↑ home
zur Übersicht ↑ andere Länder
Andere Länder: Das James-Connolly-Projekt
Revolutionäre Songs statt sentimentalem Folk
28. Februar 2014 | Der Musiker Mat Callahan hat die Songs des Revolutionärs James Connolly in die Gegenwart übersetzt. Nach einer ausgedehnten Tour durch die USA ist er mit seiner Band jetzt in der Schweiz unterwegs. Mit gutem Grund.
Gut, dass Mat Callahan vor zwei Jahren seinen 60. Geburtstag hatte, und ein Glück, dass er diesen Anlass auf besondere Weise feiern wollte. Denn er nahm sich damals fest vor, so erzählt er heute, das Fest mit revolutionären Liedern zu begehen. Nicht weil er einen plötzlichen Anfall von Altersradikalität gehabt hätte (radikal war er immer) oder weil er sich seinen Wurzeln wieder annähern wollte (von denen hat er sich nie weit entfernt), sondern weil der US-amerikanische Musiker und Produzent, Buchautor und Aktivist und seine irischen Freunde Alan Burke und Joe McHugh das für eine passende Antwort hielten. Hatte nicht die Krise Millionen Menschen in Europa und den USA ins Elend gestürzt? Und war es nicht an der Zeit, wieder einmal die bestehenden Machtstrukturen zu verändern?
Aber welche Lieder, was für Texte? Die traditionellen irischen Songs, die längst ihren rebellischen Charakter verloren haben und nur noch dem Tourismusmarketing dienen? Das schien wenig passend. Und so erinnerte sich Callahan, dass der grosse sozialistische Agitator James Connolly (siehe Kasten unten), dessen Name ihm seit seiner Kindheit geläufig ist, vor über hundert Jahren Gedichte und Songtexte geschrieben haben muss. Hatte nicht Callahans Stiefvater – ein gewerkschaftlich aktiver Docker an der US-Westküste – stets behauptet, dass er als Bub einmal auf Connollys Schoss gesessen hatte? War nicht sein Bruder nach dem radikalen Gewerkschafter benannt worden? Aber wo sind diese Texte? Gibt es sie überhaupt?
Und so begann Mat Callahan zu suchen. Der aus San Francisco stammende Musiker – er kam 1999 wegen eines Jobangebots in die Schweiz und lebt wegen der Liebe zur Sängerin Yvonne Moore in Bern – befragte Freunde, kontaktierte Buchhändler, schrieb viele Mails und durchforstete Archive. Die Mühe lohnte sich. Im Herbst 2010 entdeckte Callahan «The James Connolly Songbook», eine Liedersammlung mit Texten des Gewerkschaftsführers, die 1972 der Workers' Club von Cork (Irland) veröffentlicht hatte. Die Geburtstagsparty konnte stattfinden.
Fröhliches, trotziges Singen
Aber wars das? «Wir haben danach viel diskutiert», sagt Callahan, «Alan und Joe fanden, dass man doch mehr draus machen müsse: Schau dir die verzweifelten Iren an, die Not der Griechen, die Misere der Armen in Amerika!» Und so entstand die Idee, ein gemeinsames Projekt zu lancieren – und auf Tour zu gehen. Ohne «poetischen Ausdruck», ohne das «fröhliche, trotzige Singen revolutionärer Lieder» sei keine Umwälzung möglich, hatte Connolly einmal geschrieben. An diesen Satz konnte sich Callahan noch gut erinnern. Also ging er weiteren Spuren nach, stöberte in der Dubliner Nationalbibliothek ein Exemplar von «Songs of Freedom» auf, das von Connolly 1907 in den USA herausgegeben worden war, und fand schliesslich auch noch das längst verschollen geglaubte «Connolly Souvenir Program», die Broschüre zu einem Dubliner Konzert 1919, aufgeführt mitten im irischen Unabhängigkeitskrieg.
«Als ich die Kopien dieser beiden Hefte hatte, wusste ich: Daraus muss ein Buch werden», sagt Callahan. Er war aufgrund seiner Biografie auch der richtige Mann dafür: Gross geworden in der US-amerikanischen Bürgerrechts- und Antivietnamkriegsbewegung mit ihrer vielfältigen Widerstandskultur, hatte er früh Protestlieder zu schreiben und zu singen begonnen, er arbeitete mit dem vor kurzem gestorbenen Pete Seeger zusammen und gründete in San Francisco mehrere Bands (darunter Prairie Fire und mit The Looters die erste US-Band, die im sandinistischen Nicaragua auftrat).
