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Zum Tod von Markus Klemt

Immer auf Achse. Immer da.

26. März 2024 | Er war in den letzten Jahrzehnten oft in Konstanz zu sehen – auf Streikposten, auf Demonstrationen, bei Sitzungen. Aber er kommt nicht wieder: Am Montag vergangener Woche ist der engagierte Gewerkschafter Markus Klemt überraschend gestorben.

Geboren 1961 im südbadischen Waldkirch, dort Lehre und Tätigkeit als Drucker, Gewerkschaftsmitglied ab 1978, Betriebsratsvorsitzender in der Druckbranche, 1999 Bezirkssekretär der IG Medien in Reutlingen, 2002–2006 stellvertretender Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Schwarzwald-Bodensee, ab 2006 Gewerkschaftssekretär in den Bereichen Medien und Handel, insgesamt 46 Jahre Berufstätigkeit, gestorben am 18. März 2024, zwei Wochen vor Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand …

… so in etwa ließe sich das Leben von Markus Klemt zusammenfassen. Doch der 63jährige war mehr als nur ein Funktionär – weitaus mehr. Das zeigen die folgenden Stellungnahmen.

Ein Volksredner mit Witz

Früher kam Markus Klemt häufig zu Betriebsratssitzungen und meist hatte er eine Kleinigkeit zum Vespern mitgebracht, ein paar süße Stückle oder salzige Brezeln. Somit war gute Laune garantiert. Das änderte aber nichts daran, dass wir mit ihm oft auch hitzige Diskussionen führten, schliesslich ging es darum, den besten Weg für die KollegInnen zu finden.

Die letzten Jahre veränderte sich vieles, er konnte nicht mehr so oft kommen, sein Betreuungsbereich umfasste halb Baden-Württemberg und er sass oft stundenlang im Auto, was seiner Gesundheit nicht zuträglich war. Es war ihm aber nie zu viel, mitten in der Nacht aufzustehen, um Hunderte von Kilometern zu fahren, wenn es darum ging, eine Belegschaft zum Streik aufzurufen.

Auf Betriebsversammlungen hat er meist seine Qualität als Volksredner mit einem Witz etabliert und dafür gesorgt, dass sich die KollegInnen meistens auf einen unterhaltsamen Vortrag freuten. Aber oft hat er auch ein ausführliches gewerkschaftliches Grundsatzreferat gehalten – sehr zum Ärger der Geschäftsführer, die allesamt ob der klassenkämpferischen Aufwiegelungen einen roten Kopf bekamen und versuchten, sich abzulenken, indem sie zum Beispiel ihren Geldbeutel aufräumten, während Markus die Belegschaft in Richtung Widerstand informierte und die KundInnen stundenlang vor der Tür standen. Seine Ausführungen haben auch manchem trägen Geschäftsführer Beine gemacht, weil Markus stets deutlich gemacht hat, dass ohne die organisierten KollegInnen im Betrieb nichts geht.

Markus, du aufrechter Gewerkschafter: Gehab dich wohl und lass dir deine Fluppen im Gewerkschaftshimmel weiter schmecken!

Juris Reksans, seit 1998 stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Karstadt Konstanz

Ulrike Wuhrer, Betriebsratsvorsitzende von Hertie/Karstadt Konstanz 1987–2019


Im Einsatz für die Schwächeren

Markus habe ich 2002 kennen- und schätzen gelernt, als ich von Stuttgart nach Rottweil zog und auch meine journalistische Gewerkschaftsarbeit (IG Medien, dju, ver.di) dorthin verlagerte. Seitdem haben wir uns immer wieder an unterschiedlichen Orten, zuletzt meist in Rottweil, getroffen.

Für mich war Markus nicht nur ein unglaublich hilfsbereiter und nahbarer Mensch, nicht nur wacher politischer Mitstreiter in der Kommunalpolitik, sondern auch die Verkörperung all dessen, was für mich Gewerkschaft ausmacht: Unermüdlich, kämpferisch, kritisch, stets aktiv im Einsatz für die Schwächeren und meist mitten in einer politischen Diskussion. Du fehlst uns. In Rottweil und überall.

Hannes Dürr, Rottweil


Im Tarifhamsterrad

Eigentlich war Markus Klemt eineinhalb Gewerkschaftssekretäre: Er – und in der Zeit, da sie bei ihm „beschäftigt“ war – seine Hündin. Ver.di-Streik-Fahnenträgerin, 1. Mai-Plakette, für Frieden und Abrüstung mit lautem Gebell und Butterbrezel-Empfängerin bei Sekretärssitzungen. Und später die im Zuchtbetrieb ausgebeutete „Nudel“, die das Gnadenbrot bei ihm und in der Gewerkschaft erhielt. Täglich unermüdlich die Mühseligen und Beladenen zu betreuen, war das Lebensmotto von Markus.

