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Deutschland/EU: Die Antiklimaschutz-Abkommen (2)

Raus aus dem Energiecharta-Vertrag!

14. März 2022 | Wie im Klimacamp-Blog 41 erläutert, gibt es derzeit kein internationales Abkommen, das eine Klimawende so sehr blockiert wie der Energiecharta-Vertrag ECT. Aber wer steckt eigentlich hinter diesem Konstrukt?

Seit Jahren befindet sich die Bevölkerung des kleinen Orts Petisovci im Nordosten Sloweniens (an der Grenze zu Kroatien) in heller Aufregung. Dort hat nämlich das in London ansässige Energieunternehmen Ascent Resources mit Probebohrungen begonnen; es will per Fracking – also mit Hilfe eines Gemischs aus Wasser, Quarzsand und zum Teil krebserregenden Chemikalien, das unter hohem Druck in die Tiefe gepresst wird – Erdgas aus dem Boden holen.

Was das für die Region bedeutet, schildert beispielsweise ein sehenswertes Video der NGO Corporate Europe Observatory (bitte Abbildung auf der Spalte rechts anklicken): Nach Protesten der Einwohner:innen beschloss die slowenische Regierung, die Folgen des Projekts für die Umwelt prüfen zu lassen. Daraufhin kündigte der Konzern im Sommer 2020 eine Klage auf Basis des Energiecharta-Vertrags (ECT) an. Seine Anwaltskanzlei erläuterte in einem ersten Schreiben, dass Ascent Resources vom slowenischen Staat 50 Millionen Euro für angeblich bereits getätigte Investitionen verlangen werde, falls das Fracking-Projekt gestoppt würde; später kam heraus, dass das Unternehmen weitere 70 Millionen für die Profite fordern will, die ihm bei einem Verbot entgehen.

Bleibt die Regierung hart, droht ihr dasselbe wie Ungarn. Dort hatte die Regierung auf Drängen der EU-Kommission 2008 die Stromlieferverträge mit einer Tochterfirma des französischen Energiekonzerns EDF gekündigt, der in Ungarn mehrere Kohlekraftwerke betrieb. Daraufhin zog EDF den Fall 2009 auf Basis des ECT vor ein Schiedsgericht – und bekam von diesem 107 Millionen Euro Entschädigung aus ungarischen Steuergeldern zugesprochen.

Deutlicher Anstieg der Fälle

Diese Beispiele zeigen: Kein anderes internationales Handels- oder Investitionsabkommen hat mehr Investitionsklagen gegen Staaten verursacht als der Energiecharta-Vertrag. Anfang Dezember 2021 listete das ECT-Sekretariat in Brüssel insgesamt 142 Konzernklagen auf. Dabei stieg die Zahl der Klagen in den letzten Jahren exponential an: Während in den ersten zehn Jahren des Abkommens nur 19 Klagen erhoben wurden, zogen im Zeitraum 2010–2019 insgesamt 102 Investor:innen vor ein Schiedsgericht – ein Anstieg um über 400 Prozent.

Interessant dabei ist, dass mehr als die Hälfte der klagenden Investor:innen in den Niederlanden, Deutschland, Luxemburg, dem Vereinigten Königreich und Zypern registriert sind – oder dort eine Briefkastenfirma unterhalten. So waren von den 25 „niederländischen“ Investor:innen, die bis Ende 2020 ECT-Klagen führten, 24 Briefkastenfirmen. Auf diese Weise können auch Unternehmen klagen, die dazu eigentlich gar nicht berechtigt wären, weil sie zum Beispiel ihren Sitz in einem Land außerhalb des ECT-Raums haben. Oder weil sie gegen die eigene Regierung vorgehen wollen (obwohl der ECT-Investitionsschutz nur ausländischen Firmen vorbehalten ist).

Briefkästen gegen Steuerzahler:innen

Ihr Trick: Sie gründen eine Niederlassung in einem ECT-Staat wie den Niederlanden, indem sie dort ein Büro – oder auch nur einen Briefkasten – anmieten. Auf diesem Umweg hat es etwa der kanadische Bergbaukonzern Khan Resources geschafft, die Mongolei zu verklagen, obwohl Kanada den ECT nicht unterschrieben hat. Die von reichen spanischen Geschäftsleuten gegründete Firma Charanne verwendete den gleichen Kniff, als sie Spanien einen Schadensersatz abpressen wollte. Ohne das in den Niederlanden registrierte Tochterunternehmen wäre das nicht möglich gewesen.

Dass es sich für Firmen lohnt, den Klageweg zu beschreiten, zeigen die bisher ergangenen Urteile: Von den bis Oktober 2020 entschiedenen Klagen gingen rund 60 Prozent zugunsten der Investor:innen aus. Das ist wenig überraschend, wenn man das Schiedsverfahren betrachtet. Denn nur einige international tätige Anwaltskanzleien teilen sich das Millionengeschäft mit Investor:innenklagen – und übernehmen je nach Fall reihum die Rollen: Mal vertreten sie den beklagten Staat, mal formulieren sie die Konzernklageschriften, mal urteilen sie als „neutrale“ Schiedsinstanz. Und weil sie selber Millionen daran verdienen, machen die Kanzleien manchmal die Firmen erst auf Klagemöglichkeiten aufmerksam …

Ausweitung, Reform oder Austritt?

Trotz der nachteiligen Folgen für die Umwelt, die Staaten und deren Steuerzahler:innen will das ECT-Sekretariat – auch mit Blick auf die reichen Energieressourcen im globalen Süden – expandieren. Sie werben für das Abkommen, indem sie ärmeren Ländern einen ECT-Beitritt als Bedingung für die Anziehung ausländischer Investitionen verkaufen.

