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Musikkritik: «It is Right To Rebel»

Rebellion jetzt!

20. November 2022 | Was haben Leonhard Peltier, der Aufstand der Zapatistas, der Überlebenskampf von Sklav:innen und die verheerenden Waldbrände von Kalifornien gemein? Ihnen allen sind Songs auf dem neuen Album von Mat Callahan und Yvonne Moore gewidmet.


Cover der LP «It is Right To Rebel»Man hat ihn weitgehend vergessen, zumindest diesseits des Atlantiks: Wer erinnert sich – außer dem regionalen Online-Magazin seemoz.de – noch an den mittlerweile 78-jährigen US-Bürgerrechtsaktivisten Leonhard Peltier, der seit über 45 Jahren in einem US-Gefängnis sitzt, weil er sich für die Mitglieder seiner indigenen Gemeinschaften einsetzte und in einem höchst zweifelhaften Gerichtsverfahren zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt wurde? Mat Callahan mit seinem Song «Free Leonard Peltier».

Wer weiß noch, dass sich vor bald drei Jahrzehnten die indigene Bevölkerung im mexikanischen Bundesstaat Chiapas gegen die korrupte, US-hörige Regierung erhob und bis heute nicht niedergerungen werden konnte? Mat Callahan mit seinem Song «The War Against Forgetting”.

Und wer kennt noch den Namen des jungen schwarzen Revolutionärs und Autors George Jackson, der immer wieder in US-Knästen saß und 1971 im Alter von dreissig Jahren anlässlich eines Gefangenenaufstands von Wärtern erschossen wurde? Und nach dessen Tod ein Sergeant auflistete, welche Bücher George in seiner Zelle hatte? Mat Callahan. Der hat sich nämlich die Liste der 99 Bücher besorgt (darunter Werke von Sartre und Camus, von Marx und Engels, von Orwell und Camilo Torres und alle damaligen Standardwerke zur Geschichte der US-amerikanischen Arbeiter:innen-Bewegung) – und ebenso einen Song dazu geschrieben wie über Peltier und die Zapatist:innen. «99 Books» heißt das Lied – eine Hymne an die Wissbegier der Unterdrückten.

Turbulente Zeiten

Rund fünfzehn Jahre lang haben Callahan und seine Partnerin Yvonne Moore immer wieder an den Songs ihres Albums «It is Right To Rebel» gearbeitet, die – Rock-, Blues-, Folk-, Spiritual-Elemente verbindend – unter anderem auch den US-Imperialismus, die digitale Blindheit und die Klimakatastrophe thematisieren. Dass es so lange dauerte (die ersten Lieder entstanden 2006, die letzten 2020), erklärt der in San Francisco aufgewachsene Singer-Songwriter mit der Vielzahl an anderen Projekten und Alben die dazwischen kamen.

Beispielsweise seine Wiederentdeckung der Lieder des großen irischen Revolutionärs James Connolly («Songs of Freedom»), die von ihm zum Teil neu vertont wurden und mit denen er und Yvonne auch durch Irland tourten. Oder das brillante Album «Working Class Heroes», eine Sammlung längst vergessener Arbeiter:innen-Songs aus der mittlerweile ebenfalls vergessenen großen Zeit der US-Gewerkschaftsbewegung.

Oder das jetzt ebenfalls im Sommer 2022 erschienene Gemeinschaftsprojekt «Songs of Slavery and Emancipation», das ein Buch, einen Film und Lieder umfasst, die von versklavten Menschen geschrieben wurden und zum Widerstand gegen die Sklaverei aufrufen. Viele dieser Songs waren verschollen – bis sich Mat Callahan auf die Suche machte. Dabei habe er, das sagen selbst ausgewiesene Kenner:innen der schwarzen Musik wie Cathy Bullock, Texte ausgegraben, «die wir bisher nicht kannten». Callahans Buch erscheint demnächst auch auf deutsch.

Feiern wir die Revolte!

«Es waren turbulente Jahre», erinnert sich Callahan und meint damit nicht nur seine Recherchen und Wiederentdeckungen. Sondern auch die aktuellen Entwicklungen: «Die vielen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und gewaltsam ausgetragenen Krisen der letzten Jahre haben die weltweite Ungleichheiten zwischen den wenigen Reichen und den vielen Verzweifelten weiter zugespitzt», sagt er – und bringt seine Beobachtungen auf einen Nenner: «Der Kapitalismus würde lieber die Welt untergehen lassen, als dass die Welt den Kapitalismus untergehen lässt.»

Aber noch sind er und Yvonne Moore optimistisch. Noch glauben sie, dass Rebellion der Unterdrückten die Machtverhältnisse ändern kann. Auch deswegen gibt es ihr neues Album, das – so Callahan – ein Schlachtruf sein soll, «ein Weckruf und eine Einladung, sich den Kämpfen unserer Zeit anzuschließen und die Revolte zu feiern». Schließlich haben «wir, die wir die Musik lieben, die Pflicht, nicht nur zu unserer und zu aller Freude zu musizieren, sondern damit auch gegen jene Kräfte anzukämpfen, die sich gegen uns wenden».

Raus aus den Köpfen!

Musik als Universalwaffe gegen Ausbeutung und Unterdrückung? So naiv ist er nicht. In seinem 2005 erschienenen Buch «The Trouble With Music» (AKPress, Oakland) beschreibt der in der US-amerikanischen Bürgerrechts- und Antivietnamkriegsbewegung sozialisierte Callahan, wie die Durchkommerzialisierung der Musikindustrie und digitale Beliebigkeit zu melodischer Belanglosigkeit, inhaltlicher Leere und Übersättigung des öffentlichen Raums führte.

Und so ist auf dem Album auch der Song «Sweep The Moneychangers From Your Soul!» zu hören. Laut Bibel habe Jesus die Geldwechsler noch aus dem Tempel vertreiben können, heute jedoch ist das Kapital allgegenwärtig. Und nicht nur das: Die Dominanz des Monetären, das hat schon Karl Marx geschrieben, vertauscht nicht nur den Wert aller Dinge, sondern stellt auch «alle natürlichen und menschlichen Qualitäten» auf den Kopf. Der Refrain des Lieds lautet: „They take your time / Never get enough // They take your sweat / Never get enough // They take your life / Never get enough.“ Also weg damit! (pw)


PS: Die Doppel-LP ist übrigens Ergebnis einer internationalen Kooperation. Die Lieder von Mat Callahan (USA), Yvonne Moore and Friends (Schweiz) wurden in Bern aufgenommen. Das Design stammt von Josh McPhee (USA). Produziert wurde es vom norwegischen Plattenlabel Plateselskapet No. 13 (Oslo), den Vertrieb in Europa erledigt ebenfalls ein unabhängiger Plattenladen in Oslo (zur Bestellung hier klicken!). Das Album ist natürlich auch nach dem Konzert am Freitag erhältlich.

Weitere Infos zu Yvonne Moore und Mat Callahan gibt es auf ihrer gemeinsamen Website: https://matandyvonne.com.