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Britannien: Nachruf auf Michael Foot (1913-2010)

Der radikale Romantiker im Dufflecoat

11. März 2010 | Der britische Intellektuelle und Politiker Foot galt seinen Nachfolgern an der Spitze der Labourpartei als glatter Versager. Dabei sind seine Positionen ziemlich aktuell.

Wer weiss, ob sich heute noch viele BritInnen an das Gesicht von Michael Foot erinnern würden, wenn er damals nicht seine «Eselsjacke» angehabt hätte. So nannte die rechte Presse den Dufflecoat, den Foot am Remembrance Day 1981 zur Erinnerung an die Gefallenen der Weltkriege trug – ein Esel war er für den Boulevard sowieso.

Das Foto der distinguiert Trauernden vor dem Londoner Ehrenmal blieb im kollektiven Gedächtnis haften: Überall betroffene Gesichter über schwarzen Anzügen – aber neben Premierministerin Margaret Thatcher, ebenfalls ganz in Schwarz, Oppositionsführer Foot mit weisser Mähne, dicken Brillengläsern, kritischem Blick und eingepackt in die graue Wolljacke, die seinerzeit vor allem bei den einfachen Leuten beliebt war.

Ehrenhaft und fatal

Die Häme, die sich danach über den ach so unpassend gekleideten Labourvorsitzenden ergoss, war Foot egal. Um die Medienöffentlichkeit hatte sich der Journalist, Literat und Politiker, der am vergangenen Mittwoch im Alter von 96 Jahren starb, selbst als Labourvorsitzender nie gross gekümmert. Dem Grenzgänger zwischen Philosophie und praktischer Politik ging es immer nur um die Sache – um die ernsthafte Debatte, um die Auseinandersetzung mit der Tradition des britischen Radikalismus und um die Durchsetzung eines demokratischen Sozialismus. Das war ehrenhaft, aber auch fatal in einer Zeit, als das Fernsehen und mit ihm Bilder die öffentliche Wahrnehmung zu dominieren begannen.

Eigentlich hatte Foot, aufgewachsen in einer liberalen Upperclass-Familie (sein Vater war Abgeordneter der Liberal Party und Bürgermeister von Plymouth gewesen) alles andere als Politiker werden wollen. In Liverpool jedoch, wo er Mitte der dreissiger Jahre bei einer Reederei angestellt war und die Armut kennen lernte, trat er der Labour-Partei bei; danach liess er sich in London nieder und arbeitete als Journalist – zuerst für den «Evening Standard», später für die linke «Tribune», deren Chefredaktor er wurde. 1945 wurde er ins Unterhaus gewählt, in dem er mit kurzen Unterbrechungen bis 1992 sass.

In den fünfziger Jahren war er einer der Mitbegründer der Kampagne für atomare Abrüstung CND (er beteiligte sich auch später noch an den Antikriegsmärschen zur britischen Atomwaffenfabrik Aldermaston), später schrieb er Bücher (über Jonathan Swift, über George Gordon Byron, über grosse Arbeiterführer), aber er blieb Hinterbänkler – bis er 1974, schon über sechzig Jahre alt, ins Labourkabinett berufen wurde.

Als Arbeitsminister gab Foot – der sich in den Jahrzehnten zuvor gegen die Appeasementpolitik des britischen Establishments (gegenüber Nazideutschland), für die spanische Republik und gegen den Vietnamkrieg eingesetzt hatte – den Gewerkschaften die Rechte zurück, die ihnen die vorige konservative Regierung entzogen hatte. Er kämpfte mit linken Argumenten gegen den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und gegen das Diktat des Internationalen Währungsfonds IWF.

Mitte der siebziger Jahre – die britische Wirtschaft war wie andere Ökonomien in die erste Nachkriegskrise geraten – hatte die Mehrheit des Labourkabinetts von James Callaghan gegen den Widerstand von Foot und Energieminster Tony Benn eine Kreditaufnahme beim IWF beschlossen. Es folgte ein radikales Sparprogramm, gegen das sich die Beschäftigten mit zahllosen Streiks zur Wehr setzten, und das die Regierungspartei Labour nicht überlebte: 1979 gewann Thatcher die Unterhauswahl.

Visionäres Wahlmanifest

Durch die Labourpartei zog sich damals eine tiefe Kluft. Sollte die Linke in die Offensive gehen, für einen basisorientierten Sozialismus und mehr Staatsintervention einstehen, wie das Tony Benn verlangte? Oder Thachters monetaristischen Ansatz übernehmen, wofür der Labour-Pragmatiker Denis Healey plädierte? Zur Überraschung vieler wählten die Labourabgeordneten 1980 Foot zum neuen Parteivorsitzenden: Nur ein liebenswürdiger, ehrlicher, integrer und etwas harmloser Linker wie er, so dachten viele, könne eine Spaltung vermeiden.

Es war eine gute Wahl – obwohl Foot mitunter hilflos agierte (er unterstützte 1982 Thatchers Falklandkrieg gegen Argentinien) und 1983 mit Pauken und Trompeten unterging. Aber wer, wenn nicht der romantische Radikale mit der Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaftsordnung, hätte den parteiinternen Zwist um die Machtbeziehungen zu den USA, um Einkommenspolitik, staatliche Aufgaben und einseitige Abrüstung glätten können? Bei der Unterhauswahl 1983 erlebte die Labourpartei unter seiner Führung jedoch ihre grösste Schlappe seit langem: Gerade mal 28 Prozent der WählerInnen stimmten für Foots Partei.

Sein Wahlmanifest sei «der längste Abschiedsbrief in der Geschichte gewesen», kritisierte die Labourrechte – und so denunzierten die nachfolgenden Parteivorsitzenden Neil Kinnock, John Smith, Tony Blair und Gordon Brown alle linken Ansätze als mehrheitsfeindlich und parteischädlich. Dabei enthielt das Wahlprogramm 1983 durchaus zukunftsträchtige Elemente: Es sah mehr öffentliche Investitionen und Beschäftigungsprogramme vor, plädierte für Energiesparmassnahmen und die Verstaatlichung unverantwortlich agierender Finanzinstitute und forderte eine striktere Kontrolle der Märkte und Unternehmen.

In der Krise setzt der bedrängte Premier Brown nun zumindest teilweise das um, was der grosse Versager Michael Foot vor 27 Jahren offensiv und ziemlich voraussehend wollte. Offenbar hat der Mann im Dufflecoat die Grundstimmung der britischen Bevölkerung doch nicht so falsch eingeschätzt. (pw)