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Schweiz/China: Aufregung bei der Baselworld
Die Lunge klebt am Klunker
27. Januar 2005 | Sie schneiden und schleifen Schmucksteine, erkranken an Staublunge, und wenn sie dagegen protestieren wollen, dürfen sie nicht in die Schweiz einreisen.
Feng Xingzhong hatte grosse Hoffnungen gehegt, als er 1992 seine bäuerliche Heimatprovinz Sichuan im Westen Chinas verliess, in die südchinesische Provinz Guandong migrierte und dort als Schmucksteinschleifer Arbeit fand. Acht Jahre lang schnitt und polierte er Halbedelsteine wie Opal, Topas und Malachit in der Fabrik von Ko Ngar Gems Ltd. in der Stadt Huizhou, zwölf Stunden und mehr am Tag, sieben Tage die Woche, bis es ihm schlecht wurde. Im Jahr 2000 schickte ihn die Werksleitung des Hongkonger Unternehmens nach Hause, er solle dort in Ruhe seine Tuberkulose auskurieren, denn diese Krankheit war bei ihm diagnostiziert worden.
Zwei Jahre später aber fand man heraus, dass Feng nicht an TB litt, sondern an Silikose erkrankt war: Staublunge. Er reiste wieder nach Huizhou, um Entschädigung zu verlangen, musste dort aber erfahren, dass Ko Ngar mittlerweile nach Haifeng umgezogen war und somit nach chinesischer Rechtsprechung nicht mehr haftbar gemacht werden konnte. Der heute 32 Jahre alte Arbeiter hat nach eigener Einschätzung nur noch die Kraft eines 70-Jährigen und kämpft um eine finanzielle Kompensation für sein ruiniertes Leben.
28.000 Franken für ein Leben
Li Weizhong, 42, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Er zog von Chongqing am Oberlauf des Jangtse ins Pearl-River-Delta in der Provinz Guandong (nördlich von Hongkong) und arbeitete dort für die Hongkonger Schmucksteinfirma Lucky Gems and Jewellery, die damals in Shenzhen produzieren liess. In der Schleifabteilung gab es gerade mal drei Ventilatoren, die Kollegen waren kaum zu sehen, der Staub hing wie ein dicker Nebel im Raum; die Masken, für die die Arbeiter zahlen mussten, boten kaum Schutz. Li verlor seinen Arbeitsplatz, weil ihm fälschlicherweise Diebstahl vorgeworfen worden war.
Als er wieder aus der Haft freikam, war er ein kranker Mann. Die Klinik, die er daraufhin aufsuchte, attestierte ihm TB. Li gab alles, was er hatte, für die Behandlung aus. Erst Jahre später stellte sich bei einer weiteren Untersuchung heraus, dass er Silikose im zweiten Stadium hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt war Lucky Gems bereits von Shenzhen nach Huizhou umgezogen.
Erst als er und andere im letzten Herbst mit Unterstützung des Hongkonger Christian Industrial Committee (CIC), des Hongkonger Gewerkschaftsbundes CTU und Hongkonger StudentInnenorganisationen das Hauptquartier des Unternehmens blockierten, zeigte sich der Lucky-Eigner Wang Shenghua gesprächsbereit. Li, der mittlerweile dreissig Kilo Körpergewicht verloren hat, erhielt eine Entschädigung von umgerechnet 28.000 Franken. Das ist, wenn man die Behandlungskosten bedenkt, kaum genug zum Sterben. «Silikose ist eine unheilbare Krankheit» sagt Shek Ping Kwan, der seit Jahren für das CIC arbeitet, «wer sich die teure medizinische Betreuung nicht leisten kann, stirbt nach zwei bis vier Jahren.»
Kein Visum
Feng und Li hätten ihre Geschichte gerne selber erzählt. Sie waren vom Solifonds und dem Basler Gewerkschaftsbund zu einer Protestaktion vor Baselworld eingeladen worden, der weltweit grössten Uhren- und Schmuckmesse, die bis Donnerstag dieser Woche dauert. Doch die Schweizer Behörden untersagten den beiden Opfern einer Industrie, die auch hierzulande viele AbnehmerInnen findet, die Einreise. «Das zuständige Schweizer Konsulat in China hat die Visumsverweigerung nicht einmal begründet», sagt Brigitte Anderegg vom Solifonds.
Doch auch ohne die direkt Betroffenen habe der Protest, so Hans Lutz vom Hongkonger CIC, einige Leute aufgescheucht. Die Messeleitung reagierte konsterniert auf eine Mahnwache am Eingang von Baselworld, die Röntgenbilder von Staublungen chinesischer Arbeiter zeigte, und die Hongkonger Handelskammer schickte gleich drei Delegierte, um weitere Aktionen zu verhindern. Hongkong ist mittlerweile der drittgrösste Edel- und Schmucksteinexporteur der Welt. Ein Grossteil der dort verarbeiteten Juwelen und im chinesischen Hinterland zugeschliffenen Steine geht nach Nordamerika und Westeuropa; rund fünf Prozent werden in der Schweiz verkauft.
«Das Problem unserer Kampagne besteht darin, dass Juwelen und Modeschmuck keinen Firmennamen, kein Logo tragen», sagt Parry Leung Pak Nang vom CIC in Hongkong. Ein Aufruf zum KonsumentInnenboykott käme daher nicht in Frage. In den letzten Jahren hatte sich das CIC vornehmlich mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der südchinesischen Spielzeugindustrie beschäftigt, aber da konnte die gewerkschaftsnahe NGO im Verbund mit anderen nichtstaatlichen Organisationen wie der Clean Clothes Campaign die internationale Öffentlichkeit gegen Grosskonzerne wie Disney, McDonald's, Hasbro und Mattel mobilisieren. Der internationale Schmuckmarkt bietet solche Möglichkeiten nicht. «Da werden die Verträge hinter verschlossenen Türen unterzeichnet, und niemand weiss, wohin die Ware geht», sagt Parry.
Mit seinen Aktionen hat daher das seit Jahren vornehmlich in Südchina aktive CIC gleich mehrere Adressaten im Visier: Es will die internationale Öffentlichkeit über die Zustände in den chinesischen Fabriken informieren, das gängige Bild von stumpf und widerspruchslos vor sich hin schuftenden ChinesInnen revidieren (Mitte März streikten in der Schmucksteinfabrik von Lian International 5000 ArbeiterInnen für bessere Arbeitsbedingungen) und die Internationale Arbeitsorganisation ILO zu mehr Druck auf China bewegen. Peking hat bis heute die ILO-Konvention 148 nicht ratifiziert, die den Schutz der Beschäftigten gegen Berufsgefahren infolge von Luftverunreinigung, Lärm und Vibration an den Arbeitsplätzen vorsieht. Die Schweiz allerdings auch nicht. (pw)