Markus und seine Begleiter müssen zusammen gewürdigt werden, denn sie waren nie Mobilisierungsmaskottchen von ihm – bei jedem Wetter und ein Zeichen seiner Menschen- und Tierliebe. In jeder Region vor der Druckerei, dem Verlag, der Papierverarbeitung, dem Theater, der Musikschule, dem Discounter, der Betriebsversammlung, beim Warnstreik und Streik – ich glaube, um Rottweil, Villingen-Schwenningen, Konstanz … gibt es keinen Fleck, wo er nicht Gewerkschaft verbreitet hat.

Markus war ein unermüdlicher Gewerkschaftssekretär, einer, der nicht „Nein“ sagen konnte. Und leider sind Gewerkschaften keine Organisationen, die auf die Gesundheit ihrer Beschäftigten Rücksicht nehmen. Wer seinen Urlaub wegen der Mobilisierung zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst kürzte, bekam keine Belohnung oder ein „Danke“. Jede und jeder ist in dieser fleischgewordenen Tarifhamsterrad-Maschine darauf getrimmt zu funktionieren.

Viele Burn-outs säumen den Weg der Arbeiterbewegung. Wenn wieder eine oder einer ausfiel, hatten die Verbleibenden noch mehr zu tun, Entlastung ging nicht. Das Personal-Budget. Markus musste sich oft zwischen einem Bezirksleiter und zwei Fachbereichen aufteilen – zwar hatte jeder von ihnen 0,35 Personalbudgetanteil von ihm, aber jeder verlangte einen ganzen Menschen. Da ist es kein Wunder, dass einer wie Markus keinen Tag seiner Rente erlebt.

Der Kapitalismus hat ihn gefressen – und seine Gewerkschaft hat nichts dagegen getan. Ein Trauerspiel dieses Systems.

Doch dürfen wir bei all dem nicht das sonnige Gemüt von Markus vergessen, seine stetige Hilfsbereitschaft, sein offenes Ohr für alle, die zu ihm kamen. Sein Gerechtigkeitsempfinden, seine Empörung über die Unternehmer, Ausbeuter, Arbeitgeber. Und einer, der gerne in der Natur war, den Hund an der Seite.

Es ist kein schönes Gefühl, am Grab eines Kollegen zu stehen und soviel Wut und Zorn über seinen frühen Tod zu haben, so viel Trauer und viele Tränen über ein solch arbeitsames erfülltes Gewerkschaftsleben, das keinen Lebensabend kennenlernen durfte.

Lieber Markus: Danke und so liebe Grüße. «Auf, auf zum Kampf, zum Kampf …» – und dort, wo Du bist, wird Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sein. Hier bei uns müssen wir noch sehr dafür kämpfen.

Du bist bei uns!

Gerhard Manthey, ab 1978 Bundesgeschaftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) und nach der Gründung von ver.di Landesfachbereichsleiter Medien und Kunst in Baden-Württemberg. Siehe zu ihm den Beitrag in der Wochenzeitung kontext.


Teil der Familie

Für Markus: Deine Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft kannte keine Grenzen. Du hast uns so viel gegeben und unzählige Erlebnisse mit uns geteilt. Deine Ideale haben dein Leben geprägt. Auch wenn deine irdische Familie klein war, deine Liebe zu deinen Tieren kannte keine Grenzen.

Du warst nicht nur ein Freund, sondern Teil unserer Familie. In unseren Herzen lebst du weiter, für immer unvergessen.

Anja und Christoph Zeitz mit Samuel und Nara, Freunde von Markus


Der ruhelose Klassenkämpfer

Es muss Anfang 2002 gewesen sein, dass er erstmals auf einer Sitzung des ver.di-Ortsvereins Medien+Kunst Konstanz auftauchte. Damals machte er als stellvertretender Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Schwarzwald-Bodensee seine Aufwartung – und niemand ahnte, das er bald regelmäßig zu den Treffen der gewerkschaftlich aktiven Drucker, Redakteur:innen, Lektorinnen, freien Journalist:innen auftauchen würde. Für sie war Markus Klemt von 2005 bis 2020 als Gewerkschaftssekretär zuständig.

Es war eine turbulente Zeit. Die digitalen Umwälzungen des Druck- und Satzbereichs hatten sich in den Betrieben bereits ausgewirkt, die einst wohlhabenden Verlage bekamen Konkurrenz aus dem Internet, aus der Region verschwanden allmählich die kleineren, dann die mittelgroßen Druckereien. Und die Unternehmen sparten an allen Ecken und Enden – und besonders bei den Beschäftigten.

Aber wie sich dagegen wehren? Das musste natürlich diskutiert werden. Also kam er, wann immer möglich, zu den Sitzungen des Ortsvereins angereist, zu denen wir uns anfangs oft in den Bürgerstuben, später zumeist im Nebenzimmer des Syrtaki trafen. In den ersten Jahren noch begleitet von seinem Hund, bestellte er immer einen Cappuccino und anschließend noch mal einen, denn er fuhr ja danach, oft spätabends, zurück nach Rottweil, wo er wohnte.

