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Britannien: Boykott gegen «Zürich Versicherungen»

Pervers, asozial, räuberisch

18. Juni 1993 | Zwanzig Jahre lang kam die Gewerkschaft mit der britischen Firma gut aus, noch im Februar lobte das Unternehmen die Zusammenarbeit. Dann übernahm die «Zürich Versicherungsgruppe» das Geschäft.

Die Gewerkschafter finden harte Worte. «Das ist einer der größten Angriffe auf Gewerkschaftsrechte», sagt Philip Jennings, der nicht ruhen will, «bis unsere Rechte wieder hergestellt sind». Und Roger Lyons setzt nach: «Gewcrkschaftsrechte sind Menschenrechte», sagt er. Folglich sei die «ZürichVersicherungs-Gruppe» ein «Feind der Menschenrechte». Was das Unternehmen in Britannien getan habe, sei «pervers, asozial und räuberisch» und nur vergleichbar mit dem Vorgehen «eines Diktators, eines repressiven Regimes».

Jennings ist Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes «Federation International des Employcs, Techniciens et Cad­ res» (FIET), dem 327 Gewerkschaften in über hundert Ländern angehören; Lyons ist Generalsekretär der mit 600 000 Mitgliedern viertstärksten britischen Gewerkschaft, «Manufacturing, Science, Finance» (MSF). Beide sprachen am Montag auf einer Pressekonferenz in Zürich.

Seit 1972 hatte die MSF mit der britischen Versicherung «Municipal Mutual Insurance» (MMI) keine Probleme gehabt, es gab keine Streiks, keine nennenswerten Konflikte. Anfang der neunziger Jahre geriet die MMI, die vorwiegend Kommunalverwaltungen und städtische Bedienstete versicherte, in Schwierigkeiten. Also verkündete das Unternehmen im Frühjahr 1992, dass es die Übernahme durch eine andere Versicherungsgesellschaft anstrebe; doch die ursprünglich angestrebten Verhandlungen mit einer französischen Firma scheiterten.

Im März dieses Jahres kaufte die «Zürich Versicherungs-Gruppe», die seit langem mit drei hundertprozentigen Tochtergesellschaften («Zurich International», «Zurich Life», «Zurich RE») auf dem britischen Finanzmarkt operiert, den lukrativen Teil der MMI, gründete «Zurich Municipal» und übernahm rund 1500 Beschäftigte.

Immer nur ein Minimum an Rechten

Im April feuerte der für Britannien zuständige Konzembevollmächtigte Dennis White die Gewerkschaft. Er entzog den 1200 organisierten Angestellten das Recht, ihre Interessen von der MSF vertreten zu lassen. Mit einem Schlag verlor die ehemalige MMI-Belegschaft jedes Recht auf kollektive Mitsprache und Anhörung etwa bei Geschäftsverlagerung, Umstrukturierungen und Entlassung; auch bei Tarifverhandlungen ist die MSF nicht mehr anerkannt. Damit nutzt die «Zürich» die rechtlichen Möglichkeiten, welche die konservativen Thatcher- und Major-Regierungen geschaffen haben. Von der Möglichkeit, die Gewerkschaft aus dem Betrieb zu verbannen, hat in Britannien bisher jedoch kein Großunternehmen Gebrauch gemacht. «Alle ausländischen Unternehmen haben uns anerkannt», sagte Roger Lyons, «da gab es bis jetzt keine Probleme.»

Die «Zürich» ist mit 36.000 Beschäftigten, Tochterunternehmen in dreißig Staaten und Geschäftstätigkeit in achtzig Ländern eine der großen Versicherungen in Europa – aber eine, «die ihren Beschäftigten immer nur die Rechte zugesteht, welche die jeweiligen Ländergesetze vorschreiben, also immer nur das Minimum». So formuliert es Arno Rasmussen, FIET-Fachgruppensekretär für Banken und Versicherungen.

