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Britannien: Der Wahlkampf 2001 wird unterhaltsam

Oldham grüsst New Labour

31. Mai 2001 | Die Labourregierung von Tony Blair und die konservative Opposition setzen im Wahlkampf auf Fremdenfeindlichkeit. Ein verheerendes Konzept.


So haben sich Tony Blair und seine Imageberater den Wahlkampf ganz gewiss nicht vorgestellt. Statt Kinder zu küssen und Hände zu schütteln, geriet die Führungsriege der Labour-Partei vor zwei Wochen unversehens mitten hinein ins Leben. Die Probleme begannen mit einem Ei und dem gezielten Faustschlag des Vizepremiers John Prescott – offensichtlich sind nicht alle BritInnen von der bisherigen Regierungspolitik so angetan wie die Regierenden selbst. Das merkte auch Premierminister Tony Blair, als ihm eine Frau den Weg in ein Spital versperrte und vor laufenden Kameras wissen wollte, weshalb der Premier das staatliche Gesundheitswesen so zuschanden reite. Wenige Tage danach wurde der Labour-Vorsitzende von einem Studenten bedrängt, der beharrlich die Einführung von Studiengebühren kritisierte und partout nicht verstehen wollte, warum Labour zwar Geld für einen Millennium Dome, aber keines für Studierende aus der Arbeiterklasse übrig habe.

Dann folgte Schlagzeile auf Schlagzeile. Die Medien berichteten über den 100. Fall einer Creutzfeld-Jacob-Erkrankung (Folge des Rinderwahnsinns BSE), über neue Fälle der Maul- und Klauenseuche (die noch lange nicht besiegt ist), über gigantische Forderungen des privatisierten Eisenbahnunternehmens Railtrack (das noch in diesem Jahr bis zu zehn Milliarden Euro Subventionen von der öffentlichen Hand verlangt, gleichzeitig aber rund 280 Millionen Euro Dividende ausbezahlt). Und dann rebellierten am Wochenende auch noch Jugendliche asiatischer Herkunft in der nordenglischen Stadt Oldham.

Randale in der «Problemzone»

Die Strassenkämpfe in Oldham haben auf den ersten Blick nichts mit der grossen Politik zu tun. Sie begannen mit einem kleinen Streit, der schnell eskalierte in dieser Stadt mit über vierzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit; rechtsgerichtete Weisse schlugen sich mit den Kids pakistanischer und bengalischer EinwandererInnen, die die rassistischen Übergriffe schon länger nicht mehr hinnehmen und ihr Quartier auch verteidigen – nicht gegen Weisse (wie viele KorrespondentInnen derzeit schreiben), sondern gegen weisse RassistInnen.

Zu Strassenschlachten kam es, als eine Sonderabteilung dieser Rassisten (in Form der Polizei) den Streit mit massivem Einsatz schlichten wollte. Das klingt übertrieben, ist es aber nicht. Denn erst vor wenigen Jahren, Anfang 1999, bescheinigte eine unabhängige Untersuchungskommission unter Vorsitz von Sir William Macpherson den britischen Behörden (und insbesondere der Polizei) «institutionellen Rassismus»; im Dezember 2000 wiederholte Herman Ouseley, vormals Präsident der «Kommission für Rassengleichheit», die Anschuldigung und fügte hinzu, dass die Blair-Regierung seit Macphersons Bericht nichts unternommen habe.

Die ehemalige Textilstadt Oldham bei Manchester gilt seit langem als «Problemzone» – vor allem deswegen, weil sich dort junge BritInnen asiatischer Herkunft nicht mehr alles gefallen lassen. Sie haben auch genug davon, dass auf ihrem Rücken Politik betrieben wird. Schon zu Beginn dieses Wahlkampfes suchten die von Meinungsumfragen bedrängten Konservativen ihr Heil, indem sie – wie so oft in den letzten Jahrzehnten – auf die rassistische Karte setzten.

Weg mit den Flüchtlingen

Das Land werde von «Scheinasylanten» überschwemmt, ereiferte sich der glücklose Tory-Chef William Hague und traf damit doch keinen Gegner. Denn die Labour-Partei hat auch auf diesem Gebiet die Rechte politisch übertrumpfen können. Labours 1999 verabschiedetes Einwanderungs- und Asylgesetz geht in wesentlichen Teilen weit über frühere Tory-Regelungen hinaus. Seit Blairs Amtsantritt wurden neue Gefängniszentren für Asylsuchende gebaut und noch mehr Menschen deportiert als früher; zudem müssen nunmehr alle AsylbewerberInnen ihren Lebensunterhalt durch Gutscheine bestreiten, die – auch das ist Labour-Politik – nicht mehr der Staat, sondern der multinationale Sodexho-Marriott-Konzern ausgibt.

Wir wollen nicht noch mehr von euch – diese Botschaft ist nicht nur in Oldham angekommen. Und damit die ethnischen Minderheiten auch ja nicht vergessen, wo ihr Platz in der britischen Gesellschaft ist, verlangen Labours Innenminister Jack Straw und Tory-Chef Hague unisono eine Revision der Genfer Flüchtlingskonvention.

Von einem Zusammenhang zwischen den Konflikten in Oldham und der grossen Politik sprachen am Wochenende nur die Liberalen Demokraten. Hagues rassistische Parolen hätten die lokalen Probleme verschärft, sagte ein Sprecher der drittgrössten Partei im Unterhaus (und wurde dafür von den beiden anderen Parteien heftig kritisiert). Es klingt wie ein Witz, kennzeichnet aber die politische Landschaft: Die Liberalen Demokraten, die erst durch eine Abspaltung von rechten Labour-Abgeordneten Anfang der achtziger Jahre an Bedeutung gewannen, stellen mittlerweile die linke Opposition im Parlament. Sie sind – als dritte Partei im Mehrheitswahlsystem – auch diesmal chancenlos. Dabei teilen die meisten BritInnen ihre liberaleren Positionen. Die Bevölkerung ist laut einer Untersuchung der Tageszeitung «Guardian» toleranter als Labour und die Tories; die Mehrheit hat nichts gegen eine weitere Zuwanderung einzuwenden. Jedenfalls noch nicht. (pw)