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Britannien: Zwanzig Jahre Bergarbeiterstreik

Margaret Thatchers grösster Triumph

1. März 2005 | Ohne die Niederlage der Bergarbeiter vor zwanzig Jahren hätte sich der Neoliberalismus in Europa so leicht nicht durchsetzen können.

5. Februar 1985, 6 Uhr morgens. In Easington, einem kleinen Bergarbeiterdorf am Rande der Nordsee, hatten sich dreihundert Bergarbeiter und eine Hand voll SympathisantInnen versammelt. Es war bitterkalt, auf den Strassen lag Schnee, die Menschen froren in ihren dünnen Jacken und Hosen. Manche waren aus Nachbardörfern gekommen oder (wie ich) aus Durham, dem Hauptort der gleichnamigen Grafschaft, angereist. Wir standen im gleissenden Licht mehrerer Polizeischeinwerfer, hinter denen sich rund zweihundert Polizisten in Kampfmontur postiert hatten. Plötzlich, kurz vor sieben Uhr, drängte die Truppe vor und bahnte einem kleinen Konvoi den Weg – ein gepanzerter Polizeiwagen tauchte auf, gefolgt von einem allseits vergitterten Bus, in dem ein Dutzend Streikbrecher sassen. Die Menge rückte vor, rief «Scabs, scabs, scabs!», dann war der Spuk auch schon vorbei. Ein paar Wagemutige warfen Schneebälle hinterher, aber mehr traute sich keiner zu tun; viele der Streikposten waren schon vor Gericht gezerrt worden.

Die Scabs, die von der Regierung und den meisten Medien verhätschelten Streikbrecher, hatten keinerlei praktische Bedeutung – eine Zeche kann nicht von einer Hand voll Leute betrieben werden. Aber dass sich seit Beginn des Winters immer mehr Bergarbeiter – die meisten aus schierer Not – von der Polizei aufs Zechengelände eskortieren liessen, hatte enorme Auswirkungen. Denn da gaben Leute auf, die Kumpel waren.

Die es nicht mehr aushielten, tagein, tagaus mit blossen Händen die Abraumhalden nach Kohle zu durchsuchen, weil es die Familie daheim zumindest ein bisschen warm haben sollte, wenn es schon nicht genug Essen gab. Dass der Ausstand unter diesen Umständen nicht mehr lange durchgehalten werden konnte, dämmerte Anfang Februar 1985 auch den militantesten Streikposten. Er dauerte dann auch nur noch einen Monat lang. Aber warum war es überhaupt zum Streik gekommen? Die Antwort ist zehn Jahre früher zu suchen. Bei ihrem letzten Streik 1974 (es ging um Lohnfragen) hatten die Bergarbeiter der damaligen konservativen Regierung unter Edward Heath eine verheerende Niederlage beigebracht. Mitten im Ausstand hatte Premier Heath eine Neuwahl unter der Parole anberaumt: «Wer soll das Land regieren – wir oder die Miners?» Er verlor die Wahl.

Margaret Thatcher, seine Nachfolgerin an der Spitze der Konservativen Partei, wollte es nie wieder so weit kommen lassen. Und so plante sie noch vor ihrer Wahl zur Premierministerin 1979 die Auseinandersetzung mit der National Union of Mineworkers (NUM).

Ein Jahr im Ausstand

Die NUM war damals die wohl stärkste Gewerkschaft in Europa – nicht weil sie besonders militant gewesen wäre (politisch links waren die britischen Bergarbeiter nie gewesen; auch dann nicht, als sie Arthur Scargill 1981 zu ihrem Präsidenten wählten), sondern weil ihre Kampfkraft auf der Geschlossenheit kleiner Gemeinschaften beruhte.– der britische Bergbau war eine dörfliche Industrie –, für die Solidarität und Kollektivität zentrale Werte waren. Genau dagegen musste Thatcher angehen, wenn sie ihre Vorstellungen von Individualismus, Monetarismus und der reinen Marktwirtschaft durchsetzen wollte. Also liess sie die Polizei aufrüsten, grosse Kohlelager anlegen, eine Reihe Kohlekraftwerke auf Gasbetrieb umstellen, Verträge mit Kohlelieferanten im Ausland schliessen (während des Streiks wurde vor allem deutsche, polnische und US-amerikanische Kohle importiert) und an der Ostküste kleine Häfen ausheben oder instand setzen, in denen die organisierten Docker nichts zu sagen hatten. Der bis dahin wichtigste Energieträger Kohle sei unrentabel, liess sie verlauten, die Zukunft gehöre der Atomkraft und dem Gas.

1981 startete die Tory-Regierung einen ersten Versuchsballon. Ihr Vorhaben, gleich mehrere «unrentable» Zechen vor allem in Südwales zu schliessen, scheiterte jedoch. Erst Anfang 1984 fühlte sich Thatcher stark genug. Am 6. März verkündete die staatliche Kohlebehörde unter Bruch aller bisherigen Vereinbarungen die Schliessung der Cortonwood Colliery in Yorkshire. Die NUM von Yorkshire rief daraufhin den Streik aus; der Aufruf wurde in den Kohleregionen von Schottland, Wales, Kent, Durham und Lancashire schnell befolgt, nur in den Midlands nicht. In Nottinghamshire und Derbyshire hatte die Kohlebehörde viel Geld investiert und den Beschäftigten der «hochproduktiven» Zechen erhebliche Lohnerhöhungen versprochen für den Fall, dass anderswo «unrentable» Gruben geschlossen werden.

Bis heute zerstritten

Rund 40.000 Kumpel versorgten also die Stromwirtschaft des Landes weiterhin mit Energie, während die übrigen 130.000 Bergarbeiter von einer militarisierten Polizei in Schach gehalten wurden, die Autobahnen sperrte, Häuser durchsuchte und tausende von Streikposten festnahm. Ein Jahr lang standen die Kohlereviere des Landes unter Ausnahmezustand. Die Regierung konfiszierte die Gelder der NUM, die Medien bliesen zur Jagd auf Arthur Scargill, die Miners waren der «enemy within», der Hauptfeind im Land. Dieser Macht konnten die Bergarbeiterfamilien nur ihre Entschlossenheit entgegensetzen. Die Solidarität war gross, auch im Ausland sammelten GewerkschafterInnen für die Not leidenden Miners. Nur die Unterstützung der Lastwagenfahrer, Stahlkocher, Lokführer und Stromwerker blieb aus; sie wäre entscheidend gewesen.

Am 6. März 1985 votierte die NUM-Konferenz mit 98 zu 91 Stimmen für eine Rückkehr in die Zechen. Danach war das Schliessungsprogramm nicht mehr zu stoppen, auch in den Midlands machten Gruben dicht. Nach den Miners besiegte die Regierung auch die EisenbahnerInnen, die DruckerInnen und die Docker. Margaret Thatcher hatte freie Bahn. Später interessierte niemanden mehr, dass die Miners Recht gehabt hatten mit ihren Warnungen. Thatcher wolle erst die NUM, dann den gesamten Bergbau und schliesslich die Gesellschaft zerstören, hatte Scargill gesagt. Für die Führung der Labour-Partei war er daraufhin nur noch ein Spinner.

In einigen der ehemaligen Kohlerevieren sind die Wunden nicht verheilt, die das Gegenüber von Streikposten und Streikbrechern geschlagen hat. In manchen Fällen geht der Riss sogar mitten durch Familien, dort haben Brüder seit zwanzig Jahren kein Wort mehr gewechselt. In Nottinghamshire kommt es heute noch zu Schlägereien. Erst im letzten Sommer starb dabei ein ehemaliger Bergarbeiter. (pw)