home
zur Übersicht ↑ Deutschland

Konstanz: Stefan Frommherz ist tot

Unermüdlich, unbeirrbar im antikapitalistischen Alltag

15. Juli 2022 | Am Montag starb Stefan Frommherz, als er in seinem Büro die nächsten Aktionen vorbereitete. Mit ihm verliert die Region einen beharrlichen Kämpfer für eine bessere Welt.

Vor knapp vierzig Jahren war Stefan Frommherz, der damals zwanzigjährige Anarchist aus dem Hotzenwald, in Konstanz aufgeschlagen – zuerst auf dem Gießberg, wo er bald im damals linksradikalen AStA vertreten war (wie seinerzeit die Student:innenvertretung hieß). Bald darauf machte er sich in der Stadt bekannt, durch die er als Kneipenverkäufer des linken Stadtmagazins Nebelhorn zog und die er als Aktivist des besetzten Fischmarkts aufmischen half. In direkten Kontakt kamen wir jedoch etwas später – als er neben anderen die Infokneipe in der Chérisy betrieb. Immer wieder kam er an: Willst du nicht einen Vortrag halten? Auch nach der zweiten oder dritten Veranstaltung hakte er nach – mit großer Beharrlichkeit, mit ständig neuen Vorschlägen, mit dem Charme, den er manchmal hervorzaubern konnte. Und schon wieder gab es einen Abend.

Doch darauf und die vielen anderen Aspekte seines ruhelosen, kämpferischen politischen Lebens soll hier nicht eingegangen werden (sie werden in den vielen Kommentaren zur Todesnachricht auf seemoz gewürdigt). Sondern auf etwas, das viele von dem syndikalistisch orientierten Genossen nicht erwartet hätten: sein Engagement in der Gewerkschaft. In einem der normalen, eher konservativen DGB-Verbände hätte er es wahrscheinlich nicht lange ausgehalten, aber er war ja während seiner Zeit als Jobber in der Zeitungsauslieferung der Südkurier-Druckerei der linken IG Druck + Papier beigetreten, aus der bald danach die ebenfalls linke IG Medien wurde (heute Teil des Konglomerats ver.di).

Rauswurf beim Südkurier

Immer wieder hat er davon erzählt, dass er sich an Streiks beim Südkurier beteiligte. Und dafür entlassen wurde, ohne dass die Gewerkschaft die studentische Hilfskraft ohne tarifvertraglichen Schutz hätte schützen können. Trotzdem blieb er dabei, sich selber hat er ja nie in den Mittelpunkt gestellt. Es ging ihm immer um die Sache – in diesem Fall dem Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung.

Und so war er sofort dabei, als Mitglieder des basisorientierten Konstanzer ver.di-Ortsvereins Medien + Kunst die Idee entwickelten, das 150-jährige Jubiläum des 1870 gegründeten Ortsvereins zu feiern. Monatelang diskutierte die kleine Gruppe über den Sinn und Zweck des Vorhabens, über die Aktionen und Events, und Stefan war mit zahllosen Vorschlägen dabei. Und nicht nur das: Er schlug eine Kooperation mit erfahrenen Stadtführer:innen vor, knüpfte Kontakte zum Kula (für die geplanten Konzerte) und zum Zebra-Kollektiv (für die Filmreihe), entwarf den Titel der Jubiläumsveranstaltungen («Druck.Machen»), las innerhalb eines Tages (und wohl auch einer Nacht) das gesamte Endmanuskript des gleichnamigen Buchs zur Geschichte der Konstanzer durch, plädierte für Veranstaltungen auch in Kreuzlingen (die aber organisatorisch nicht gestemmt werden konnten), hatte Hunderte von Ideen.

Ein langer Atem

Natürlich nervte er auch, wenn ihn wieder die verbale Diarrhö befiel, weil ihm noch was ganz Wichtiges eingefallen war, weil er manche Vorhaben nicht ganz gelungen fand, weil die anderen seiner Meinung nach nicht schnell genug reagierten. In solchen Situationen konnte er schlecht zuhören. Andererseits nahm er (auch harsche) Kritik höchst selten persönlich. Das gemeinsame Ziel war ihm wichtiger.

