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Inzwischen brennen die Wälder überall

Klimakiller Handelspolitik

17. September 2020 | Mit ihren Abkommen sorgt die EU-Kommission dafür, dass sich das Klima weiter aufheizt. Ist diese Politik noch zu stoppen?

Es ist wieder einiges in Bewegung gekommen. Lange Zeit hatten die Mainstream-Medien das Thema Handelspolitik und ihre Folgen ignoriert, und auch der Protest hat nachgelassen. 2016 und 2017 waren noch Hunderttausende in Berlin und vielen Großstädten gegen die Risiken der geplanten EU-Handelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) auf die Straße gegangen; es gab europaweite Petitionen gegen die beiden Abkommen mit über drei Millionen Unterschriften und Sammelklagen vor dem Bundesverfassungsgericht, die von Zehntausenden unterzeichnet wurden. Gentechnik und Fracking, Sonderrechte für internationale Konzerne, Untergrabung der Demokratie, Abbau von Arbeitsschutz, Verbraucherschutz, Umweltschutz – all das waren Themen, die die Öffentlichkeit bewegten.

Aber dann stoppten die USA unter Donald Trump vorübergehend die TTIP-Verhandlungen , die EU versprach Änderungen am Kanada-Vertrag (die sich später als papierne Lippenbekenntnisse erwiesen) und die CETA-Debatte schien sich erübrigt zu haben, weil ja ein Teil des Abkommens bereits umgesetzt wird. Und so verfestigte sich die Wahrnehmung, dass sich alles erledigt hat. Eine trügerische Hoffnung einerseits – und eine vorschnelle Resignation andererseits. Denn nichts ist vom Tisch, im Gegenteil.

Alles noch offen

Aber der Reihe nach. Über TTIP verhandeln Washington und die EU-Kommission (zuständig für Handelsfragen) seit einem Jahr erneut – und Brüssel hat schon im Vorfeld der Gespräche höhere Importquoten für US-amerikanisches Flüssiggas zugesagt. Dabei wird das Liquified Natural Gas (LNG) zumeist per Fracking gewonnen, unter hohem Energieaufwand auf –162 Grad heruntergekühlt und dann per Schiff verfrachtet. Auch deswegen sollen in Norddeutschland drei neue LNG-Terminals entstehen.Zwei davon will die Bundesregierung laut Recherchen der Wochenzeitung Zeit mit einer Milliarde Euro finanzieren, wenn Trump dafür seine Opposition gegen die Ölpipeline Nord Stream 2 aufgibt.

CETA wiederum, das von der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament abgesegnet wurde, muss noch von allen EU-Parlamenten – darunter in Deutschland dem Bundestag und dem Bundesrat – ratifiziert werden, wenn es vollumfänglich in Kraft treten soll. Erst 15 der 27 EU-Staaten haben dies bisher getan, und es gibt in vielen Ländern weiterhin große Vorbehalte: in Italien, in den Niederlanden, auch in Deutschland beispielsweise – und das Parlament von Zypern hat es Ende Juli mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt. Da ist noch alles offen.

Die Regenwälder brennen für unser Wirtschaftsmodell

Geradezu katastrophal ist das geplante Handelsabkommen der EU mit den südamerikanischen Staaten der Mercosur-Wirtschaftsgemeinschaft, mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Der Deal sieht vor, dass im Gegenzug zur erleichterten Einfuhr europäischer Produkte wie Autos, Maschinen oder Pharmaerzeugnisse diese Länder mehr Billigfleisch, mehr Gentech-Futtermittel wie Soja und mehr Ethanol nach Europa exportieren dürfen.

Für die Rinderweiden und die Soja- und Zucker-Monokulturen muss aber Platz geschaffen werden. Und so lassen Rinderbarone und Agrarkonzerne den Amazonas-Regenwald abfackeln – mit verheerenden Folgen für das Klima. „Es ist kein Zufall, dass Großfarmer und Kleinbauern am Amazonas gerade jetzt mehr Fläche denn je anzünden, da das größte Freihandelsabkommen der Welt winkt“, schrieb die Süddeutsche Zeitung Anfang August 2019, als zahllose Feuersbrünste das im Regenwald gespeicherte CO2 in die Atmosphäre schickten. Dieses Jahr brennt der Amazonas, befeuert von der Politik des brasilianischen Präsidenten und Klimawandelleugners Jair Bolsonara, an noch mehr viel Stellen.

Aus diesem Grund – und weil die heimische Landwirtschaft die Billigkonkurrenz aus Südamerika fürchtet – hat das österreichische Parlament klar gegen das Mercosur-Abkommen votiert und die Regierung beauftragt, den unterzeichneten Deal abzulehnen. Auch Frankreich, Irland und andere Staaten wollen dagegen stimmen. Und Berlin? Da hat zwar Kanzlerin Angela Merkel jüngst Bedenken erkennen lassen und will sich eventuell für Neuverhandungen einsetzen – doch der Ausgang ist offen, solange die EU-Kommission weitere Freihandelsabkommen vorantreibt wie etwa das Indonesien. Denn von dort soll noch Palmöl aus Plantagen nach Europa kommen, für die der dortige Regenwald gerodet wird.

