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Nordirland: Das politische Gefüge wankt

Feuer unterm Dach

11. Januar 2017 | Auf Nordirland kommen interessante Zeiten zu: Erst der Brexit, und nun eine Regierungskrise, die den Friedensprozess destabilisieren könnte.

Es sei Zeit, "die Arroganz der DUP ein für alle Mal zu beenden". Mit diesen harschen Worten begründete Martin McGuinness am Montag seinen Rücktritt als stellvertretender Regionalpremier von Nordirland. Die Demission (und vor allem die Begründung dafür) kommt einigermassen überraschend, auch wenn zuletzt von seiner angeschlagenen Gesundheit die Rede war. Denn McGuinness hatte über zehn Jahre hinweg eng mit PolitikerInnen der DUP – der pro-britischen, protestantischen Democratic Unionist Party – kooperiert.

Was gab den Ausschlag für diesen Schritt? War es allein der Skandal um die Regionalpremierministerin Arlene Foster, der einfach nicht verschwinden will? Im November war bekannt geworden, dass die Erste Ministerin Foster – die vor ziemlich genau einem Jahr ins höchste Regierungsamt von Nordirland gekommen war – während ihrer Zeit als Nordirland-Ministerin für Firmen, Handel und Investitionen eine reichlich bescheuerte Massnahme auch dann noch befürwortet hatte, als deren Wirkung längst im Zweifel stand.

Im Jahre 2012 hatte die nordirische Allparteien-Regierung eine sogenannte Renewable Heat Incentive (RHI) beschlossen, die als Anreiz zum Verheizen erneuerbarer Energien gedacht war. Die Idee war im Prinzip gut – sollten doch HausbesitzerInnen, Bauern und Unternehmen auf grüne Energiequellen umsteigen. Der inkompetent umgesetzte Plan führte jedoch dazu, dass viele die Subventionen nutzten: Beispielsweise Heuschober allein deswegen wärmten, weil dies Geld brachte, oder sich gar Heizungen zulegten, wo bisher keine nötig waren. Bis zu 400 Millionen Pfund Steuergelder, umgerechnet 480 Millionen Euro, wurden auf diese Weise in Sand gesetzt. Und Arlene Foster weigerte sich lange Zeit beharrlich, eine unabhängige Untersuchung über dieses Projekt zu akzeptieren.

Ständige Reibereien

Wahrscheinlich aber war der RHI-Skandal nur der allerletzte Tropfen, der noch gefehlt hatte. Denn in den vergangenen Jahren war es zwischen den beiden Koalitionspartnern, der DUP und der irisch-katholischen Partei Sinn Féin, fast schon regelmässig zu Reibereien gekommen. Diese beiden Parteien sind aufgrund des Friedensabkommens vom Karfreitag 1998 aufeinander angewiesen. Das Abkommen legt fest, dass die nordirische Regierung von den wichtigsten Parteien beidseits des gesellschaftlichen Grabens gestellt werden muss. Das sind seit langem die DUP, die bei der letzten Regionalwahl im Mai 2016 38 der insgesamt 108 Sitze erhielt und vor allem die protestantischen Wahlkreise dominiert. Und die ehemalige IRA-Partei Sinn Féin (28 Sitze).

Ohne ein Zusammenwirken dieser beiden Parteien gibt es also keine selbständige regionale Verwaltung Nordirlands. Anfang taten sich beide Seiten sehr schwer damit, eine Geschäftsgrundlage zu finden: Immer wieder hatten die protestantisch-unionistischen Organisationen (dazu gehört neben der DUP die Ulster Unionist Party, UUP) Vorbedingungen gestellt: Die IRA müsse nicht nur ihre Waffen abgeben, sondern sich auflösen, hatte es geheißen. Die RepublikanerInnen hätten gefälligst die Polizei zu respektieren. Die Unionisten seien nur mal in der Mehrheit, es gelte daher ihr Wille. Und so weiter. Erst acht Jahre nach dem Karfreitagsdeal und einem weiteren Abkommen trafen sich die großen Parteien DUP, UUP, Sinn Féin und die katholische Social Democratic and Labour Party SDLP zur ersten Kabinettssitzung.