Und so blieb er dabei, mit großer Verlässlichkeit, besonders wenn es um die Umsetzung der Projekte ging. Ohne seine unermüdliche Hilfsbereitschaft, seine Kontakte zur Stadtverwaltung, seine Fachwissen (wann darf man Plakate in der Öffentlichkeit aufhängen, wann müssen sie wieder runter?), ohne seine Posteraktionen, seine Anwesenheit bei der Ausstellungsbetreuung (niemand von der Gruppe hat auch nur annähernd so viele Schichten geschoben wie er) und ohne sein erkenntnisförderndes Beharren darauf, dass beispielsweise bei der Debatte über die Zukunft der Gewerkschaften auch ein Vertreter der anarchosyndikalischen Freien Arbeiter- und Arbeiterinnen Union (FAU) aufs Podium kommt, wäre das vielfältige Projekt so nie zustande gekommen.

Bündnispolitik

Seine materiellen Interessen hat er – trotz seiner überaus prekären Einkommenssituation als Transportkleinstunternehmen – nie in den Vordergrund geschoben. Er wollte nur Luft haben für die zwei Dinge, die ihn wirklich umtrieben: für den Kampf für eine ausbeutungsfreie, antikapitalistische, solidarische und (zuletzt auch) ökologische und klimaneutrale Gesellschaft. Und fürs Schachspielen. Dafür war er unermüdlich unterwegs – genauso wie bis vor knapp einem Jahr sein Genosse und Vorbild Jürgen Geiger, über den er auf seemoz einen berührenden Nachruf verfasste, der immer noch sehr lesenswert ist, weil er auch viel über Stefan erzählt.

Jürgens Tod hat den revolutionären Sozialisten Frommherz in den letzten Monaten auf bemerkenswerte Weise aktiviert. Er beschloss, in der Linken aktiver zu werden (wo er Handlungslücken und Bewegungsbedarf sah), ging Bündnisse mit Mieterbund, SPD, den Grünen und anderen ein, die eigentlich gar nicht auf seiner (politischen) Linie liegen, organisierte Aktionen (wie gegen den Wohnraumnotstand) und Veranstaltungen, besuchte regelmäßig die Plenen des Klimacamps (wo er Debatten und Aktionen anregte) und ließ sich vor einem Jahr in den Vorstand des politischen Bildungsvereins seemoz e.v. wählen.

Viele offene Fragen

Sein überraschendes, viel zu frühes Ableben wirft viele Fragen auf. Schon vor der letzten Wohnraum-Raddemo am vorletzten Samstag verwies er immer wieder auf die nächste Sitzung des Wohnraum-Bündnisses (am 21. Juli um 19 Uhr beim Kulturkiosk an der Petershausener Schranke). Wer bleibt da dran?

Die Gesundheitsvorsorge im Landkreis lag ihm angesichts der geplanten Umstrukturierung des regionalen Kliniksystems ebenso am Herzen. Wer sorgt dafür, dass die Debatte vor allem mit den Beschäftigten weitergeht? Die von ihm mitorganisierte Veranstaltung am vergangenen Mittwoch in Radolfzell musste ohne ihn stattfinden. Sicher wäre er am Donnerstag auch zur Diskussion im Klimacamp aufgetaucht, die er vorgeschlagen hatte und bei der es um die Frage ging, wie antikapitalistisch der Klimaaktivismus sein müsse.

Dann wollte er sich für die nachwuchsarme seemoz-Redaktion an der Uni und der HTWG umhören, ob vielleicht dort jemand Interesse an einem journalistischen Praktikum hätte. Und schließlich hatten wir uns fest vorgenommen, über das 150-Jahr-Jubiläum der Konstanzer Mediengewerkschaft zu reden, Fazit zu ziehen und über neue gewerkschaftliche Initiativen nachzudenken. Ohne ihn wird das schwierig.

Vor allem aber: Wer geht jetzt all das an, was Stefan sich vorgenommen hatte? (pw)