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Arbeit vs. Kapital: «Gemeinsam sind wir mehr»

Von der 80- zur 35-Stunden-Woche

8. März 2021 | Ab sofort ist das Buch «Druck.Machen – eine etwas anders Stadtgeschichte von Konstanz» auf dem Markt. Es schildert die lokalen Kämpfe für Demokratie und soziale Rechte.

Im Jahre 1870 gründete eine Handvoll von Druckern und Schriftsetzern in Konstanz den Ortsverein des Verbands Deutscher Buchdrucker; er ist die älteste heute noch existierende Gewerkschaftsgliederung in der Region. Aus Anlass des Jubiläums verfassten Mitglieder des Ortsvereins (nun Teil der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di) ein Buch, das die Geschichte der örtlichen Demokratie- und Gewerkschaftsbewegungen erzählt und von einem Projekt des Studiengangs Kommunikationsdesign der HTWG Konstanz gestaltet wurde.

Warum dieses Buch geschrieben wurde und in welchem Zusammenhang es steht, habe ich im Vorwort so erläutert:

Als sich vor 150 Jahren Buchdrucker und Schriftsetzer in Konstanz zusammensetzten und den Ortsverein des Verbands der Deutschen Buchdrucker gründeten, gehörten sie zur Elite der Arbeiterklasse. Sie konnten nicht nur lesen und schreiben (damals unter ArbeiterInnen eine Ausnahme), sie waren sogar ausgesprochen gut ausgebildet und zeigten sich mit ihrer Sprach- und Textfertigkeit oft selbst jenen überlegen, die zur intellektuellen Elite zählten. Und doch vegetierten sie am Rande des Existenzminimums, lebten in feuchten, dunklen Wohnungen, arbeiteten in giftigen Dämpfen und starben jung. Viele von ihnen arbeiteten in Kleinstbetrieben und zogen vielfach von einem «Prinzipal», einem Druckereibesitzer, zum nächsten – immer auf der Suche nach einem Auskommen und einer Zukunft. Ihre Lage besserte sich erst, als sie sich, wie die Beschäftigten anderer Gewerbe, zu einer Gewerkschaft zusammenschlossen. Als sie trotz oft widriger Umstände – trotz Verbot, staatlicher Repression und Krisen – den Unternehmen bessere Arbeitsbedingungen abtrotzten und mit anderen ArbeiterInnen für ihre Rechte und eine Demokratisierung der Gesellschaft kämpften. Als sie gemeinsam handelten.

In der Geschichte mussten die Buchdrucker und Setzer sich immer wieder neuen Produktionsbedingungen anpassen und auf politische Entwicklungen reagieren –indem sie sich gegen die bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse auflehnten, für soziale Rechte kämpften, nicht alles hinnahmen und Forderungen erhoben, die sie – wenn sich genug MitstreiterInnen fanden – auch durchsetzen konnten. Was aber hat sich in den anderthalb Jahrhunderten genau getan? Mit welchen Problemen hatten die Konstanzer ArbeiterInnen der Druckindustrie (aber nicht nur sie und nicht nur dort) zu kämpfen? Was konnten die Drucker, die SetzerInnen und zunehmend auch die ungelernten Arbeiterinnen des Druckereigewerbes durchsetzen? Woran sind sie gescheitert und warum?

Ihre Geschichte lässt sich natürlich nicht isoliert betrachten: Oft gaben nationale und internationale Ereignisse den Ton an, oft wurden Ideen und Umwälzungen aufgegriffen, die nicht lokalen Ursprungs waren. Die demokratische Revolution 1848 zum Beispiel hatte nicht in Konstanz begonnen, aber die besondere geografische Lage der Stadt begünstigte eine Erhebung auch hier. Es wurde viel riskiert für die Vision eines demokratischen, gemeinschaftlichen Miteinanders, sei es während der repressiven Sozialistengesetze, in der Novemberrevolution 1918 und während des Nationalsozialismus, als die Region zum Scharnier des antifaschistischen Widerstands wurde. Wir zeigen in diesem Buch aber auch, wie sich die Konstanzer GewerkschafterInnen nach 1945 neu formierten und was sie sich einfallen ließen, um die sozialen Verhältnisse zu bessern. Wo wurde welcher Protest organisiert? Und welchen Einfluss hatten Frauen auf die ursprünglich männerdominierten Organisationen?