Ab 1986 war Callahan federführend am Kulturkollektiv Komotion International in San Francisco beteiligt, das mit seinen Veranstaltungsräumen, den vielen Benefizkonzerten, einer Galerie, einem Aufnahmestudio und einem Magazin, das er herausgab, «so was Ähnliches war wie die Rote Fabrik», so Callahan. Auch das Motto dieses Vernetzungsprojekts hatte er formuliert: «Weil wir das Leben und den Kampf feiern / weil wir nicht zufrieden sind / weil es auf uns ankommt / weil wir gern singen und tanzen … / weil es Regierungen gibt und Grenzen und Polizei und Gerichte …»
Eine bessere Welt
Wer aber singt in der heutigen Konsumgesellschaft noch rebellische Songs? Gibt es noch Bewegungen, die ihre «im Kampf entstandene Hoffnung und ihre Ängste, ihre Liebe und ihre Wut» (so Connolly 1907) singend zum Ausdruck bringen? Es gibt eine grosse Tradition, antwortet Callahan, «von der schwarzen Musik, den Gospels, dem Blues, den Hymnen der Industrial Workers of the World» – der ersten Gewerkschaft, die Frauen, MigrantInnen und Ungelernte organisierte – «über die antifaschistischen Songs, die Antikriegs- und Anti-AKW-Lieder bis hin zu Fela Kuti oder den Pussy Riots».
Allerdings sei es der Musikindustrie gelungen, die Protestkultur der sechziger und siebziger Jahre zu kommerzialisieren. Sie habe es geschafft, die einst gemeinschaftsstiftende Musik in etwas zu verwandeln, das die Menschen isoliert – mit dem Versprechen, «dass man als Star mit Massenpublikum über mehr Einfluss verfüge». Dieser Idee, so Callahan, «ist meine Generation aufgesessen». Dabei ersetze selbst das beste revolutionäre Lied keinen Streikposten. Musik allein bewirke noch keine Revolution – aber weil sie mitunter mehr Menschen erreichen könne als so manches rationale Argument und (in Connollys Sinn) Emotionen zu transportieren vermag, «kann sie zu einer besseren Welt beitragen».
Diesen Aspekt hat die Linke in den letzten Jahren unterschätzt. Und darum geht es Callahan und seiner Gruppe mit dem etwas sperrigen Namen The James Connolly Songs of Freedom Band, die nach seinem 60. Geburtstag entstand: Menschen einander näher bringen, MusikerInnen mit Bewegungen vernetzen, weiterhin gültige Erkenntnisse in Erinnerung rufen (Connolly hatte bereits 1896 die öffentliche Aneignung aller Produktionsmittel, die Abschaffung der Privatbanken und eine höhere Besteuerung der Reichen verlangt), mobilisieren für eine gemeinsame Zukunft.
Moderne Rhythmen
Alte Melodien können diese Botschaft jedoch nicht vermitteln – schon gar nicht die eher reaktionären Weisen der traditionell-irischen Folkmusik, die eher das Leiden betonen als den Kampf. Deshalb hat Mat Callahan Connollys Texte neu vertont und sich dessen Reime so lange laut vorgelesen, bis daraus eine moderne und kollektiv singbare Melodie entstand. Er komponierte die meisten der dreizehn Songs auf der CD, die wie das Songbuch pünktlich zum 100. Jahrestag der grossen Aussperrung der Dubliner TransportarbeiterInnen 1913 erschien. Sie kommen wegen der eingesetzten Instrumente zwar irisch daher, seine Rock-, Pop-, Soul- und Bluesstücke halten jedoch gebührende Distanz zu den oftmals sentimental-nostalgischen Songs der Dubliners oder der Wolfe Tones.
Mehrstimmige Gesänge, Soloeinlagen ohne Instrumentalbegleitung, exzellente Marsch- und Kampfsongs, brillant vertonte und gesungene Partylieder wie Connollys Festive Song («Then fill the cup / with liquor up / … To win the world for Labour») oder das ebenso grossartig umgesetzte «Be Moderate»-Trotzlied mit dem Refrain «Wir sind doch schon bescheiden genug, wir wollen nur die Welt» – schafft Callahans kleines Kollektiv mit sieben, manchmal neun MusikerInnen damit die erhoffte Wiederverbindung von radikaler Musik und radikaler Bewegung?