Inzwischen haben zahlreiche Staaten einen «Beobachterstatus» (darunter Jordanien, Burundi, Mauretanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Venezuela), andere denken über einen Beitritt nach. Die USA und die Volksrepublik China zeigen ebenfalls Interesse. Ein Investitionsschutzvertrag mit ökonomischen Supermächten und fossilen Diktaturen wäre aber de facto ein globaler Anti-Klimaschutzvertrag.

Doch es gibt auch Staaten, die skeptisch geworden sind. Italien zum Beispiel ist bereits 2016 aus dem Vertrag ausgetreten; allerdings wird ein Austritt erst nach zwanzig Jahren wirksam (das Land ist somit erst ab 2036 vor Klagen sicher). Andere Länder sprechen sich für eine Reform des ECT aus – beispielsweise Frankreich, Spanien, Österreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Selbst die EU hat vorgeschlagen, den Investitionsschutz für die Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe schrittweise abzuschaffen. Doch die dafür vorgesehenen Fristen sind viel zu lang: So sollen fossile Projekte bis weit in die 2030er Jahre geschützt bleiben, Gasinfrastruktur sogar erst bis 2040.

Eine Änderung des Vertragstexts setzt jedoch voraus, dass alle Unterzeichnerstaaten zustimmen. Doch manche ECT-Staaten lehnen jedwede Änderung ab, wie interne Dokumente aus den seit 2017 laufenden Verhandlungen über eine «Modernisierung» des Vertrags zeigen. Selbst minimale Reformen wie beispielsweise mehr Transparenz bei den Investor:innenklagen sind umstritten. Großbritannien zum Beispiel hält an den bisherigen Regeln fest, und die Schweiz (Sitz großer Rohstoffkonzerne wie Glencore) befürwortet lediglich eine Ausdehnung des Vertrags auf erneuerbare Energien.

Realistische Alternativen

In dieser Situation sind in den letzten Jahren zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen auf den Plan getreten. Ende 2020 wandten sich über 150 Energie- und Klimaexpert:innen mit einem offenen Brief an die Regierungen der EU-Staaten und verlangten eine Abschaffung des ECT. Gleichzeitig forderten knapp 300 EU-Parlamentarier:innen in einem offenen Brief die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedsländer auf, «nach Wegen zu suchen, sich gemeinsam aus dem Vertrag zurückzuziehen». Und weiter: «Der ECT stellt eine ernsthafte Bedrohung für das europäische Ziel der Klimaneutralität und (…) für die Umsetzung des Pariser Abkommens dar.»

Diese Proteste sind auch das Ergebnis eines Drucks eines Bündnisses von rund 400 europäischen Initiativen, Organisationen und Gewerkschaften. Es versucht seit rund Jahren, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und fordert einen Austritt aus dem ECT. Mitglieder dieses Bündnisses demonstrieren immer wieder in Brüssel oder in Berlin, publizieren Studien und lancierten eine Unterschriftenkampagne, von der jedoch aufgrund der Covid-19-Pandemie die Medien kaum Notiz nahmen. Aber immerhin: Es kamen über eine Million Unterschriften zusammen. In Deutschland gehören so gut wie alle handelskritischen NGOs dem Bündnis an, dazu zählen unter anderen Power-Shift, attac, BUND, das Forum Umwelt und Entwicklung; auch das Umweltinstitut München ist dabei, ebenso die Naturfreunde Berlin, das Netzwerk Gerechter Welthandel und – auf lokaler Ebene – das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel.

Die Anti-ECT-Aktivist:innen sind sich einig: Angesichts der Reformunfähigkeit kommt nur ein Austritt aus dem ECT in Frage; schließlich ist eine Kündigung des Vertrags durch einen der Vertragsstaaten jederzeit möglich. Am besten, so argumentiert das Bündnis, wäre ein Austritt mehrerer Staaten gleichzeitig; diese könnten dann untereinander einen Abkommen vereinbaren, das eine Anwendung des Investor:innenschutzes zwischen diesen Staaten ausschließt.

Konkret wäre das für die Europäische Union eine machbare Alternative: Wenn alle Mitgliedstaaten gemeinsam austreten, würde das künftige und laufende Klagen nach dem ECT beenden. Dafür gibt es bereits Unterstützung durch die Regierungen von Frankreich und Spanien, die die EU-Kommission aufgefordert haben, einen solchen Prozess zu organisieren.

Berlin schweigt

Aber wie steht die deutsche Regierung dazu? Sie hält sich bedeckt. Die große Koalition sei in Sachen ECT «die größte Bremse in Europa» gewesen, sagt beispielsweise Fabian Flues von Power-Shift; sie habe sich für einen Verbleib im Vertrag eingesetzt, «damit deutsche Investor:innen weiterhin die Klagemöglichkeiten unter dem Energiecharta-Vertrag nutzen können.»

Das scheint auch für die Ampel-Koalition zu gelten. Jedenfalls steht im Koalitionsvertrag dazu nur ein Satz: «Wir setzen uns für eine Reform des Energiecharta-Vertrages ein», mehr nicht. Das ist angesichts der klimapolitischen Bedeutung des ECT ein Armutszeugnis. (pw)


PS: Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog des Konstanzer Klimacamps, der seit Monaten im regionalen Online-Magazin seemoz.de erscheint. Einer der nächsten Beträge beschäftigt sich mit den Fragen, wei sehr andere Freihandelsabkommen dem Klima schaden.