Kapital & Arbeit: Was tun gegen Billiglohn?

Ab heute anders!

9. Januar 2019 | Am Montag beginnt im Konstanzer Bürgersaal eine außergewöhnliche Seminarreihe unter dem Titel «Ab heute anders! Vom schlechten Gegebenen und den Möglichkeiten, es zu ändern».


Waschen, anziehen, Medikamente verabreichen, Wunden versorgen, Essen ausgeben, zur nächsten Patientin hetzen – nur wenige, strikt zu dokumentierende Minuten bleiben vielen Beschäftigten in der mobilen Altenpflege für die ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen. Die Bezahlung ist miserabel. Da geht es ihnen nicht viel besser als den rund 2,2 Millionen Lohnabhängigen im Gastgewerbe, die großteils in Teilzeit oder zu Minijob-Verträgen arbeiten, belastenden und gesundheitlich hoch risikohaften Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind und oft auf Abruf parat sein müssen.

Und was ist mit den Verkäuferinnen, denen kaum noch Vollzeitstellen angeboten werden? Den zahllosen Kurierfahrern, die sich sechzig Stunden in der Woche abhetzen? Den Click- oder Crowdworkern, die als Solo-Selbständige keinen Anspruch auf den Mindestlohn haben, ihre Webdienste auf digitalen Plattformen anbieten, oft in Fließbandmanier tippen und clicken – und die sich weltweit gegenseitig unterbieten müssen? Unter prekären Bedingungen arbeiten oftmals auch freie JournalistInnen, notorisch unterbezahlte Kulturschaffende, ZeitungsausträgerInnen, Post-Docs, die von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hüpfen.

Die Folgen dieser Arbeitsverhältnisse sind bekannt: Immer mehr Menschen sind armutsbedroht, obwohl sie arbeiten; über vier Millionen Beschäftigte beziehen einen Lohn unterhalb der Armutsschwelle, Hunderttausende verzichten auf angemessenes Heizen, sparen beim Essen oder können sich die Miete nicht mehr leisten. Zudem sterben die Armen früher als die Besserverdienenden: Männer, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdienen, so eine Studie des Robert Koch Instituts, haben eine um elf Jahre kürzere Lebenserwartung als Männer, deren Gehalt das mittlere Einkommen um das Anderthalbfache übersteigt; bei den Frauen ist der Unterschied ebenfalls beträchtlich.

Neoliberale Verwerfungen

Und es geht gerade so weiter im reichen Deutschland. Laut einer Studie der Bundesagentur für Arbeit könnte es 2019 erstmals mehr Teilzeitjobs als Vollzeitstellen geben, die Zahl der LeiharbeiterInnen wächst, der Mindestlohn bleibt weiterhin deutlich unter den Lebenshaltungskosten und reicht schon gar nicht für eine akzeptable Altersversorgung.

Was tun also? Gewiss, die Zahl der Arbeitskämpfe nimmt zu. Vergangene Woche legten die Geldboten die Arbeit nieder, zu Beginn dieser Woche streikten die Sicherheitsleute auf den Berliner Flughäfen, seit Jahren kämpfen zudem Beschäftigte des Handelskonzerns Amazon für einen Tarifvertrag. Und wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass das Bordpersonal dem für sein Lohndumping berüchtigten Billigflieger Ryanair eine Anerkennung der Gewerkschaft abringen würde? In anderen Branchen aber tut sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di schwerer – zum Beispiel in der Druckindustrie und im Konflikt mit den Zeitungsverlegern, die trotz vieler Arbeitsniederlegungen (auch beim «Schwarzwälder Boten») partout keinen akzeptablen Tarifvertrag unterschreiben wollen.

Während sich die Beschäftigten und ihre Organisationen in den größeren Betrieben mehr oder weniger erfolgreich schlagen, sind im Zuge der marktradikalen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte neue Beschäftigungsfelder entstanden, in denen es keine Betriebsräte gibt, keine Gewerkschaftspräsenz und schon gar keine Tarifverträge. Wie können sich die Solo-Selbständigen wehren? Zu welchen Mitteln können jene greifen, die tagein, tagaus allein auf sich gestellt sind? Nützen herkömmliche Protestformen (Demonstrationen, Sitzstreiks, Besetzungen) noch etwas? Oder verlangen digitale Zeiten auch andere Methoden?