Die bisherigen Auftritte in Britannien, Irland und jetzt in den USA haben jedenfalls Mut gemacht. Zwar strömten nicht gerade Massen zu den von lokalen Gewerkschaftsbünden und anarchistischen wie radikalsozialistischen AktivistInnen organisierten Gigs (die grossen Gewerkschaftsapparate hatten sich zurückgehalten, ihnen ist das Projekt zu radikal). Aber die Leute hätten Fragen gestellt, sagt Callahan, «sie wollten mehr über Connolly wissen, diskutierten dessen Relevanz heute und sprachen über die anstehenden Kämpfe».
Im angelsächsischen Sprachraum ist die Vermittlung der Inhalte etwas einfacher. An den Konzerten in der Schweiz werden daher Callahan und Yvonne Moore die Texte übersetzen – und auch Lieder spielen, die zu Anfang des vorletzten Jahrhunderts in den multinationalen, multilingualen USA mit den vielen MigrantInnen bei Streiks, Kundgebungen und Märschen gesungen wurden. «Connolly ist ja damals nicht in ein Vakuum vorgestossen, sondern hat das aufgegriffen, was vorhanden war.» Aber was macht den Gewerkschaftskämpfer, Dichter und Revolutionär für ein Schweizer Publikum interessant? «Connolly», sagt Callahan, «war Internationalist. Und hier sind Hurrapatriotismus, Nationalismus und die Rechte auf dem Vormarsch.» (pw)
Schotte, Ire, Internationalist
Er war einer der ganz grossen radikalen Sozialisten im angelsächsischen Sprachraum, vielleicht sogar der grösste: James Connolly, 1868 in Edinburg (Schottland) geboren, 1916 nach dem fehlgeschlagenen Osteraufstand in Dublin vom britischen Staat exekutiert. Seine Eltern waren aus der Grafschaft Monghan (Irland) nach Edinburg migriert, er wuchs in einem irischen Slum auf, verliess mit zehn Jahren die Schule, trat mit vierzehn in die britische Armee ein, war in Irland stationiert – und beendete den Militärdienst nach sieben Jahren.
Zurück in Schottland, engagierte er sich in der sozialistischen Bewegung, wurde Sekretär der Scottish Socialist Federation, trat der (britischen) Independent Labour Party bei – und zog Mitte der 1890er Jahre mit seiner Familie nach Dublin, wo ihm ein Job als Sekretär des Dublin Socialist Club angeboten worden war. Dort gründete er die Irish Republican Socialist Party (die später bei der irischen Unabhängigkeitsbewegung eine wichtige Rolle spielen sollte) und die Zeitung «The Socialist». Als Connolly 1903 in die USA auswanderte, gab er den Immigrationsbehörden gegenüber als Beruf an: «Agitator».
Und das war er dort dann auch – als aktives Mitglied der Socialist Labor Party of America und der syndikalistischen Gewerkschaft Industrial Workers of the World. 1910 kehrte er nach Irland zurück und führte 1913 die irische Transportarbeitergewerkschaft in den bedeutendsten Arbeitskampf der irischen Geschichte.
Der Marxist Connolly schrieb zahllose Artikel und verfasste Bücher, die seinerzeit grossen Einfluss hatten. Keine nationale Unabhängigkeit ohne sozialen Umsturz, kein Sozialismus ohne Befreiung vom Imperialismus – das war eines seiner Postulate gewesen. «Wenn wir morgen die britische Armee vertreiben und die grüne Fahne auf Dublin Castle hissen, ohne eine sozialistische Republik einzuführen», schrieb er einmal, «wird unser ganzer Kampf vergebens sein.» Dann nämlich werde England weiter regieren «durch seine Grundbesitzer, Kapitalisten und kommerziellen Handelsnetze».
Der Streik der TransportarbeiterInnen endete zwar mit einer Niederlage, aber in der monatelangen Abwehrschlacht entstand die Arbeitermiliz Irish Citizen Army, die er an den Ostertagen 1916 in einen antikolonialen Aufstand führte. Die von bürgerlich-nationalistischen BündnispartnerInnen miserabel vorbereitete Erhebung scheiterte schnell. Connolly wurde bei den Kämpfen schwer verletzt und kurz danach – auf einem Stuhl festgeschnallt – von einem Hinrichtungskommando erschossen.
Er starb mit 47 Jahren – und doch erinnern sich noch heute, knapp hundert Jahre später, in Irland, Schottland und den USA viele an ihn. (pw)