Geraubte Dokumente

Beim Verfassen der Beiträge haben wir darauf geachtet, eine gendersensible Sprache zu benutzen, und dazu das Binnen-I gewählt. Bei den Druckfacharbeitern verwenden wir allerdings bis in die Gegenwart hinein die männliche Form, da sie lange Zeit keine Frauen in ihrer Gewerkschaft duldeten und nur wenige Frauen diesen Beruf überhaupt ergriffen. Ebenso eine kleine Minderheit waren die Revolutionärinnen von 1848 und die Pionierinnen in den sozialistischen Parteien und der frühen Gewerkschaftsbewegung – erinnert sei hier an Ausnahmeerscheinungen wie an Emma Herwegh, die Friedrich Hecker in Engen aufspürte, an Amalie Struve, die zusammen mit ihrem Mann Gustav zunächst in Konstanz agitierte und sich im Frühsommer 1849 der badischen Revolutionsarmee anschloss, und an Sozialistinnen wie Clara Zetkin, die sich während ihres Aufenthalts in Zürich an der Roten Feldpost beteiligte, mit der das Sozialistengesetz 1878–1890 unterlaufen wurde. Erst ab 1918, als mit der Novemberrevolution das allgemeine gleiche Wahlrecht, erste Formen der betrieblichen Mitbestimmung und den Achtstundentag durchgesetzt wurde, waren Frauen nicht mehr wegzudenken, wenngleich noch heute längst nicht alle Forderungen nach gleichberechtigter Teilhabe eingelöst sind.

Der 1870 gegründete Konstanzer Ortsverein des Verbands der Deutschen Buchdrucker – 1933 von den Nationalsozialisten verboten, danach als Ortsverein der Industriegewerkschaft Druck und Papier wiedererstanden – ist heute Teil der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Unter dem Namen «Ortsverein Medien und Kunst» ist er nicht nur einer der wenigen noch aktiven Medien-Ortsvereine im Land, sondern auch die älteste Gewerkschaftsorganisation am westlichen Bodensee.

Für uns Mitglieder des Ortsvereins und der «Initiative Geschichte der Demokratiebewegungen in Konstanz» war dies der Anlass, auf Spurensuche zu gehen, sowohl in der einschlägigen lokalhistorischen Literatur als auch in Stadt-, Kreis- und Staatsarchiven. Nicht immer fanden wir, wonach wir suchten: Zahlreiche Originaldokumente wie gewerkschaftliche Protokollbücher, Aufrufe oder Flugblätter sind verschwunden, als die Nazis 1933 die Gewerkschaftsbüros stürmten und die Akten vernichteten; andere Belege – etwa des demokratischen Widerstands während des Sozialistengesetzes oder der Nazizeit – fehlen schon deswegen, weil die Aktionen geheim abliefen. Greifbar ist mitunter nur das, was Spitzel oder die Polizei zusammengetragen hatten, was Behörden einander mitteilten oder worüber Medien berichteten. Letztere fielen im Fall der Drucker als Quellen meist ganz aus: Wenn diese streikten, erschien keine Zeitung und die Verleger hatten meist keinerlei Interesse daran, darüber auch noch zu berichten. Dennoch, so hoffen wir, ist es uns gelungen, eine «etwas andere» Stadtgeschichte zu schreiben.

Die Aktualität des Rückblicks

Mit dieser Publikation wollen wir zeigen, dass es sich lohnt, zusammenzustehen – auch heute noch, da im reichen Deutschland die Zahl derer wieder wächst, die an oder unter der Armutsgrenze leben, weil sie einen Lohn bekommen, der zum Leben kaum reicht: Schein- und Soloselbständige, MinijobberInnen, Teilzeit- und befristet Beschäftigte, Clickworker, PaketbotInnen, Fahrradkuriere, Sicherheits- und Reinigungskräfte, aber auch das Pflegepersonal in Privateinrichtungen, VerkäuferInnen (die selbst im wohlhabenden Konstanz seit Jahren kaum noch unbefristete Vollzeitstellen bekommen), Busfahrer privatisierter Transportunternehmen. Schon vor der Virenkrise mit ihrer millionenfachen Kurzarbeit und der rapide zunehmenden Arbeitslosigkeit wuchs hier ein modernes Subproletariat heran, das von der Hand in den Mund lebt, dessen Kinder nur schlechte Bildungschancen haben, das oft isoliert arbeitet, wenig Unterstützung findet und es nur in Ausnahmenfällen schafft, Tarifverträge, bessere Bedingungen oder ein höheres Entgelt durchzusetzen.

Die Geschichte der Demokratie sei eine «Geschichte politischer Kämpfe – und im Kern eine Geschichte der Klassenkämpfe», schreibt der Soziologe Stephan Lessenich in seinem Buch Grenzen der Demokratie: Das Ringen um die «Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse lässt sich rückblickend als politisch-soziale Antwort auf das Problem zunächst aristokratischer, sodann bürgerlicher Klassenherrschaft verstehen». So gesehen beschreibt dieses Buch nicht nur die Geschichte der Gewerkschaften in Konstanz. Es ist auch ein Beitrag zur lokalen Geschichte der Demokratiebewegungen.

Das AutorInnenkollektiv


«Druck.Machen – eine etwas andere Stadtgeschichte von Konstanz». Geschrieben von Ralph-Raymond Braun, Patrick Brauns, Pit Wuhrer, Margrit Zepf. Gestaltet von Kommunikationsdesign-StudentInnen der HTWG Konstanz unter Leitung von Karin Kaiser.

184 Seiten, Großformat, mit vielen Karten, Grafiken und Abbildungen. Preis: 19,80 Euro

Querwege Verlag. Konstanz 2021. ISBN 978-3-941585-11-9. Erhältlich in jeder guten Buchhandlung.