswahlprozess teilnehmen zu können. Seit einem Jahr schon vertritt McCluskey diese Strategie des Entrismus – «damit endlich wieder mehr Arbeitervertreter im Parlament sitzen».

Eine berechtigte Forderung. Doch dann kamen im Parteivorstand, der weiterhin von Tony Blairs AnhängerInnen dominiert wird, Stimmen auf: Diese Neumitglieder hätten gar nichts von ihrem Beitritt gewusst, zudem würde Unite für deren Mitgliedsbeitrag aufkommen. Der Vorstand untersuchte kurz (ohne die Beschuldigten anzuhören), schrieb einen Bericht – und übergab ihn der Polizei. Das löste die bisher grösste Krise in Milibands Amtszeit aus. Die mehrheitlich konservativen Medien schrieben von «Stimmenkauf» und von einer Partei, die «unter der Fuchtel der Gewerkschaften» stehe.

Der Einfluss der MilliardärInnen

Dass es vor allem Blair war, der nach seiner Wahl zum Premierminister 1997 und der nachfolgenden Zentralisierung der Partei landauf, landab und oft gegen den Willen der Basis UnterhauskandidatInnen durchsetzte, sich und den Seinen regelmässig sichere Wahlkreise besorgte und im Jahr 2000 ohne die Billigung der Londoner Mitglieder die Bürgermeisterkandidatur von Ken Livingstone verhindern wollte – das alles thematisierte die Parteirechte in ihrem Report jedoch nicht. Dieser erwähnte auch nicht, dass inzwischen reiche SponsorInnen wie der Milliardär Lord Sainsbury erheblich mehr Einfluss auf Labours Auswahl des politischen Personals haben als die drei Millionen Mitglieder der Labour-nahen Gewerkschaften zusammen.

Der Konflikt um die Falkirk-Marginalie ist vor allem ein Kampf um den Kurs der Partei, die – auch aufgrund von Tony Blairs Einsatz für den Irakkrieg – im letzten Jahrzehnt über die Hälfte ihrer Einzelmitglieder verloren hat. Am Dienstag gab der angeschlagene Ed Miliband eine Neuregelung der Beziehungen zu den Gewerkschaften bekannt, die auf eine formale Trennung hinausläuft.

Überraschend kam dieser Schritt nicht. Unter dem Druck der alten Parteielite, die weiterhin auf Blair hört, hatte er erst vor kurzem die konservativen Austeritätspläne der Regierung weitgehend gutgeheissen. Und so könnte das passieren, was der grosse Gewerkschafter Jack Jones in den siebziger Jahren noch ausgeschlossen hat. Gefragt, ob eine Trennung von Labour und den Trade Unions denkbar sei, sagte er damals: Denkbar sei ein Mord, aber niemals eine Scheidung. So ändern sich die Zeiten. Für die linken Gewerkschaften ist das vielleicht gar nicht mal schlecht. McCluskey hat bereits angedeutet, dass der politische Beitrag beibehalten bleibt – aber künftig nicht mehr automatisch der ehemaligen Arbeiterpartei Labour zukommen werde. Das gäbe den Trade Unions die Möglichkeit, auch andere, zukunftsfähigere Projekte zu finanzieren. (pw)