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Klimaschützer besuchen die SPD

«Wir werden weiter konfrontieren»

22. Februar 2024 | Kurz vor Fasnacht: Die Konstanzer SPD ehrte gerade ihre frühere Familien-, Arbeits- und Justizministerin, als Aktivisten der Letzten Generation den Neujahrsempfang unterbrachen und diskutieren wollten …

Lina Seitzl, die Konstanzer Bundestagsabgeordnete der SPD, hatte ihre Laudatio für die frischgekürte Heckerhut-Preisträgerin Katarina Barley beendet. Der Hut war überreicht und aufgesetzt, die EU-Abgeordnete hielt ihre Rede, lobte im vollbesetzten Wolkensteinsaal die Proteste gegen rechts, pries die Demokratie – da betraten vier junge Männer die Bühne und entrollten Transparente. «Da wir gerade von Demokratie sprechen», begann einer der vier, «die von der Klimakatastrophe untergraben wird …»

… weiter kam er nicht. Schon standen SPD-Mitglieder bei den Störern, schubsten sie von der Empore, trieben sie in den hinteren Teil des Saals, wo sie nochmals ihre Transparente entfalteten und kurz Ruhe einkehrte. Barley sprach weiter, ohne groß auf die Aktion einzugehen, dann ertönten nochmals Rufe von hinten; es folgte Gerangel, einige wenige aus dem Publikum wurden handgreiflich, drängten die Aktivisten aus dem Saal und durch den Vorraum ins Treppenhaus. Und blockierten die Tür.

Auf dem Münsterplatz erteilte der Hausmeister nochmals ein Hausverbot. Einige SPD-Mitglieder erneuerten das Gesprächsangebot, das schon im Saal gemacht worden war (Aussprache im Anschluss an die Veranstaltung). Anschließend nahmen Polizist:innen die Personalien auf (Verdacht auf Störung einer öffentlichen Versammlung), fotografierten die Banner und verabschiedeten sich mit dem Hinweis, dass sie von sich hören lassen.

„Klimaschutz ist Demokratieschutz“

Aber was folgt jetzt? Kommt es zu weiteren Aktionen? Bei wem und wozu? Und warum wird nicht mehr geklebt? Antworten vom Sprecher der Konstanzer Gruppe der Letzten Generation:

Eure Aktion bei der SPD sorgte für Aufregung im Saal, dauerte aber nur ein paar Minuten, seither habt ihr Hausverbot. War’s das wert?

Tino Esposito: Definitiv. Wir haben es in die Zeitung geschafft, das war unser Ziel, wir wollten mit unserer Botschaft durchkommen. Wir haben uns die Veranstaltung wegen Frau Katarina Barley ausgesucht, die ja Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist und damit in Europa eine hohe Position bekleidet. Außerdem setzt sie sich für Demokratie ein, das tun wir ja auch, und unserer Meinung nach ist Klimaschutz auch Demokratieschutz.

Inwiefern?

Wenn die Klimakatastrophe so passiert, wie die Wissenschaft es voraussagt, wird die Demokratie an den Folgen zerbrechen: Migrationsströme, Naturkatastrophen, Ressourcenkonflikte. Und eigentlich müsste sich eine Person wie Barley damit auch auseinandersetzen.

Aber immerhin hat sie euch – zusammen mit der lokalen Bundestagsabgeordneten Lina Seitzl – ein Gespräch angeboten.

Aber nur im Privaten. Und das wollten wir nicht. Unser Ziel ist ja, sie in der Öffentlichkeit zu konfrontieren. Das ist ja auch unsere neue Strategie, die darin besteht, dass wir die Politiker:innen stärker herausfordern. Wir wollten die SPD mit ihren Versäumnissen der letzten Jahrzehnte konfrontieren – und das im öffentlichen Raum.

Warum?

Weil wir nicht wollen, dass sie sich als klimaschützend darstellen können – das aber nicht tun.

Das hättet ihr auf der Versammlung gesagt, wenn ihr nicht hinausgedrängt worden wärt?

Ja. Wir hatten kritische Fragen zur EU- und zur Deutschlandpolitik der SPD vorbereitet, die wir auch gestellt hätten. Zum Beispiel, wie es sein kann, dass die Bundesregierung die Verfassung bricht, uns damit in die Klimahölle schickt und das keine Konsequenzen für die verantwortlichen Politiker:innen hat. Wie es kommt, dass von einer Partei, die sich sozial nennt, sehr viele Politiker:innen in Aufsichtsräten von fossilen Konzernen sitzen oder saßen. Oder weshalb diese „soziale“ Partei den mit der Klimakrise kommenden Zusammenbruch nicht anerkennt, sondern einfach so weitermacht wie bisher, obwohl sie seit fast durchgängig 20 Jahren in Regierungsverantwortung ist.

«Wir haben uns selbst in Gefahr gebracht»

Werden künftige Aktionen von euch ähnlich verlaufen?

Ähnliche Aktionen wird es wahrscheinlich schon wieder geben. Wir werden jedenfalls eher die Regierungsparteien in den Fokus nehmen, weil die ja für die aktuelle Politik verantwortlich sind. Und dafür werden wir unsere Fragen weiter brauchen können.

