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Andere Länder: Aufruhr in Kirgisistan

Ein Investorenputsch mit Fragezeichen

31. März 2005 | In dem armen zentralasiatischen Land wurden die Führungsfiguren ausgetauscht – mehr aber nicht.

Es scheint wieder Ruhe zu herrschen in Bischkek, der Hauptstadt von Kirgisistan, und auch in den vor einer Woche noch rebellischen Südprovinzen ist offenbar der Alltag eingekehrt. Die Polizei und eine neu gegründete «Bürgerwehr» patrouillieren durch die Strassen, schon am Montag hatten viele der am Freitag geplünderten Läden ihre Tore wieder geöffnet, und der allergrösste Teil der Bevölkerung ist – wie während der letzten fünfzehn Jahre Unabhängigkeit – nur mit einem beschäftigt: seinem Überleben. Für die KirgisInnen (über die Hälfte muss mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze auskommen) gehört der Spuk der letzten Tage bereits der Vergangenheit an. Für sie hat sich nichts geändert.

Die Ereignisse von Donnerstag bis Samstag vergangener Woche mögen dramatisch gewesen sein, aber sie waren weitgehend begrenzt auf das Bischkeker Regierungsviertel mit seinen weissen, im sowjetischen Triumphstil der siebziger Jahre errichteten Bauten und auf die nahe gelegenen Einkaufsstrassen. Und so plagen sich die HauptstadtbewohnerInnen (von der Landbevölkerung ganz zu schweigen) mit hohen Preisen, minimalsten Löhnen und der Frage ab, wie sie die nächste Krankheit überstehen und den Kindern einen Schulbesuch finanzieren sollen. Das fünfzehn Jahre lang amtierende Regime von Präsident Askar Akajew hat viele der zu Sowjetzeiten errichteten Ambulanzen geschlossen, die medizinischen Dienste de facto privatisiert und zugelassen, dass Eltern Unterrichtsgebühren bezahlen müssen.

Aber etwas war schon gewesen in den letzten Tagen. Doch was? Sicher: Der langjährige Präsident und Autokrat Akajew floh nach Russland; Oppositionsführer Kurmanbek Bakijew wurde zuerst vom Oberhaus des alten Parlaments, dann vom neuen Einkammerparlament zum Ministerpräsidenten ausgerufen und mit den weitgehenden Befugnissen des Präsidenten ausgestattet; und Felix Kulew, ein weiterer «Oppositioneller», ist – wie früher – Chef der Sicherheitsdienste. Aber wie kam die «Revolution» zustande, wer steckte dahinter, wer mobilisierte die «Massen», und wer hat gewonnen?

Vor allem Clanchefs

Ein Blick zurück mag da hilfreich sein. Lange Zeit war Akajew, der erste Präsident der seit 1991 unabhängigen Kirgisischen Republik, eine unangefochtene Respektsperson gewesen. Er hatte zwar der alten Nomenklatura angehört, galt aber als ehemaliger Leiter der Akademie der Wissenschaften als unabhängig und hat während seiner ersten Amtsjahre im Zwist zwischen kirgisisch-nationalistischen Kreisen und dem russischstämmigen Bevölkerungsteil mässigend gewirkt. Mit der Zeit jedoch baute er sich sein eigenes Imperium auf.

Das konnte er tun, weil im Parlament nicht Parteien und Programme vertreten waren, sondern Clanchefs als «unabhängige» Abgeordnete sassen. Dass seine Hausmacht und vor allem seine Familie die letzte Parlamentswahl im Februar an sich riss, erboste seine KonkurrentInnen, die um Pfründe fürchteten. Akajews Sturz sei «zum Teil eine Investorenrebellion» gewesen, zitierte die britische Tageszeitung «Guardian» einen Beobachter; viele wohlhabende und einflussreiche Leute hätten bei der letzten Wahl im Jahre 2000 enorme Summen ausgegeben (die Rede ist von über einer halben Million Franken Bestechungsgeld an Akajews Familie), um im Parlament vertreten zu sein. Diese Leute wurden mit der jetzt gefälschten Wahl um ihren Einsatz geprellt.

Für diese These vom Kampf der Clans spricht die Biografie der neuen starken Männer. Bakijew war von 2000 bis 2002 Ministerpräsident unter Akajew gewesen. Er wurde entlassen, weil er in seinem Heimatbezirk auf oppositionelle DemonstrantInnen schiessen liess (sechs Tote). Kulew war unter Akajew Innenminister, Vizepräsident und Geheimdienstchef gewesen, bis er Lust aufs Präsidentenamt verspürte und dafür hinter Gittern verschwand. Auch die «Revolution» der vergangenen Tage und die Parlamentsentscheidungen zeigen in diese Richtung.

Um Privatbesitz verdient gemacht

Gerade mal 5000 DemonstrantInnen genügten, um Akajew in die Flucht zu schlagen, die meisten wurden aus den ärmsten Regionen herangekarrt. Und obwohl der Oberste Gerichtshof die Wahl des neuen Parlaments annullierte (die neue Aussenministerin Rosa Otunbajewa nannte die Versammlung in einem unbedachten Moment einen «Klub von Millionären»), wurden dessen Abgeordnete am Wochenende als legitime Volksvertreter vereidigt – Gerichtsbeschluss hin oder her. Kein Einziger der ehemals oppositionellen Führungsfiguren fordert eine Neuwahl. Sie haben sich arrangiert. Im neuen Parlament sitzen beispielsweise Akajews Sohn Haidar (derzeit abwesend) und die Gebrüder Salimbekow. Mamid gehört ein grosses Einkaufszentrum in Bischkek, Askar kontrolliert den grössten Basar der Stadt.

Auf einer seiner ersten Pressekonferenzen lobte der neue Interimspräsident Bakajew seinen Vorgänger als grossen Mann: Er habe sich «um die Demokratie, die Eigenstaatlichkeit, den Privatbesitz an Boden» verdient gemacht. Vielleicht kehrt ja Askar Akajew wieder zurück, nicht als Präsident, aber zu seinen Reichtümern. Er sei immer noch der legitime Präsident, sagt der neue Parlamentspräsident Ormusbek Tekenbajew. Die Armen von Bischkek, die auf den Strassen ihr letztes Hemd anbieten und trotz aller Bitten keine Käufer finden, werden sich über solche Aussagen gewiss freuen. Aber sie haben ja auch nie von Revolution geredet. Kurmanbek Bakijew gilt übrigens als einer der reichsten Männer von Südkirgisistan. (pw)