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Britannien: Blair allein an der Front

«Was sollen wir dort?»

15. August 2002 | Premierminister Tony Blair hat ein Problem: Nicht nur die Bevölkerung, auch die Generäle wollen keinen Krieg gegen den Irak.

Labour-Chef Tony Blair ist ein Populist und ein vorsichtiger Mann. Aus diesem Grunde lässt sein Büro in der Downing Street 10 regelmässig in meist geheim gehaltenen Umfragen die öffentliche Meinung testen. Die letzte Umfrage dürfte ihm, der momentan über einem Beitritt Britanniens zur Euro-Zone brütet, etwas Vergnügen, aber auch viel Kopfschmerzen bereitet haben. Heraus kam nämlich erstens, dass der Euro populärer ist als die vehement europafeindliche konservative Opposition. Zweitens aber ergab der Meinungstest, dass sein Lieblingspräsident George W. Bush noch unpopulärer ist als die Tories – und die finden gerade mal dreissig Prozent Zustimmung. Das könnte auf Dauer gefährlich werden. Blair hatte sich in der Vergangenheit wenig darum geschert, dass viele BritInnen ihn als Schosshund der US-Regierung verspotten. Aber kann er auf Dauer als Schosshund eines US-Präsidenten überleben, den die Mehrheit der britischen Bevölkerung für dumm und arrogant hält?

Schlimmer noch: Nicht nur die Bevölkerung widersetzt sich zunehmend seinem Wunsch, an Bushs Seite gegen den Irak in den Krieg zu ziehen. Die Opposition reicht dieses Mal tief hinein in die Partei und den Regierungsapparat. Alle gesellschaftlichen Kräfte äussern immer lauter ihre Kritik an den kriegerischen Plänen in Washington und London. Dass religiöse Bedenkenträger opponieren würden, war ja zu erwarten. Aber dass gleich 3000 Klerikale, darunter katholische und anglikanische Bischöfe samt dem Erzbischof von Canterbury (dem religiösen Führer der anglikanischen Kirche), den geplanten Krieg als «unmoralisch und illegal» erklären – das hat in Downing Street dann doch überrascht. Schärfer können Kirchenleute kaum urteilen.

Massenvernichtungswaffen? Tatsächlich?

Fast noch dramatischer äussern sich die Militärs. In einem Zeitungsartikel warnte General Sir Michael Rose (ehemaliger Chef des britischen Sonderkommandos SAS und der Uno-Truppen in Bosnien) unter der Schlagzeile «Der Wahnsinn eines Krieges gegen den Irak» vor den «riesigen politischen und militärischen Risiken» eines Militärschlags.

Der frühere Generalstabschef, Feldmarschall Lord Bramall, ging ebenfalls an die Öffentlichkeit. In einem Leserbrief an die «Times» zitierte er einen seiner Vorgänger, der während der Suez-Krise 1956 gesagt hatte: «Natürlich können wir nach Kairo marschieren. Aber ich will wissen, was zum Teufel wir tun werden, wenn wir dort sind.» In Britannien geben pensionierte Generäle in der Regel exakt das wieder, was die heute Kommandierenden denken. Die Militärs fragen sich nicht nur, was auf einen Angriff folgen könnte – sie sind auch keineswegs überzeugt davon, dass Saddams Regime, wie in Washington behauptet, über Massenvernichtungswaffen verfügt. Hatte nicht kürzlich sogar Scott Ritter, der Hardliner unter den früheren US/UN-Waffeninspektoren im Irak, eine solche Möglichkeit ausgeschlossen?

Aus dem Tritt

Blair kann nicht einmal mehr die eigenen Truppen kontrollieren. Über 160 Unterhausabgeordnete, darunter 130 Mitglieder der Labour-Fraktion, haben mittlerweile einen Antrag unterschrieben, der einen Waffengang verhindern will. Das sind mehr als je zuvor. Auch im Kabinett wächst der Widerstand. Entwicklungshilfeministerin Clare Short will dem Vernehmen nach zurücktreten, wenn Bagdad bombardiert wird. Aussenminister Jack Straw hat grosse Bedenken, sein Vorgänger Robin Cook lehnte eine Offensive ebenfalls ab, und selbst Schatzkanzler Gordon Brown – Blairs Erzrivale – signalisiert Ablehnung. Sie wissen um die Stimmung an der Basis.

Die wichtigsten Gewerkschaftsführer des Landes haben bereits beschlossen, den Gewerkschaftstag des Dachverbandes TUC im September in eine riesige Antikriegskonferenz zu verwandeln und – falls das nichts hilft – den Labourparteitag im Oktober zu einem klaren Votum zu zwingen.

Auch die üblichen Verdächtigen machen mobil. Tony Benn, Tariq Ali, John Pilger, Harold Pinter und Jeremy Corbyn gehören ebenso der «Stop the War Coalition» an wie die Fire Brigades Union, die politisch radikalste Gewerkschaft des Landes, die schon 1991 gegen den Golfkrieg mobilisierte. Die Koalition plant am 28. September eine Grossdemonstration in London. Fast schon in Vergessenheit gerät angesichts der breiten Bewegung, dass Britannien seit zehn Jahren den Irak militärisch attackiert. Ende Juli bombardierten US-Flugzeuge, begleitet von britischen Kampfjets, eine Telekommunikationsanlage im Irak. Es war der sechste Angriff innerhalb eines Monats. (pw)