Er erinnert sich, dass man vor Jahren der «Zürich» ziemlich nachdrücklich hätte klarmachen müssen, dass das deutsche Betriebsverfassungsgesetz (das die Rechte der Betriebsräte regelt) in der Bundesrepublik nicht nur für deutsche Unternehmen gilt, sondern für alle, also auch schweizerische.

Die Beschäftigten seien die Stärke der Konzerngruppe, schreibt die «Zürich» in einer Selbstdarstellung («Who owns whom», 1993). Und in einem Pressecommuniqué vom letzten Montag ist von «gegenseitiger Achtung» die Rede und von einer «Dialogbereitschaft gegenüber allen Mitarbeitern, deren persönliche und berufliche Förderung uns ein fortwährendes Anliegen ist.»

Dieses Communiqué bestätigt die Vorwürfe von MSF und FIET – wenn auch indirekt.vDie lokalen Geschäftsstellen seien in den jeweiligen Ländern verantwortlich für die gesamte Geschäftstätigkeit, «einschließlich der Beziehungen mit den Sozialpartnern». Und: «Vorwürfe der Missachtung gesetzlicher Grundlagen oder Abmachungen müssen in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden.»

Beispiel Irland

Das allerdings werfen die Gewerkschaften der «Zürich» genau nicht vor – im Gegenteil: Sie kritisieren vielmehr, dass die Versicherungsgruppe jede sich ihr bietende rechtliche Möglichkeit nutzt. Als beispielsweise in der irischen Konzemtochter Umstrukturierungen und Entlassungen anstanden, habe die britische «Zürich»-Verwaltung, welche die irische Tochter betreut, der Gewerkschaft ebenfalls die Anerkennung entzogen, sagt Roger Lyons.

Die MSF, die auch in Irland organisiert, zog vors Arbeitsgericht und gewann. In Irland darf – anders als in Britannien – einer Gewerkschaft nicht einfach das Recht auf Interessenvertretung entzogen werden. Roger Lyons: «Wir haben nun die absurde Situation, dass uns die ‘Zürich’ in Irland akzeptieren muss, in Britannien aber nicht.»

In einem ersten «räuberischen Akt» habe die «Zürich» die Pensionskasse übernehmen wollen, sagt Lyons, und den Beschäftigten angekündigt, dass ihre Ansprüche reduziert würden. Weil «Rolf Hüppi (der Präsident) nicht an Menschenrechte glaubt», weil die «Zürich» gegen die OECD-Richtlinien für multinationale Konzerne verstosse und auch die Europäische Menschenrechtskonvention verletze, haben MSF und FIET nun eine Kampagne beschlossen - zumal sich das «Zürich»-Direktorium lange Zeit weigerte, mit den Gewerkschaften überhaupt zu reden.

Mit Labour-Connection

Die «Zürich» müsse zum öffentlichen Hauptfeind gemacht werden («public enemy number one»), sagt Loyns Darüber habe er in den letzten Tagen mit Bundesrätin Ruth Dreifuss konferiert, und Christiane Brunner, mit der er ebenfalls sprach, werde den Fall demnächst im Nationalrat ansprechen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat mittlerweile eine Solidaritätserklärung beschlossen. Er verurteilt die Haltung der «Zürich» und «lehnt eine solche Form des sozialen Dumpings mit aller Entschiedenheit ab».

Darüber hinaus will MSF die «Zürich» vor europäischen Gerichten verklagen, den Fall vor das EG-Parlament bringen und – mit Unterstützung der FIET – einen Firmenboykott lancieren. Der könnte für das Unternehmen schmerzhaft werden. So weigert sich die Belegschaftsvertretung der großen britischen Wohnungsbaugesellschaft Halifax, ihren Mitgliedern die Angebote der «Zurich Municipal» zu unterbreiten. Und am Dienstag berieten MSF-Funktionäre mit fünfzig Unterhaus- Abgeordneten über Kampfmassnahmen.

Die «Zurich Municipal» versichert vor allem Gemeinden und deren Beschäftigte. Die meisten Stadtverwaltungen aber werden von der Labour Partei kontrolliert. (pw)