Es ging oft lebhaft zu bei den Debatten. Und falls es mal nichts Wichtigeres zu besprechen gab, erzählte Markus gern von früher, von seiner Lehrzeit in Waldkirch, von seiner Betriebsratstätigkeit, von den Schulungen der frühen Mediengewerkschaften, der IG Druck und Papier (1948–1989) und der IG Medien (1989–2001). Die politische und ökonomische Ausbildung für Funktionär:innen, Betriebsrät:innen und Ehrenamtliche fand er besonders wichtig. Und beklagte nicht ohne Grund, dass die Nachfolgeorganisation ver.di in dieser Hinsicht versagt hat.

Wenn man ihm so zuhörte, konnte man den Eindruck von einem Aktivisten gewinnen, der vor allem den großen kämpferischen Zeiten nachhing. Doch da waren noch die aktuellen Auseinandersetzungen. Die Betriebsversammlungen in den Druckereien und beim Südkurier, zu denen er anreiste, später – als er zudem für den Handel zuständig war – auch die Belegschaftstreffen bei Karstadt Singen und Konstanz, bei Kaufland, bei Zara, bei Esprit. Die Mahnwachen, mit denen er und engagierte Beschäftigte dazu beitrugen, dass ein Betriebsrat gegründet wurde, beispielsweise bei Cinestar Konstanz. Und natürlich die Warnstreiks.

Überhaupt der Kampf. Immer stand er vornedran. Oft mit Megaphon, Flugblättern und ver.di-Beitrittserklärungen auf einem Beistelltisch, manchmal auch einer Gewerkschaftsfahne in der Hand. Bei der Arbeitsniederlegung von Südkurier-Beschäftigten, die sich 2011 der Beendigung der Tarifbindung des Medienhauses widersetzten. Bei der Verleihung des Maultaschenpreises 2011 an den Terra-Verlag, der seine Belegschaftsvertretung bis zur Aufgabe schikaniert hatte. Bei den vielen Kundgebungen vor Karstadt. Bei den Tarifverhandlungen im Einzelhandel. Beim Konflikt der Gewerkschaft mit dem Konstanzer Edeka-Lebensmittelhändler Norbert Baur, der dem Initianten einer Betriebsratsgründung gleich dreimal gekündigt hatte.

Nicht immer ging es gut aus. So manche Lohnabhängige, die Markus während eines Tarifkampfs für ver.di gewinnen konnte, verließen später wieder die Gewerkschaft. Oft blieben die Ergebnisse der Lohnverhandlungen weit unter den Erwartungen. Als schmerzliche Niederlage empfand er nicht nur die geringe Beteiligung der Südkurier-Belegschaft, als es 2010/11 darum ging, die Flucht des Unternehmens aus dem Tarifvertrag mit den Zeitungsverlagen zu verhindern und zumindest einen Haustarif durchzusetzen. Sondern auch die schwindende Kooperation mit den Südkurier-Betriebsratsgremien, deren Mitglieder etwa zur Zeit von Thomas Wetzel noch eine gewichtige Rolle im Medien-Ortsverein gespielt hatten.

Aber Schlappen ist man als Gewerkschafter ja gewohnt. Und leicht ließ sich Markus ohnehin nicht unterkriegen. Er war stets zur Stelle, wenn es gegen „die da oben“ ging (inklusive der Oberen in der eigenen Organisation), und neuen Aktionen gegenüber stets aufgeschlossen. Als Mitglieder der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten Union (dju) den Konstanzer Maultaschenpreis für besonders beschäftigtenfeindliches Unternehmerverhalten auslobten, hatte er sofort Vorschläge parat. 2015 bekam beispielsweise die Südkurier-Geschäftsleitung den zweiten Preis «aufgrund ihrer Gesamtleistung», wie Markus an einer Pressekonferenz ausführte: Arbeitszeiterhöhungen, willkürliche Vergütungen für die Zeitungszusteller:innen, schlechte Honorierung freier Mitarbeiter:innen – und die jahrelange Zusammenarbeit mit einer illegal tätigen Leiharbeitsfirma.

So was machte ihm Freude. Aber es war halt auch anstrengend. Markus war ja nicht nur für Beschäftigte im Landkreis Konstanz zuständig, sondern für die des gesamten Bezirks Schwarzwald-Bodensee mit Sitz in Villingen-Schwennigen (und damit beispielsweise auch für die Kolleg:innen beim Schwarzwälder Boten oder bei den vielen Musikschulen). In den letzten Jahren konzentrierte er sich ganz auf den Bereich Handel, aber dafür umfasst der Bezirk inzwischen ganz Südbaden – also noch mehr Kilometer, die es zu bewältigen galt. Das ging im Fall des gesundheitlich ohnehin angeschlagenen Klassenkämpfers leider nicht gut.

Wenn es denn so etwas wie ein ausbeutungsfreies Dauerrefugium gibt, dann sitzt er jetzt dort bei Detlef Hensche und Sybille Stamm, zwei ebenfalls kürzlich verstorbene linke Gewerkschaftsgrößen (über die Gerhard Manthey einen lesenswerten Beitrag geschrieben hat). Und trinkt das, was er sich auf den Sitzungen immer bestellte: einen Cappuccino.

Pit Wuhrer