Zwei Wochen Debatte

Darüber diskutiert vom 14. bis 25. Januar 2019 ein öffentliches Uni-Seminar unter Federführung des Wissenschaftlers Albert Kümmel-Schnur und der ver.di-Ortsverein Medien + Kunst Konstanz im Bürgersaal der Stadt Konstanz. Geplant sind Diskussionen mit Betroffenen und AktivistInnen: Welche prekären Arbeitsverhältnisse gibt es in der Region? Wo sind die sozialen Bewegungen und fortschrittlichen Initiativen, die die herrschenden Verhältnisse ändern könnten? Wie können die Geschurigelten, die miserabel Entlohnten, die Hartz-IV-lerInnen, die wachsende Zahl jobbender AkademikerInnen, das kreative Prekariat und andere ihre Bedürfnisse artikulieren, ihre Interessen durchsetzen? Gibt es für diese vielen Arbeitskräfte eine menschenwürdige Zukunft? Und was müssen sie dafür tun?

Das Seminar findet jeweils von Montag bis Freitag von 18 bis 20 Uhr statt. Mit den Studierenden und BesucherInnen diskutieren unter anderem

► am Donnerstag, 17. Januar: Mike Freyer, Bauingenieur, Blauhelmsoldat und jetzt Obdachloser (Titel: «Heute hier, morgen dort – vom Leben auf der Straße»),

► am Freitag, 18. Januar: Margrit Zepf, Fachanwältin für Arbeitsrecht und bis 2016 Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Schwarzwald-Bodensee über ambulante Altenpflege («Krumbuckeln für ein paar Cent?»),

► am Montag, 21. Januar: Franca Dangel, Studentin und gelernte Schneiderin, sowie Ulrike Wuhrer, Betriebsratsvorsitzende von Karstadt Konstanz, über die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel («Darf's ein bisschen weniger sein?»),

► am Dienstag, 22. Januar: Ulrich Riebe, IT-Spezialist, über politischen Aktivismus im Internet,

► am Mittwoch, 23. Januar: Georg Mehlich, Schauspieler am Stadttheater Konstanz, über prekäres Arbeiten im Kulturbereich («Ich hätt' da ein Projekt …»),

► am Donnerstag, 24. Januar: Miriam Fehlker, Dramaturgin am Konstanzer Theater, über «Theater als Widerstand, Widerstand als Theater».

Das ganze Programm steht auf einer Uni-Website. Informationen hält auch der Facebook-Auftritt der Veranstalter bereit.

Im Veranstaltungsraum, dem Bürgersaal in der Innenstadt, sind während dieser Zeit ein Gemälde des Singener Künstlers und Beuys-Schülers Felix Droese ausgestellt (Titel: "CAIN – sie scheissen auf uns") sowie politische Plakate der Sammlung attac Singen: "Time to change".

Zudem organisieren die Veranstalter für Samstag, 19. Januar, einen Markt der Möglichkeiten, auf dem über zwanzig lokale/regionale Gruppen, Organisationen und Bündnisse ihre Anliegen vorstellen und zeigen, wie sie sich für eine bessere Zukunft engagieren. Dazu nächste Woche mehr.


Alle Daten auf einen Blick:

Seminar: «Ab heute anders! Vom schlechten Gegebenen und den Möglichkeiten, es zu ändern». Vom 14. bis 25. Januar 2019, jeweils an den Werktagen von 18 bis 20 Uhr. Wer mitdiskutieren – oder zuhören – mag, ist willkommen!

Ausstellung des Bilds «CAIN (sie scheißen auf uns)» von Felix Droese und der politischen Poster der Sammlung attac Singen: Besichtigung werktags täglich 14-16 Uhr

Markt der Möglichkeiten: Samstag, 19. Januar 2019, von 10 bis 14 Uhr.

Ort: Bürgersaal am Stephansplatz, Konstanz (pw)