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Mehr Gift auf den Tellern
EU-Handelspolitik: In die völlig falsche Richtung
10. Oktober 2025 | Derzeit mobilisieren die bürgerlichen Parteien und Politik:innen für eine Unterzeichnung des EU-Handelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. An die Folgen denkt niemand.
Es gab einst große Proteste gegen die Pläne der EU, mit anderen Staaten und Wirtschaftsräumen sogenannte Freihandelsabkommen zu schließen. So demonstrierten etwa im Jahr 2015 rund 250.000 Menschen gegen die geplanten Handelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA). Im Jahr danach gingen in sieben deutschen Großstädten (darunter auch in Stuttgart) über 300.000 Leute auf die Straße. Der Widerstand war erfolgreich: TTIP scheiterte, CETA ist bis heute nur teilweise in Kraft, und auch das von fünfzig Regierungen geheim verhandelte internationale Dienstleistungsabkommen TiSA verschwand sang- und klanglos in der Versenkung.
Und heute? Heute regt sich ebenfalls Widerspruch – jetzt gegen das von der EU und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay vereinbarte EU-Mercosur-Abkommen. Zivilgesellschaftliche Organisationen von Greenpeace, attac, Misereor, Brot für die Welt, PowerShift über die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) bis hin zu den Gewerkschaften kritisieren – wie weitere 400 internationale NGOs – die Vereinbarungen als ausbeuterisch, klimaschädlich, menschenfeindlich, neokolonialistisch.
Doch die Öffentlichkeit nimmt kaum Notiz. Woran liegt das? Hat es mit den vielen anderen Krisen, Kriegen und Konflikten zu tun, die die Menschen und Medien umtreiben? Oder mit der Zollpolitik des (freundlich formuliert) autokratischen und erratischen US-Präsidenten, die völkerrechtlich verbindliche Handelsabkommen als verlässliche Alternative zur wirren Handelspolitik der USA erscheinen lässt? Die Mainstream-Medien jedenfalls, die an früheren EU-Handelsabkommen noch Zweifel zuliessen, sind unisono für den Deal.
Weniger Regenwald, mehr Gift
Dabei gefährdet der unser aller Zukunft, wie eine nähere Betrachtung zeigt. Hier ein paar Fakten und Aspekte:
– Das von der EU-Kommission und der deutschen Regierung mit Verve vorangetriebene Handelsabkommen mit den Mercosur-Ländern wäre das größte seiner Art: Es betrifft 774 Millionen Menschen – und soll, so will es die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, noch in diesem Jahr von den EU-Staaten und dem EU-Parlament abgesegnet werden.
– Der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und den Ländern des Wirtschaftsraums Mercosur ist von krassen Unterschieden geprägt: Während der Export der EU (mit seinen Ein- und Ausfuhren immer noch der stärkste Handelsblock der Welt) nach Südamerika zu über 80 Prozent aus Industrieerzeugnissen – Autos, Chemikalien wie Pestizide, Maschinen – besteht, importieren europäische Unternehmen von dort vor allem landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe: Sojabohnen, Kakao, Kaffee, Zucker, Rindfleisch.
– Dieses Ungleichgewicht, das an koloniale Zeiten erinnert, wird durch das geplante EU-Mercosur-Abkommen weiter zementiert: In Lateinamerika konzentrieren sich die Wirtschaftssysteme auf den Agrarsektor, der künftig noch weiter wachsen wird, und den Bergbau – also auf den Export von Rohstoffen. Gleichzeitig werden im industriellen Bereich Arbeitsplätze wegfallen. So befürchten die argentinische Gewerkschaften den Verlust von rund 200.000 Jobs.
– Aber nützt der Abbau von Zöllen durch das EU-Mercosur-Abkommen nicht wenigstens dem Wirtschaftswachstum, wie vielfach behauptet wird? Die Zahlen zeichnen ein anderes Bild: Bei allen Handelsabkommen der EU mit lateinamerikanischen Staaten (wie Mexiko, Chile, Peru oder Kolumbien) wuchs in der Folgezeit die Wirtschaft in den EU-Mitgliedsländern um gerade mal 0,01 Prozent, in den südamerikanischen Ländern um höchstens 0,2 Prozent.
– Der beabsichtigte Deal nutzt den nationalen Ökonomien also wenig bis gar nichts. Aber er schadet auf mehreren Ebenen. So wird künftig noch mehr Regenwald abgeholzt als bisher – vor allem für den Anbau und die Ausfuhr genetisch veränderter Pflanzen (wie Soja) und für mehr Weideflächen. Davon profitieren insbesondere die internationalen Agrarkonzerne, denen schon jetzt drei Viertel der bewirtschafteten Landflächen gehören – während indigene Gemeinschaften und Kleinbäuer:innen ihre Lebensgrundlagen verlieren.
– Dazu kommt, dass ein Drittel aller weltweit eingesetzten Pestizide in der EU produziert werden – darunter 80.000 Tonnen, die in der EU gar nicht zugelassen sind. Diese toxischen Stoffe werden zumeist nach Lateinamerika exportiert, wo sie auf Feldern versprüht werden, Todesfälle, Fehlgeburten und Missbildungen verursachen – und anschließend in Form von Agrarerzeugnissen nach Europa zurückkehren.
– Das vor allem von der Industrie unterstützte EU-Mercosur-Abkommen führt also einerseits dank der geplanten Zollsenkungen zur kostengünstigeren Ausfuhr von Chemikalien und Kraftfahrzeugen in eine Region, wo noch nicht mal über ein Verbot von klimaschädlichen Verbrennermotoren nachgedacht wird. Und andererseits zu stärkerer Entwaldung. Und zu mehr Gift auf unseren Tellern.
Viele Proteste
Aufgrund der massiven Kritik von Menschenrechtsgruppen und Umweltverbänden hat die EU ein Zusatzdokument beschlossen, das den Klima- und Waldschutz stärken soll und im Dezember 2024 veröffentlicht wurde. Doch internationale NGOs halten es für unzureichend. Außerdem hat die brasilianische Regierung angekündigt, es nur in Teilen umzusetzen. Darauf ließ sich die EU ein. Falls das Abkommen in Kraft tritt, werden Ämter der Mercosur-Staaten für die Prüfung verantwortlich sein. Das heißt: Es dürfen mit großer Wahrscheinlichkeit auch künftig Produkte von dort in die EU exportiert werden, die europäische Standards nicht einhalten.
Doch stimmen der Europäische Rat und das EU-Parlament dem Abkommen zu? Lange Zeit sah es so aus, als würden Länder wie Frankreich, Österreich, Irland, Italien und Polen den Deal ablehnen: Zu groß waren die Proteste der Bäuer:innenProteste der Bäuer:innen. Denn die kostengünstigere Einfuhr von Fleisch, Soja, Zucker oder Geflügel aus den Mercosur-Ländern wird den ruinösen Preiskampf in der Landwirtschaft noch weiter verschärfen.
Der Druck der Auto- und Chemiekonzerne und aus Berlin ist jedoch groß – so dass wohl die eine oder andere Regierung einknickt. Also kommt es auf das Parlament an. Findet sich dort genügend Widerstand – obwohl sich beispielsweise die SPD-Fraktion bereits klar für das Abkommen ausgesprochen hat? (pw)
Dieser Beitrag erschien zuerst im regionalen Online-Magazin seemoz.de und warb dort für einen Besuch des Infostands, den das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel am 11. Oktober 2025 auf der Konstanzer Marktstätte aufgebaut hatte.