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Kapital & Arbeit: Ausplünderung durch Investitionsschutz

Der neue Raubzug

18. März 2014 | SpekulantInnen fallen über die Krisenstaaten Griechenland, Zypern und Spanien her und verlangen Entschädigungen in Milliardenhöhe, weil sie sich verzockt haben. Was absurd klingt, ist längst ein Geschäftsmodell.


Am Anfang stand eine gar nicht mal so abwegige Idee: Um Investitionen von Firmen (etwa aus dem Norden) in einem Land mit unsicheren Rechtsverhältnissen (beispielsweise im Süden) zu ermöglichen, verpflichten sich Staaten, das Kapital und die Produktionsmittel privater AnlegerInnen zu schützen. War es nicht immer wieder vorgekommen, dass Nepotismus, Gangstertum oder politische Umstürze ehrbaren Händlern, weltoffenen FabrikantInnen oder wohlmeinenden Finanzinstituten die Früchte ihres Engagements entzogen? Also gründete die Weltbank 1965 mit dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ICSID in Washington ein Schiedsgericht, das bei Enteignungen Ansprüche von geschädigten Unternehmen prüfen und gegebenenfalls Entschädigungszahlungen festlegen sollte. Soweit die Theorie.

Doch in der Praxis sind Investitionsschutzabkommen längst zu einem einträglichen Geschäft für Firmen und Anwaltskanzleien geworden. Das belegt eine Studie der Forschungs- und Kampagnengruppe Corporate Europe Observatory (CEO), die die Lobbytätigkeit von Unternehmen beobachtet. In ihrem Bericht «Von der Krise profitieren», der vergangene Woche in Brüssel und Amsterdam präsentiert wurde, dokumentiert die Gruppe, wie Konzerne mit Hilfe von Anwaltskanzleien in den vergangenen Jahren über europäische Krisenstaaten hergefallen sind.

Überzogene Ansprüche

Das 46 Seiten lange Papier führt im Detail drei Beispiele auf:

● So verklagten die slowakische Poštová Bank und der zypriotische Finanzanleger Istrokapital Griechenland vor dem ICSID auf eine bis heute unbekannte Summe. Beide hatten 2010 aus Spekulationsgründen griechische Staatsanleihen erworben, obwohl diese von den Ratingagenturen bereits auf Ramschniveau eingestuft waren. Bei der folgenden Umschuldung (es wurde ein Teil der Schulden gestrichen) kamen die internationalen GläubigerInnen zwar vergleichsweise gut weg, doch das genügt den ManagerInnen von Poštová Bank und Istrokapital nicht.

● Auch der griechische Kapitalanleger Marfin Investment reichte eine Klage ein, der sich zwanzig weitere griechische InvestorInnen anschlossen. Das Verfahren, das Ende September 2013 vor dem ICSID begann, richtet sich gegen Zyperns Regierung, die auf Druck der Troika von EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds die Laiki Bank verstaatlichte. Der Laiki-Aktionär Marfin hatte zuvor auf eine rapide Ausweitung der Bankgeschäfte gedrängt und dadurch das Geldhaus in Schwierigkeiten gebracht. Mit ihrer Klage versprechen sich die 21 AnlegerInnen ein Schadenersatz in Höhe von über einer Milliarde Euro.

● Von Spanien wiederum fordern 22 Banken und Hedgefonds – darunter der deutsche Finanzdienstleister KGAL, die Öko-Investmentfirma White Owl, die Commerzbank, die Hamburger Sparkasse und die Deutsche Bank – insgesamt über 700 Millionen Euro. Begründung: Ihnen seien Verluste entstanden, weil die spanische Regierung 2008 die bis dahin grosszügige Solarförderung zusammenstrich. Obwohl die meisten Firmen erst ins Solargeschäft später einstiegen, als die Zuschüsse bereits eingefroren waren, wollen sie nun eine Entschädigung.

Nach den Banken sollen die Staaten – die selber nicht klagen können und nur verklagt werden dürfen – nun auch noch SpekulantInnen retten. Und zahlen werden die Menschen, die etwa in Griechenland seit Beginn der Finanzmarktkrise um vierzig Prozent ärmer geworden sind oder die in Spanien unter einer Regierung leiden, die die Ausgaben im Bildungs- und Gesundheitswesen um über ein Fünftel zusammengestrichen hat.

Milliarden zugunsten der Konzerne

Mit den Klagen, so die Forschungsgruppe CEO, werde in Europa erstmals praktiziert, was gegenüber den Staaten im Süden längst üblich ist. Eine rechtliche Grundlage dafür bieten die weltweit rund 3000 Investitionsschutzverträge, die von Regierungen abgeschlossen wurden. Ihre Bestimmungen sind meist vage formuliert: Sie verlangen eine «faire und gerechte Behandlung» der ausländischen InvestorInnen (inländische haben kein Klagerecht) oder den Schutz vor «indirekter Enteignung». Darunter kann vieles fallen, sogar die Aussicht auf geringere Profiterwartung – ein gefundenes Fressen für internationale Grosskanzleien, die ihre MandantInnen mitunter zu einer Klage drängen, ihnen eine Risikogarantie offerieren und sich dann einen Teil der erstrittenen Gelder aneignen.

Das Geschäft ist recht einträglich. Knapp sechzig Prozent der Entschädigungsverfahren gehen ganz oder teilweise zugunsten der KlägerInnen aus; im Durchchnitt beziehen die Kanzleien ein Honorar von acht Millionen US-Dollar – pro Fall. Das liegt auch daran, dass die Schiedstribunale wie das ICSID keine staatlichen Gerichte sind. Es gibt keine ordentliche RichterInnen, die Verfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, eine Berufung ist nicht möglich. Auch dank dieser Geheimniskrämerei konnte das ICSID 2012 den Staat Ecuador zur Zahlung von knapp 1,8 Milliarden US-Dollar an den US-Multi Oxy verurteilen, weil die Regierung eine schon genehmigte Probebohrung untersagt hatte. Argentinien musste nach der Wirtschaftskrise 2001 und dem Staatsnotstand ausländischen Konzernen insgesamt rund 980 Millionen US-Dollar an Entschädigung zahlen. Und die Deutsche Bank bekam von der Regierung Sri Lankas 60 Millionen Dollar.

Zu den derzeit 185 hängigen ICSID-Verfahren gehören die Klagen des schwedischen Vattenfall-Konzerns gegen Deutschland (Grund: Atomausstieg und Stilllegung von zwei AKWs, beansprucht: rund vier Milliarden Euro), des US-Unternehmens Lone Pipe gegen Kanada (Fracking-Moratorium in Quebec, 250 Millionen US-Dollar), des US-Tabak-Konzerns Philip Morris gegen Australien (Streichung des Logos auf Zigarettenschachteln, Klagesumme: mehrere Milliarden Dollar).

Rund 140 Staaten haben die ICSID-Konvention unterschrieben, doch ihre Zahl schwindet. Australien, Indien und Südafrika haben gekündigt, ebenso Argentinien, Brasilien, Ecuador, Bolivien und Venezuela. Im EU-Raum allerdings, wo seit dem Vertrag von Lissabon die EU-Kommission für Investitionsschutzabkommen zuständig ist, wird die Zahl der Klagen eher zunehmen – vor allem dann, wenn das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP Realität wird: Es sieht weitreichende Investitionsschutzklauseln vor. (pw)