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Britannien: Blairs neuer Krieg

Mit Blendgranaten gegen die BBC

24. Juli 2003 | David Kelly war ein erfahrener Unterhändler. Doch dann scheiterte er. Wer hat ihn im Stich gelassen?

Er war ein Fachmann auf dem Gebiet der Mikrobiologie, ein integrer Wissenschaftler, dem Staat treu ergeben. Und er kannte keine Angst. Von 1991 bis 1998 war er 37-mal als Waffeninspektor im Irak, oftmals als Chef eines Inspektionsteams der Vereinten Nationen. Er widerstand den Drohungen der irakischen Behörden genauso wie dem Druck der Regierungen in Washington und London, die gern mehr belastende Resultate gesehen hätten; er schloss die Existenz von irakischen Massenvernichtungswaffen nie aus, betonte aber stets, dass keiner seiner Inspektoren je eine mit Biowaffen bestückte Rakete gesehen hätte.

Mutig war er also – und doch hat sich David Kelly am Donnerstag letzter Woche die Pulsadern aufgeschnitten. Warum? Diese Frage beschäftigt die britische Öffentlichkeit seit Tagen. Kelly, so viel ist sicher, war unversehens zwischen die Fronten eines neuen Kriegs geraten, eines Kriegs, den die britische Regierung gegen die öffentlich-rechtliche TV- und Radioanstalt BBC angezettelt hat.

Die Auseinandersetzung sollte ursprünglich als Nebenschauplatz dienen – ganz nach dem bewährten Drehbuch der Spindoctors von New Labour, den Image-Drechslern, die unangenehmen Fragen gern ausweichen, indem sie die FragestellerInnen attackieren oder die Aufmerksamkeit auf andere Themen lenken. Schon vor Beginn des Irak -Kriegs hatte es in der britischen Öffentlichkeit erhebliche Zweifel an der von der Regierung behaupteten Existenz von irakischen Massenvernichtungswaffen gegeben.

Die Kritik wuchs, als Tony Blair Anfang Februar ein Dossier vorlegte, das als «Beleg» für Bagdads Aufrüstung Zitate aus der Semesterarbeit eines Studenten anführte, die dieser schon vor Jahren verfasst hatte. Und sie verstummte auch nicht, als Blair dem Unterhaus versicherte, Saddam Hussein könne innert 45 Minuten biologische und chemische Waffen einsetzen. Aber eine Reihe von skeptischen Labour-Abgeordneten glaubte dem Bericht – und akzeptierte den Kriegskurs der Regierung. David Kelly muss jedoch so seine Zweifel gehabt haben. Jedenfalls traf er sich am 22. Mai mit dem BBC-Reporter Andrew Gilligan, der eine Woche später in einer Radiosendung von einem «britischen Beamten» berichtete, nach dessen Aussage der von Blair zitierte Geheimdienstbericht auf Intervention der Regierung verändert worden sei. Kurzum: Downing Street habe die irakische Gefahr aufgebauscht.

Der Fall Tisdall

Spätestens mit der von Gilligan nachgereichten Behauptung, Blairs Propagandachef Alastair Campbell habe seine Finger im Spiel gehabt, begann eine Schlammschlacht. Die Regierung verlangte Beweise für diese Behauptung; die BBC müsse umgehend die Identität ihres Informanten preisgeben. Die BBC-Verantwortlichen lehnten zu Recht ab: Der Schutz ihrer InformantInnen gehe vor.

Ältere BBC-RedaktorInnen werden sich dabei wohl auch an Sarah Tisdall erinnert haben. Anfang der achtziger Jahre hatte Tisdall, Sekretärin im Verteidigungsministerium der damals konservativen Regierung, die Tageszeitung «Guardian» über den Zeitpunkt der Stationierung von US-amerikanischen Cruisemissiles in Britannien informiert. Die Zeitung publizierte den Termin.

Dann aber gab der damalige Chefredaktor des «Guardian» einem Gerichtsurteil nach und verriet die Informantin. Tisdall wurde auf der Basis der damaligen Version des Official Secrets Act, der selbst die Preisgabe von nebensächlichen Informationen (wie die Farbe des Teppichbodens im Ministerzimmer) unter Strafe stellt, zu sechs Monaten Haft verurteilt. Inzwischen wurde das Gesetz leicht entschärft (manche Minister führen inzwischen recht gern ihre Teppichböden vor), aber Informationen über «sensible Bereiche» stehen weiter unter Verratsverdacht.

Verletzung der Fürsorgepflicht

Kelly, der unpolitische Wissenschaftler, wollte in diese Schlacht nicht hineingezogen werden; er informierte seine Vorgesetzten, dass er mit Gilligan gesprochen habe, und wurde daraufhin von Regierungsbeamten tagelang verhört. Kurz danach lüftete das Verteidigungsministerium das Geheimnis um die Identität des BBC-Informanten – eine flagrante Verletzung seiner Fürsorgepflicht. Kelly wurde den Wölfen vorgeworfen und vor einen Untersuchungsausschuss geschleppt, stritt verständlicherweise vieles ab und sah offensichtlich nur noch einen Ausweg. Was er tatsächlich gesagt hatte, wird wohl kaum noch festzustellen sein.

Wurde er richtig zitiert? Hat die BBC ihre Story aufgebauscht und «sexier» gemacht, also genau das getan, was sie der Regierung vorwirft? Ist der Fall Blair in Wirklichkeit ein Fall BBC? Nachdem die BBC unter grossem Druck zugab, David Kelly sei tatsächlich der Hauptinformant von Gilligan gewesen, bekam die Regierung Oberwasser: eine dürftige Story mit einer ungesicherten Quelle, aus der nichts mehr sprudelt.

Doch an Glaubwürdigkeit haben Blair und Campbell dadurch nicht gewonnen. Die BBC steht zwar unter Beschuss, aber es schiessen vor allem eine Regierung, die in ihren Begründungen für den Irak -Krieg die Öffentlichkeit nachweislich mehrfach hinters Licht geführt hat, und die konservativen Massenblätter des Medienzars Rupert Murdoch. Murdoch fordert seit langem die Genehmigung einer terrestrischen Ausstrahlung seiner bisher satellitengestützten Fernsehsender, um BBC zu konkurrenzieren. Da kann etwas Schützenhilfe für Blair nicht schaden. Und New Labour attackiert, weil sich die BBC, die während des Irak-Kriegs durchaus regierungsnah berichtete, immer wieder auf ihren Ruf als Institution mit verlässlicher, unparteiischer Berichterstattung besinnt – sich also mitunter den Spindoctors der Regierung entzieht. In Downing Street 10 liegen dem Vernehmen nach bereits Pläne bereit, die BBC zu privatisieren. Ein ramponierter Ruf käme da gerade recht.

Ohne Verteidigung aber nutzt der beste Angriff nichts. Deshalb hat die Regierung nun den konservativsten aller Lordrichter mit der Aufklärung der Umstände beauftragt, die zu Kellys Tod führten. Lord Brian Hutton hatte einst nordirische Regierungen beraten in einer Zeit, als dort noch ein Apartheidregime herrschte und alle verurteilt wurden, die das Regime kritisierten. (pw)