Bei welchen Gelegenheiten werdet ihr handeln?

Wir werden jetzt erst einmal sehen, was sich hier in der Region, im Südwesten, ergibt. Unsere Aktion am 5. Februar bei der Konstanzer SPD war ja deutschlandweit die erste überhaupt und noch sehr spontan angelegt.

Ihr gebt also eure bisherige Strategie, das Thema Klimawandel auf den Asphalt zu bringen, auf?

Wir kleben uns nicht mehr fest. Das war zum einen ziemlich stressig für viele Menschen, sowas macht man nicht alle Tage. Das heißt aber nicht, dass wir aufhören zu stören. Dann soll die Strategieentwicklung helfen, mehr Menschen in die Letzte Generation zu bringen, die sich nicht auf die Straße kleben wollten, aber mit unseren Zielen übereinstimmen. Und schließlich wollen wir die Politik stärker in die Verantwortung nehmen, und nicht nur jene Privatpersonen, die bisher im Stau standen. Das ist das erste. Der andere Teil der Strategie besagt, dass wir mit vielen Menschen stören möchten, nicht aber durch Straßenblockaden mit Kleber. Wir möchten dezentral an vielen Orten viele Menschen versammeln.

Was war falsch an der alten Strategie?

Da war nichts falsch. Aber wir sind halt in stetiger Entwicklung.

Vielleicht wart ihr ja bisher auch nur zu freundlich gewesen: Andere ziehen mit viel mächtigeren Blockademitteln los, brüllen Schmähungen, drohen Politiker:innen mit Galgen, blockieren den Verkehr ohne Ende – und kassieren noch nicht einmal Strafzettel …

Das ist richtig. Von den Bauern kamen ja auch Gewaltaufrufe … aber das ist ja nicht unser Ziel. Unser Credo ist: Wir sind komplett gewaltfrei, physisch, psychisch alles. Wir möchten nur unsere Botschaft anbringen. Und dafür haben wir uns früher selbst in Gefahr gebracht, als wir uns auf die Straße klebten. Das machen wir nicht mehr. Unser Ziel war von Anfang an, die Ungerechtigkeit, die die Klimakatastrophe verursacht und noch verursachen wird, in die Bevölkerung und die Politik zu tragen.

Neuer Austragungsort: EU-Parlament

Die Reaktionen haben ja auch zu wünschen übrig gelassen. Statt ins Nachdenken zu kommen und vielleicht aus dem Stau heraus Bundestagsabgeordnete anzurufen, um mehr Klimaschutzmaßnahmen zu fordern, stürmten viele los und zerrten euch von der Straße.

Nun ja, es hat schon funktioniert. Unser Ziel war es, die Diskussion anzuheizen. Deswegen nehmen wir auch neue Dinge in den Fokus, zum Beispiel das Europa-Parlament.

Das wird demnächst neu gewählt. Mischt ihr euch in den Wahlkampf ein – und die Wahlveranstaltungen von SPD, FDP und den Grünen auf?

Das ist durchaus möglich, das wissen wir jetzt noch nicht. Auf jeden Fall wollen wir Politiker:innen mit unseren Forderungen konfrontieren. Und dann wollen wir selber ja auch ins EU-Parlament und treten deshalb an. [https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/eu-wahl-letzte-generation-will-ins-europaparlament]. Dafür sammeln wir derzeit Unterschriften. Wenn wir 200.000 Stimmen bekommen, können wir den Protest mit einem Sitz im Parlament direkt dorthin tragen.

Ihr beteiligt euch also hier in der Region mit einem eigenen Wahlkampf?

Ein Wahlkampf ist nicht vorgesehen. Allerdings sammeln wir überall Unterschriften, um für die EU-Parlamentswahl zugelassen zu werden.

Bisher hat sich die Letzte Generation bewegungspolitisch beraten lassen. War das beim Strategiewechsel auch so?

Unsere Kerngruppe ist ständig mit gesellschaftspolitischen Berater:innen und Protestforscher:innen in Kontakt und entwickelt in Workshops immer wieder neue Aktionsformen.

Welche Lehren habt ihr aus eurer ersten Aktion gezogen, was wird künftig anders?

Wir möchten noch souveräner auftreten. Direkt mit einer Frage anzufangen wäre sicher besser gewesen. Wir haben uns zwar ins Thema eingelesen und auch gut recherchiert, aber wir hatten keine konkrete Vorstellung davon, was auf uns zukommt, zum Beispiel, dass wir angegangen und rausgeworfen werden.

Im Kommunalwahlkampf wird man euch eher nicht antreffen?

Nein, auf kommunaler Ebene werden wir keinen Wahlkampf betreiben, unser Ziel ist das Europaparlament.


PS: Um für das EU-Parlament kandidieren zu dürfen, braucht die Gruppe «Parlament aufmischen – Stimme der Letzten Generation» noch Unterschriften. Wer sie also unterstützen mag: Hier findet sich das Formblatt für eine UnterstützungsunterschriftFormblatt für eine Unterstützungsunterschrift. Bitte ausfüllen und an die E-Adresse LetzteGeneration.konstanz@protonmail.com schicken. (pw)