Verheerende Folgen für die indigenen Bevölkerungen

CETA wiederum hat ebenfalls weitreichende klimatologische Auswirkungen. Seit das Abkommen vorläufig in Kraft ist, hat sich der Import von Erdöl aus Kanada in die EU mehr als verdoppelt. Gewonnen wird es zumeist aus Teersand, der großteils im Tagebau gewonnen wird. Direkt unter den borealen Nadelwäldern der kanadischen Provinz Alberta lagern beispielsweise 1,8 Billionen Barrel Bitumen – und werden mittlerweile auf einer Fläche so groß wie England mit enormem Energieaufwand gewonnen. Dadurch ist Kanada, dem hierzulande noch der Ruf eines zivilen, naturnahen Landes anhängt, eines der Länder mit dem höchsten Ausstoß an Treibhausgasen. Die indigene Bevölkerung kämpft zwar vehement gegen den Raubbau und die Ölpipelines, die durch ihre Gebiete verlegt werden. Aber wie die Indigenen am Amazonas sind ihre Chancen im Kampf gegen mächtige Kapitalinteressen eher gering – sofern sie keine Unterstützung von der europäischen Zivilgesellschaft erhalten.

Die EU rechtfertigt ihre Handelsverträge unter anderem mit dem Hinweis, dass der Klimaschutz darin erwähnt sei. So verpflichten sich die Vertragsparteien etwa des EU-Mercosur-Abkommens, das Pariser Klimaschutzübereinkommen umzusetzen. Doch bei Verstößen gibt es keine Sanktionsmöglichkeit, nur unverbindliche Empfehlungen. Auch bei CETA fehlen Durchsetzungsmechanismus. Für die EU-Kommission steht der Klimaschutz vor allem auf dem Papier.

Sonderrechte fürs globale Kapital

Sollte CETA zur Gänze in Kraft treten, gibt es für internationale Konzerne ohnehin keine Grenzen mehr. Würden nämlich – was dringend notwendig ist – Staaten Klimaschutzregeln erlassen, könnten Großunternehmen, die ihre Profite gefährdet sehen, diese Staaten, Länder oder Kommunen verklagen – im Namen des Investitionsschutzes. Dieser Schutz der Kapitalinteressen ist fester Bestandteil des „Comprehensive Economic Trade Agreements“ CETA und gilt auch für fossile Energieträger. Der Klimaschutz hingegen kann ebenso wenig eingeklagt werden wie andere Verstöße von Konzernen etwa gegen die Menschenrechte.

Sehen Konzerne ihre Gewinne gefährdet, können sie Staaten vor internationale Schiedsgerichte zerren, die privat von internationalen Anwaltskanzleien betrieben werden, im Geheimen tagen und keine Revision zulassen. Dabei geht es um Millionen-, oft Milliardenentschädigungen. Die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Klagen basieren oft auf bilateralen, also zwischenstaatlich vereinbarten Handelsverträgen oder auf dem Energiecharta-Vertrag ECT. Auf Grundlage dieses Vertrags, dessen Erneuerung jetzt ansteht, hat beispielsweise der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland auf (inklusive Zinsen) rund sechs Milliarden Euro verklagt. Grund: Im Zuge der „Atomausstiegs“ musste das Unternehmen zwei alte Atommeiler abschalten. Diese waren zwar störanfällig gewesen und längst abgezahlt, aber das Schiedssystem ermöglicht Extraprofite. Auch Uniper, eine E.On-Abspaltung und heute im Besitz eines finnischen Energiekonzerns, reagierte 2019 auf die Ankündigung der niederländischen Regierung, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen, und drohte mit einer Klage in Höhe von mehreren Millionen.

Grün-schwarzes Abnicken?

Aber interessiert das die Politik? Die Opposition gegen die geplante Neuauflage des Energiecharta-Vertrags wächst ebenso wie der Widerspruch gegen die Mercosur- und CETA-Verträge. In Berlin aber kümmert das nur wenige Verantwortliche. Die Verabschiedung des Mercosur-Abkommens steht immer noch weit oben auf der Tagesordnung der derzeitigen deutschen EU-Ratpräsidentschaft. In Baden-Württemberg wiederum sind die Grünen in Sachen CETA gespalten. Während die Basis den Kanada-Vertrag mehrheitlich ablehnt und dies in einem Landesparteitagbeschluss bekräftigte, will Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Abkommen bei der Ratifizierung im Bundesrat abnicken. Dabei kommt es in der Länderkammer auf die Stimmen der grün-schwarzen Landesregierung an. Würden alle Ländervertretungen mit grüner und/oder linker Beteiligung ihr Veto einlegen, wäre das klimaschädliche Abkommen Geschichte.

Wie ernst also nehmen es die PolitikerInnen mit ihrem Versprechen, das Klima zu schützen? Oder stützen sie wdeeiter Kapitalinteressen, die den Planeten verwüsten, Inseln überschwemmen, Gletscher verflüssigen, gewaltiges Elend verursachen und Menschen in die Flucht treiben – erst einmal im globalen Süden, später bei uns? Und überhaupt: Wie lange wollen wir noch an einem Wirtschaftsmodell festhalten, das die Grundlegen unserer Existenz ruiniert?

Darüber informieren am Samstag, den 19. September, das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel und die Initiativen ProAmazonia und Klar gegen Atom auf dem Konstanzer Münsterplatz. Beginn: 11 Uhr. (pw)



Mehr Informationen über die Handelspolitik der EU finden sich auf der Website des Konstanzer Bündnisses für gerechten Welthandel.