Kapital & Arbeit: Europawahlen 2014

Wessen EU ist das eigentlich?

29. Januar 2014 | Selten zuvor war eine EU-Wahl so wichtig wie die kommende: Ende Mai wird erstmals unter dem Eindruck von Rettungspaketen und Austeritätspolitik abgestimmt.


Die Wahlen zum Europäischen Parlament liegen noch in weiter Ferne. Erst in vier Monaten werden in 28 Staaten mehr oder weniger viele BürgerInnen über die Zusammensetzung eines Gremiums befinden, das zwar noch lange keine umfassende legislative Befugnis hat, dessen Einfluss aber zunimmt. Und doch hat der Wahlkampf bereits begonnen, zumindest in Deutschland, dem bevölkerungsreichsten, ökonomisch stärksten und politisch mächtigsten Staat der Europäischen Union. Am vergangenen Wochenende nominierten gleich drei Parteien ihre SpitzenkandidatInnen – die SPD, die bayerische CSU und die Alternative für Deutschland (AfD).

Doch wen interessiert das überhaupt? In Deutschland zum Beispiel sank die Beteiligung an den EU-Wahlen von 1979 bis 2009 von 66 auf 43 Prozent. Die sinkende Wahlbeteiligung fiel allerdings in eine Zeit, als kaum jemand der EU-Kommission, dem Ministerrat oder der Europäischen Zentralbank grosse Bedeutung zumass. Viele meckerten zwar über die Brüsseler Bürokratie und deren Regulierungswut im Kleinen, es gab zum Teil auch massiven Widerstand gegen die zumeist kapitalfreundlichen, neoliberalen Richtlinien, aber der direkte Einfluss der EU auf das Alltagsleben schien minimal.

Das hat sich mit der Finanzmarktkrise geändert. Seit Jahren stehen die EU und ihre Institutionen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die einen befürchten, dass sie die Kosten für die milliardenschweren Rettungspakete (zugunsten der Banken) begleichen müssen, andere leiden unter der Austeritätspolitik und den Spardiktaten in fast allen EU-Mitgliedsstaaten.

Doch wem nutzt die Empörung? Den RechtspopulistInnen vom Schlage der AfD, die mit einem Slogan hausieren geht («Mut zu Deutschland»), der auch aus dem rechtsextremen Milieu stammen könnte? Dem französischen Front National, den Wahren Finnen, der dänischen Volkspartei, der griechischen Goldenen Morgendämmerung, der österreichischen FPÖ? Sie alle dürften mit ihrem Konzept eines «Europa der Nationen» und der propagierten Rückkehr zur Kleinstaaterei an Stimmen gewinnen. Ausgerechnet jene Parteien, die vor einiger Zeit noch eine «radikale Deregulierung» (FPÖ) oder «Entstaatlichung» (Front National) forderten, bemühen sich nun um die Opfer der neoliberalen, oft von SozialdemokratInnen vorangetriebenen Politik und polemisieren gegen «die Eliten» – aus denen auch ihre Führungsfiguren kommen. Der AfD-Parteitag setzte beispielsweise den radikalen Marktschreier Hans-Olaf Henkel (einst IBM-Manager und Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie) auf Listenplatz zwei. Die CSU wiederum betreibt seit Wochen mit einigem Erfolg eine Angstkampagne gegen die «Armutszuwanderung» aus Südosteuropa – und übersieht geflissentlich die Tatsache, dass die MigrantInnen aus Rumänien und Bulgarien im Schnitt besser ausgebildet als die deutsche Bevölkerung.

Und was tut die SPD? Ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel fiel am Parteitag nicht besseres ein, als AfD und die Partei Die Linke in denselben nationalistischen Topf zu werfen: Beide seien «Feinde Europas». Ein Grossteil der Medien haut schon länger in diese Kerbe, nicht nur in Deutschland. Dass die Europäische Linke mit Alexis Tsipras vom griechischen Linksbündnis Syriza überhaupt jemanden für das Amt des neuen EU-Kommissionspräsidenten vorschlägt, wird bestenfalls belächelt. Hanebüchenen Unsinn vertreten dabei jene, die einfach weitermachen wollen mit ihrem Europa von oben, seinen Geheimverträgen, seiner Abschottung, seiner Kapitalorientierung.

Nun mag man darüber streiten, ob alle Formulierungen in den linken Programmen arg glücklich gewählt sind. Die EU sei «eine neoliberale, militaristische und weitgehend undemokratische Macht», heisst es beispielsweise in der Präambel des Programmentwurfs der deutschen Linken. Das klingt ein bissche sehr apodiktisch – und so, als liesse sich das nicht ändern. Andererseits zeigt sich die EU nicht nur im Mittelmeer als bewaffnete Formation (gegen Flüchtlinge). Die Mitgliedsstaaten sind seit den Lissabonner Verträgen auch zum Ausbau ihrer militärischen Kapazitäten verpflichtet. Und demokratisch kann man das als Wirtschaftsgemeinschaft gegründete Gebilde nun wirklich nicht nennen.

Jenseits der innerlinken Debatten gilt jedoch: Wenn jemand die Idee eines friedlichen und demokratischen Europas retten kann, dann ist es die Linke. Von Portugal bis Tschechien, von Griechenland bis Irland wissen ernstzunehmende linke PolitikerInnen, dass Bewegungen und Kampagnen, soziale Forderungen und Initiativen zu Vertragsreformen nur im EU-Rahmen möglich und dauerhaft erfolgreich sein können. Der Ko-Vorsitzende der deutschen Linkspartei, hat die Verhältnisse Anfang Januar auf den Punkt gebracht. «Die Grenzen», schrieb Bernd Riexinger, der im Herbst 2012 in Athen gegen die Politik von Angela Merkel demonstrierte, «verlaufen nicht zwischen den Nationen und Völkern, sondern zwischen oben und unten». (pw)