Zu Beginn verlief alles verblüffend glatt – obwohl der Erste Minister Ian Paisley hiess und mit Martin McGuinness einen Stellvertreter hatte, der in den siebziger Jahren Stabschef der Irischen Republikanischen Armee gewesen war. Beide, die während Jahrzehnten völlig konträre Positionen vertreten hatten, schienen sich gut zu verstehen. Das änderte sich mit Paisleys (altersbedingtem) Abschied. An die Stelle der Predigers rückte dessen ewiger Stellvertreter in der DUP, Peter Robinson, der es von Anfang an vermied, die RepublikanerInnen von Sinn Féin als gleichberechtigte Partner zu behandeln. Schon zu Beginn der gemeinsamen Regierungszeit hatte es die DUP-Fraktion abgelehnt, die kurz zuvor vereinbarte Gleichberechtigung der irischen Sprache anzuerkennen. Danach setzte Robinson eine Polizei- und Justizreform nach dem Gusto der unionistischen Mehrheit durch – und beerdigte 2013 auch noch das (ebenfalls vereinbarte) Projekt des Maze-Friedenszentrums, das am Ort des früheren Hochsicherheitsgefängnisses Long Kesh hätte entstehen sollen.

In vielen Punkten spielte Sinn Féin also eine Nebenrolle – und das, obwohl McGuinness stets gute Miene zum unionistischen Spiel gemacht hatte. Und Sinn Féin in vielen Belangen – etwa der Sozialkürzungspolitik – der konservativen DUP entgegen gekommen war. McGuinness protestierte nicht einmal, als im nordirischen Bildungssystems einige seiner Reformen wieder rückgängig gemacht wurden. Sehr weit auseinander lagen die beiden Parteien auch bei der Brexit-Abstimmung im Juni 2016. Während die irischen RepublikanerInnen fast ausschliesslich für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU votierten, warb die DUP für den Austritt.

Konkurrenz von links

Mit der scharf formulierten Rücktrittserklärung hat McGuinness nicht nur sich selber Luft verschafft. An der Sinn-Féin-Basis ist in letzter Zeit die Sorge gewachsen, dass nicht nur Arlene Foster, sondern die gesamte Regierung vom RHI-Skandal beschädigt werden könnte – und damit auch die Partei. Bei der letzten Regionalwahl hatten zwar alle grossen Parteien an Prozentpunkten verloren, am deutlichsten waren die Einbussen jedoch bei Sinn Féin gewesen; sie hatte nach Jahrzehnten des ununterbrochenen Zuwachses erstmals Stimmen verloren und war nur noch auf 24 Prozent gekommen (2011: 26,9 Prozent). In ihren Hochburgen Westbelfast und Derry hatte sie zwei Sitze an das linke Bündnis People before Profit abgegeben.

Der Rücktritt des ewigen Ministers McGuinness ist insofern von Bedeutung, als ohne einen Stellvertreter Arlene Foster nicht lange überleben wird. Sollte Sinn Féin nicht binnen einer Woche einen Nachfolger bestimmen (und das wird die Partei nicht tun), fällt die Koalition auseinander. Und das Regionalparlament wird aufgelöst. In diesem Fall übernimmt London wieder die Direktherrschaft über Nordirland – ein Modell übrigens, das viele UnionistInnen sowieso für das Beste halten, weil es (so glauben sie jedenfalls) die Verbindung von Britannien und Nordirland stärkt.

Den Regeln zufolge kommt es rund sieben Wochen nach der Parlamentsauflösung zu Neuwahlen. Ob das künftige Parlament dann eine Lösung findet, ist offen. Ohne Sinn Féin und DUP wird (schon aufgrund ihrer Grösse) auch künftig eine Regionalregierung kaum möglich sein; es ist jedoch kaum zu erwarten, dass beide Seiten einfach wieder zusammenarbeiten. Das aber bedeutet, dass Nordirland für längere Zeit keine eigene Verwaltung haben wird – und das zu einem heiklen Zeitpunkt. Schliesslich hatte die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung gegen den Brexit gestimmt, über dessen Bedingungen jetzt dann verhandelt wird. Käme dabei eine "harte", also befestigte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland heraus, wäre für permanente Unruhe gesorgt.

Und noch mehr Unruhe kann sich die nordirische Gesellschaft kaum leisten – schliesslich war der Friedensprozess nur auf der obersten politischen Ebene erfolgreich gewesen. Also jener Ebene, auf der es gerade brennt. (pw)