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Deutschlands neue Mehrheiten

Rechter Protest, linkes Desaster

15. März 2016 | Die Landtagswahlen zeigen: Es gibt in Deutschland keine denkbare rot-rot-grüne Mehrheit mehr. Aber warum hat die Linke so schlecht abgeschnitten?

Am Wahlabend stand ihnen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Dass es knapp werden würde, hatten sich die rund fünfzig Mitglieder und SympathisantInnen der Linkspartei im Kreis Konstanz ja gedacht – aber eine solche Schlappe war nur von wenigen erwartet worden: landesweit weniger als drei Prozent, die Fünf-Prozent-Hürde nicht einmal berührt, und das trotz wochenlangem Einsatz. Der gesellschaftliche Rechtsruck und die zunehmende Entsolidarisierung habe auch die Linke getroffen, erklärten die beiden Landtagskandidaten.

Aber reicht diese Begründung? Fest steht: Seit den Landtagswahlen am Sonntag gibt es in Deutschland die rot-rot-grüne Mehrheit nicht mehr, die im Bundestag derzeit noch besteht und die auch in den Länderparlamenten bisher rein rechnerisch möglich gewesen wäre. Mit den Erfolgen der rechtspopulistischen bis völkisch-nationalen Alternative für Deutschland (AfD) hat sich das Parteiengefüge grundlegend geändert.

Ein Punkt reicht nicht

Darüber täuschen auch punktuelle Triumphe nicht hinweg. Die Grünen berauschen sich am Sieg des wertkonservativen Pragmatikers Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, mit dem sie im Südwesten stärkste Partei wurden (siehe WOZ Nr. 10/16), haben aber in Rheinland-Pfalz fast zwei Drittel aller Stimmen eingebüsst und in Sachsen-Anhalt an Zuspruch verloren. Die SPD feiert die Wiederauferstehung ihrer rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, doch das macht den Niedergang der Partei in den beiden anderen Bundesländern nicht wett, wo sich ihr Stimmenanteil auf knapp über zehn Prozent halbierte. Und die Linke scheitere auf der ganzen Linie.

Warum? Es gibt eine Reihe von Gründen. Die Linkspartei wird – auch durch eigenes Zutun – als Ein-Punkt-Partei wahrgenommen, obwohl sie längst auf vielen Gebieten Kompetenz vorweisen kann. Im Verkehrs- und Umweltbereich, in der Klimafrage oder bei der Friedenspolitik macht ihr so schnell niemand was vor. Doch sie beschränkt sich mit Slogans wie «100 Prozent sozial» weiterhin auf das Thema soziale Gerechtigkeit und vertritt vorwiegend die Interessen der prekär beschäftigten Lohnabhängigen, der SozialhilfeempfängerInnen, der Deklassierten. Das ist solidarisch, reicht aber nicht in einer Gesellschaft, in der alle der Mittelschicht angehören wollen und in der viele Arme weiterhin nicht zur Wahl gehen. Ausserdem fehlt ihr – wie auch den Grünen und der SPD – kohärente und vor allem politisch konkret umsetzbare Vision.

Die SPD wiederum – sofern man sie noch zur Linken zählen will – kann sich nicht entscheiden, ob sie Gerhard Schröders Kniefall vor der neoliberalen Ideologie und dem freien Markt weiterhin für richtig hält oder doch nicht mehr ganz so gut findet. Und die deutschen Grünen, die demnächst wahrscheinlich in allen drei neuen Landesregierungen (und sieben weiteren) vertreten sein werden, schwanken zwischen Machterhalt und ihren einstmals hehren Prinzipien.

Diese drei Parteien gehören mittlerweile in den Augen jener, die jetzt der AfD zuliefen, zum politischen Establishment: abgehoben, konzeptlos, auf sich selbst bedacht. Ganz abwegig ist diese Sicht nicht: Auch Die Linke beteiligte sich ja im Osten aus Gründen des «Sachzwangs» an Kürzungspolitik und Sozialabbau.

Drei Lager

Wahlentscheidend war freilich auch, dass in der medialen Behandlung des aktuellen Flüchtlingsthemas vor allem zwei Lager zu Wort kamen: Die Stacheldrahtparteien AfD und CSU (sowie Teile der CDU), die eine nationalistische Lösung der «Flüchtlingskrise» durchsetzen wollen, und jene Parteigliederungen, die Angela Merkels Strategie einer Europäisierung der Abschottung gutheissen und Asylrechtsverschärfungen verabschieden, darunter auch Teile der SPD und Kretschmanns Grünen. Das dritte Lager hingegen blieb weitgehend unbeachtet. Noch immer setzen sich Zehntausende für die Geflüchteten ein. Sie organisieren parteiübergreifend und jenseits aller politischer Strukturen konkrete Hilfe, veranstalten Deutschkurse, demonstrieren gegen rechte Aufmärsche und plädieren – wie die Linkspartei – für den Erhalt des Asylrechts. Das ist nicht zu unterschätzen.

Laut Wahlanalysen sollen sich über zwei Drittel der AfD-WählerInnen aus «Protest» dagegen, dass ihre Ängste nicht wahrgenommen werden, für die Deutschnationalen entschieden haben. Ein vorübergehendes Phänomen, das sich mit der derzeit sinkenden Zahl von in Deutschland ankommenden Flüchtlingen und der Übernahme von AfD-Positionen von selbst erledigt? Das scheinen jene Parteien, die nun routiniert wieder zur Tagesordnung übergehen, tatsächlich zu glauben.

Doch so einfach ist das nicht. Die derzeitige Migration polarisiert zwar, ist aber bei weitem nicht die grösste Herausforderung. Denn es kommt noch mehr auf die Menschen zu – wenn sich die soziale Spaltung fortsetzt, der Klimawandel anhält, die Macht von Finanzinstitutionen und Konzernlobbys weiter wächst und dann noch die nächste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hereinbricht. Dann könnte die Gesellschaft wirklich auseinander fallen. Es sei denn, der Zusammenhalt nimmt wieder zu – auch durch eine bessere soziale Absicherung. Und die wird nur die Linke durchsetzen. (pw)