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Nordirland: Ian Paisley (1926–2014)

Vom Mister No zum «grossen Staatsmann»

15. September 2014 | Der nordirische Politiker und Prediger Ian Paisley galt lange Zeit als Haupthindernis auf dem Weg zu einem Verständigungsprozess zwischen den Gemeinschaften.

Es gab schon einmal Nachrufe auf den wortgewaltigen Kirchenmann Ian Paisley, der vergangene Woche im Alter von 88 Jahren starb. Das war vor sechs Jahren, nach seinem Rücktritt als Nordirlands Regionalpremier. Auch damals hatten ihn viele als herausragenden und überaus populären Politiker gelobt – und dabei vergessen, wie verhasst er bei manchen gewesen war. Sicher ist, dass niemand so sehr die Geschichte des nordirischen Konflikts geprägt hat wie er.

Drohungen mit Galeerenschiffen

Schon in den sechziger Jahren war Ian Paisley pausenlos durch Nordirland gezogen und hatte in Gebetshallen, an Strassenecken und auf Arbeiterversammlungen gegen die Gefahren angepredigt, die «unserem protestantischen Ulster drohen». Er sprach mit mächtiger Stimme von Verrat und von den Galeerenschiffen, auf denen der Vatikan alle Gottesfürchtigen in die Sklaverei schicken wolle. Viele von ihm aufgeputschte Loyalisten nahmen ihm das ab – und begannen ihren Kampf gegen die irisch-republikanische Armee (oder was sie dafür hielten). Dabei existierte die IRA damals faktisch nicht. Warum er 1966 drei Menschen tötete, erklärte Gusty Spence, langjähriger Chef eines protestantischen Killerkommandos, vor längerem in einem Gespräch mit der WOZ so: «Ich habe damals leider Paisley geglaubt.»

Sie glaubten Paisley auch, weil er die Ängste der protestantischen Siedlergemeinschaft artikulierte, die sich von FeindInnen umzingelt sah. «Keine Unterwerfung!» war eine seiner Parolen, mit denen er alle in die Knie zwang, die das nordirische Regime modernisieren und der irisch-katholischen Minderheit ein paar Rechte zugestehen wollten. Er und seine Gefolgschaft fegten mit Massenkundgebungen, Streiks und an der Urne nacheinander alle protestantisch-unionistischen Regionalpremiers aus dem Amt, die Kompromisse eingehen wollten. Paisley war der Geburtshelfer der IRA. Je heftiger die irischen RepublikanerInnen gegen den britischen Staat kämpften, desto heller leuchtete sein Nimbus in der protestantischen Bevölkerung, die ihn mit grossen Mehrheiten ins britische Unterhaus, ins Europaparlament und ab 1998 in die neu geschaffene nordirische Assembly wählte.

Dort jedoch holte den Meister der sich selbst erfüllenden Prophezeiung die Vergangenheit ein. Anfangs bekämpfte er noch vehement das Karfreitagsabkommen von 1998 – und verlangte vom Gegner stets neue Zugeständnisse: Waffenruhe, dann Waffenabgabe, dann eine Entschuldigung für den «Terror», schliesslich die Selbstauflösung. Als dies auch den Regierenden in London und Dublin zu bunt wurde und sie Paisleys Democratic Unionist Party (seit über zehn Jahren stärkste Partei Nordirlands) die Pistole auf die Brust setzten, gab er nach – und wurde 2007 Erster Minister einer Allparteienregierung, in der die frühere IRA-Partei Sinn Féin den zweitwichtigsten Part spielt.

Das Monster wird ein Kicherbruder

Er höchstpersönlich habe die IRA zerschlagen, begründete Paisley den spektakulären Kurswechsel: «Ich habe ihnen den Boden unter den Füssen weggezogen: Sie kämpften gegen den britischen Staat, nun sitzen sie in einer britischen Regierung.» Ganz unrecht hatte er damit nicht – immerhin war er Ziehvater vieler probritischer Paramilitärs gewesen, die Hunderte von KatholikInnen niedermetzelten, bis die IRA den Kampf einstellte.

Und doch goutierte seine Basis Paisleys neue Funktion nicht. Warum, fragten sich viele, versteht er sich so blendend mit seinem Stellvertreter, dem ehemaligen IRA-Stabschef Martin McGuinness, den er früher «Monster» und «Mörder» nannte? «Chuckle brothers», Kicherbrüder, wurde das Duo bald genannt, das auch harmonierte, weil Sinn Féin alle linken Ziele hatte fahren lassen. Dem charismatischen und privat überaus grossherzigen und humorvollen Ian gefiel es aber auch, dass er es mit seinem Amtsantritt geschafft hatte, dem betulichen unionistischen Establishment, das ihn so lange als Paria behandelt hatte, eins auszuwischen.

Doch manche sahen nun in ihm einen «Verräter». Ian Paisley , der so oft Nein sagte, wurde von jenen Geistern eingeholt, die er einst beschworen hatte: Noch immer steht ein Grossteil der protestantischen Bevölkerungsmehrheit einer Machtteilung mit den VertreterInnen der katholischen Minderheit skeptisch gegenüber. Und noch immer wächst in den probritisch-protestantischen Arbeiterquartieren der Hass auf «die anderen» jenseits der vielen «Friedensmauern». So gesehen, hat Paisley am Ende politisch auch über sich selber gesiegt. (pw)