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Buchkritik: «Korea. Entfremdung und Annäherung»

Beziehungsgeschichten

3. Mai 2007 | Manchmal kann sogar eine Tagung für ein erhellendes Buch sorgen.


Titelblatt «Korea»Anfang letzter Woche hat uns die NZZ mal wieder die koreanischen Verhältnisse erklärt. Und zwar so: «Wer wegen Nordkoreas Atomtest im Oktober 2006 eine künftig etwas kritische Hilfspolitik Südkoreas gegenüber dem unberechenbaren Nachbarn erwartet hatte, sieht sich eines Besseren belehrt.» Mit diesen Worten begann ein Nachrichtentext über die Lieferung von 400 000 Tonnen Reis, die der Süden im Rahmen von Wirtschaftsverhandlungen dem Norden zugesagt hatte. «Offensichtlich scheint weder der nukleare Paukenschlag noch das Versagen Nordkoreas (…) an Seouls gutgläubiger Sonnenscheinpolitik irgendwelche Korrekturen bewirkt zu haben. Jedenfalls dürfte das kommunistische Regime (…) mehr als zufrieden sein.» Unkritisch, gutgläubig, ein bisschen naiv also die einen – unberechenbar und händereibend die anderen. Sind das die beiden Koreas?

Dass man die koreanischen Verhältnisse auch unvoreingenommener, dafür mit Sachverstand beschreiben kann, zeigt ein neues Buch. «Korea. Entfremdung und Annäherung» lautet der etwas spröde Titel, aber dafür sind – abgesehen von den beiden Vorworten – die Texte umso interessanter. Den HerausgeberInnen (darunter WOZ-Korrespondent Rainer Werning) ist es gelungen, die Referate einer Korea-Tagung im Jahre 2005 so zu bearbeiten und zu aktualisieren, dass man nach der Lektüre nicht nur das Gefühl hat, jetzt endlich mehr über die aktuellen Entwicklungen, die Geschichte, die Wirtschaft und die Kultur der koreanischen Halbinsel zu wissen. Man hat auch verstanden, dass die nordkoreanische Politik vieles ist, nur nicht «unberechenbar».

Denn Nordkorea, schreibt einer der AutorInnen, «besitzt nur seine Nuklearanlagen als Faustpfand. Sind sie erst einmal abgerüstet, sind kaum noch Instrumente vorhanden, um Gegenleistungen einzufordern.» Von daher will das Regime, das auch im Hinblick auf den US-Krieg gegen den Irak mit der Bombe drohte, «schon vorher die Gegenleistungen geregelt wissen und auf seine Nuklearprogramme erst so spät wie möglich verzichten». Das ist durchschaubar und mindestens ebenso rational wie die Politik der USA, die zuerst die Abrüstung durchsetzen wollen, «um so die Kosten der Gegenleistungen zu drücken».

Die AutorInnen (darunter auch der Hochschullehrer Song Du-Yul, der 2003 in Südkorea wegen «Spionage» verhaftet und verurteilt wurde, weil er Anfang der neunziger Jahre mehrmals Nordkorea besucht hatte) erklären zum Beispiel, weshalb es in Korea, das nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt wurde, bisher zu keiner Wiedervereinigung kam: Im ostasiatischen Raum kämpfen mit Russland, China, Japan und den USA gleich vier Grossmächte um Einfluss – und nicht nur zwei, wie im Fall Deutschland (ausserdem hat Südkorea mit grossem Interesse registriert, wie teuer die Vereinigung den reichen Teil Deutschlands zu stehen kam). Sie erläutern im Detail, warum sich die nordkoreanischen Wirtschaftsreformer kein Beispiel an China und Vietnam nehmen können – sehr wohl aber an Kuba. Sie beschreiben die Massenmobilisierungen, die sowohl im Norden wie im Süden Bestandteil der Entwicklungsstragie waren, und zeigen am Beispiel des nordkoreanischen Industriekomplexes Gaeseong, wie die derzeitige Wirtschaftskooperation aussieht.

Ohne einen Blick auf die Zeit nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft (August 1945) sind weder Nord- noch Südkorea zu verstehen. Die Besatzungsmacht USA, die südlich des 38. Breitengrades herrschte, dachte nicht daran, den ehemaligen projapanischen Kollaborateuren die Machtpositionen zu entziehen. Heraus kam der antikommunistische, diktatorische Staat Südkorea, der erst durch Aufstände und Bewegungen eine demokratische Entwicklung nahm und der sich bis vor wenigen Jahren mit der Aufarbeitung der Vergangenheit sehr schwer tat.

Ein gutes, ein äusserst informatives Buch mit ein paar Überschneidungen (aber die lassen sich bei Referaten kaum vermeiden). Die LeserInnen erfahren viel über die wechselvolle Beziehungsgeschichte von Nord und Süd. So gab es den ersten Anlauf zu einer Annäherung bereits 1972 (doch dann wurde im Süden das Kriegsrecht verhängt), 1990/91 gingen die Staaten wieder aufeinander zu (doch dann brach der real existierende Sozialismus zusammen), 2000 folgte der dritte Versuch (doch dann kam George Bush). Auch die Frage, warum sich die evangelische Kirche in Deutschland um Korea bemüht – sie hat die Tagung initiiert –, wird beantwortet: In Südkorea sind zwanzig Prozent der Bevölkerung protestantische ChristInnen. (pw)