Kapital & Arbeit: Der 1. Mai in der Region

Raus auf die Straße!

28. April 2021 | Er ist wichtiger als viele denken: Am 1. Mai können wir zeigen, dass nicht alle mit den kapitalistischen Machtverhältnissen einverstanden sind. Dieses Jahr auch wieder in Konstanz.

Jetzt werden sie wieder massenhaft ins Land geholt, die weitgehend rechtlosen, miserabel bezahlten WanderarbeiterInnen, die für uns Spargel stechen, Erdbeeren pflücken, in armseligen Behausungen untergebracht sind – und nach einem Beschluss der Großen Koalition nicht einmal krankenversichert sind: Der Bundestag beschloss letzte Woche, die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht für ErntehelferInnen auf vier Monate auszuweiten. Damit erspart die Bundesregierung den Agrarunternehmen 48 Cent pro Tag und ArbeiterIn, die sie für eine Krankenversicherung hätten zahlen müssen.

Die osteuropäischen WanderarbeiterInnen auf den Feldern sind nicht die einzigen missachteten Beschäftigten. Da sind auch die Kurierfahrerinnen und Paketboten, die dem Versandhandel Milliardengewinne erwirtschaften, weil sie für monatlich 1000 Euro sechzig Wochenstunden von einer Lieferstelle zur nächsten hetzen. Da schuften auch Tausende in den Großschlachtereien der Fleischindustrie unter erbärmlichen Bedingungen. Da werden noch immer die Pflegekräfte in den Spitälern und Heimen trotz ihrer Gegenwehr im letzten Jahr mit einem kargen Lohn abgespeist, der sie in die Altersarmut führt – und das trotz der ernormen Risiken, denen sie in der Pandemie ausgesetzt sind. Unter hoch riskanten Bedingungen arbeiten auch die Lohnabhängigen bei Amazon, denen in einem niedersächsischen Werk das Tragen von FFP2-Masken verwehrt wird, weil sie dann «zu viele Pausen» einlegen müssten.

Und es wird nicht besser. Der digitale Umbau der Ökonomie (Stichwort: Online-Handel), die Globalisierung der Arbeitsmärkte und die Arbeitsmarktreformen von SPD und Grünen in den Nullerjahren haben ein modernes Prekariat geschaffen, das beständig wächst: MinijobberInnen, Scheinselbständige (für die der gesetzliche Mindestlohn nicht gilt), befristete Teilzeitkräfte, isolierte Clickworker (die zu Hunderttausenden auf einem globalen Markt konkurrieren), ungeschützte ArbeitsmigrantInnen machen inzwischen über ein Drittel aller Erwerbstätigen aus. Und die Armut wird noch zunehmen, wenn nach dem Ende der Pandemie (sofern diese überhaupt endet) die neoliberale Politik die finanziellen Daumenschrauben anzieht, um die sich anhäufenden Staatsdefizite wieder auszugleichen.

«Einer für alle und alle für einen»

In vielerlei Hinsicht ähneln die Bedingungen also immer mehr jenen erbärmlichen Zuständen, die wir alle längst hinter uns glaubten: giftige Arbeitsplätze, unbegrenzte Arbeitszeit, Hungerlöhne, Rechtlosigkeit. Damals, im Sommer 1889, rief die Zweite Internationale den 1. Mai zum Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse aus; er wird seither weltweit begangen, auch in Konstanz. Am Abend des allerersten 1. Mai, es war im Jahre 1890, versammelten sich beispielsweise 400 Arbeiter in der Brauereigaststätte Buck und forderten den Achtstundentag. «Die Arbeiter müssten sich zusammenschließen», zitierte die Konstanzer Zeitung am 3. Mai 1890 aus den Reden, «durch gegenseitige Aufklärung wirken, um die den Arbeiter niederdrückende und elend machende Übermacht des Großkapitals zu stürzen».

Es soll hoch hergegangen sein an diesem Abend – und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei noch verboten waren. Einer der Anwesenden plädierte gar für den Sechsstundentag, denn «die oberen 10.000 arbeiten gar nichts». In den Hauptparolen war sich der vollbesetzte Saal aber einig: «Einer für alle und alle für einen» sowie, da «noch viel Unwissenheit unter den Arbeitern vorhanden» sei: «Durch Bildung zur Freiheit!» (Mehr zum 1. Mai in Konstanz steht im Jubiläumsband des seit über 150 Jahren bestehenden gewerkschaftlichen Ortsvereins Medien + Kunst «Druck.Machen – eine etwas andere Stadtgeschichte von Konstanz»).

Seither ist dieser Tag ein fester Bestandteil im Gewerkschaftskalender. Nur während der Nazizeit, als der 1. Mai zum «Tag der nationalen Arbeit» umetikettiert wurde, fand er nicht statt. Auch letztes Jahr fiel die 1.-Mai-Kundgebung aus Corona-Gründen ebenfalls aus – nur der ver.di-Ortsverein Medien + Kunst und das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel versammelten sich zu einer Spontanaktion auf der Radbrücke (siehe Bild).

Das jedoch, so hat der Ortsverein der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beschlossen, soll sich 2021 nicht wiederholen. Ursprünglich war eine gemeinsame Großaktion mit den Thurgauer Gewerkschaften in der Konstanzer Innenstadt vorgesehen gewesen, doch die geltenden Covid-19-Einschränkungen verhinderten das gemeinsame Projekt. Zu einer grenzüberschreitenden Maifeier wird es nun nächstes Jahr kommen.

Und so rufen die Gewerkschaften unter dem zentralen DGB-Motto «Solidarität ist Zukunft» zu einer kurzen Demo auf. Sie beginnt um 11 Uhr mit einer kleinen Kundgebung an der Seestraße und führt dann über die Rheinbrücke in den Stadtgarten. Aufgrund der weiterhin hohen Infektionsraten legen die VeranstalterInnen wert auf folgenden Hinweis: «Uns ist es wichtig, die Sicherheit und Gesundheit der Teilnehmenden sicher zu stellen. Während der Kundgebung besteht die Pflicht, eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung oder eine FFP2-Maske zu tragen und den Mindestabstand von 1,5 Meters einzuhalten. Die Anweisungen von Ordner*innen sind zu befolgen.» Außerdem bitten sie «aus organisatorischen Gründen um eine (formlose) Anmeldung per Mail» an thomas.weisz@verdi.de (pw)

Termine und Orte

Konstanz: DGB-Demonstration. Treffpunkt: Seestraße (bei der alten Rheinbrücke). Beginn: 11 Uhr

Frauenfeld: Kundgebung des SGB Thurgau unter Motto: «Mitbestimmen, kämpfen, gewinnen». Ort Murg Auen Park, Beginn: 10 Uhr. Mit Reden des neuen Thurgauer SGB-Präsidenten Lukas Auer, dem Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschafts-bunds Pierre-Yves Maillard, Fatime Zekjiri (Teamleitung Pflege und Betreuung Region Ostschweiz-Graubünden) und Beat Schenk, Vorstandsmitglied unia-Jugend.