Kapital & Arbeit: Räuberbanden in der Eurozone

750 Milliarden und zwei Beruhigungspillen

26. Mai 2010 | Der Euro-Rettungsschirm hilft vor allem den Grossbanken – und hebelt die Demokratie aus.


Lange zögerte sie. Dann schritt die deutsche Regierung zur Tat - und boxte am vergangenen Freitagmorgen ein 160 Milliarden Euro schweres Garantiepaket durch den Bundestag. Am Freitagnachmittag nickte auch der Bundesrat, die zweite Kammer, das Kreditermächtigungsgesetz ab. Und am Samstag unterzeichnete der Bundespräsident die Vorlage.

So schnell wurde in Deutschland noch nicht einmal in Zeiten der Terrorhysterie ein Gesetz durch alle Instanzen gepaukt. Zudem konnten die Abgeordneten damals, wenn sie wollten, immerhin in Erfahrung bringen, worüber sie abstimmten; diesmal hingegen stellten sie einen Scheck aus - und hatten keine Ahnung wofür. Die Parlamentsmehrheit begnügte sich mit dem Mantra von den Sachzwängen. «Es gibt keine Alternative», sagen seit Margaret Thatcher alle PolitikerInnen, denen kein anderes Argument für ihre Politik einfällt. Man müsse die Finanzmärkte beruhigen und dort Vertrauen schaffen, sagte die Bundeskanzlerin und trieb zur Eile an. Die Räuber stehen in der Tür, beruhigen wir sie erst einmal.

Dabei hatte sie durch ihr langes Zögern die Krise der Eurozone erst so richtig verschärft: Über Monate hinweg lehnte die deutsche Regierung alle Stützungsmassnahmen für Griechenland und den Euro ab, und am zweiten Maiwochenende brauchten die europäischen Staats- und Regierungs­chefs ebenfalls lange, bis sie den deutschen Widerstand gegen das 750-Milliarden-Euro-Paket brechen konnten. Danach jedoch preschte die deutsche Politik vor. Plötzlich musste alles schnell gehen – obwohl noch vieles unklar ist. Nach welchen Kriterien wird das Geld vergeben? Welche Aufgaben hat die noch nicht einmal gegründete Zweckgesellschaft luxemburgischen Rechts, die die Milliarden verwalten soll? Was tut die EU-Kommission mit den 160 Milliarden deutschen Euro, die – sollten sie abgerufen werden – immerhin die Hälfte des aktuellen Bundeshaushalts ausmachen?

Und wer bekommt die Summen? Etwa Spiro Latsis, der griechische Banker, Reeder und Medienmag­nat, der griechische Staatsanleihen im Nominalwert von zwölf Milliarden Euro gehortet hat, die ohne das Rettungspaket nicht mehr viel wert wären? Latsis, der über beste Beziehungen zum EU-Kommissionspräsidenten José Barroso verfügt (Barroso war mehrfach Gast auf der Jacht des reichen Griechen), verlegte Ende 2009 den Sitz ­seiner EFG-Bankengruppe aus der Schweiz in das EU-Land Luxemburg. Kauft die Europäische Zentralbank der Deutschen Bank, der UBS oder der Credit Suisse Kredit­ausfallversicherungen und Staatsanleihen bedrohter EU-Staaten ab?

Alles deutet darauf hin. Die Banken, die vor kurzem noch von den Staaten gerettet werden mussten, erzielen mit der dadurch entstandenen Staatsverschuldung enorme Profite – und werden, weil es dort ebenfalls klemmt, erneut herausgehauen. Mit einer solchen Politik gewinnt man vielleicht das Vertrauen der Finanzmärkte, aber nicht das der Bevölkerung.

Und so verabreichte die Berliner Regierung vor der Bundestagsentscheidung zwei Placebos: Der staatliche Bankenrettungsfonds SoFFin, der Ende letzter Woche ein Minus von 4,3 Milliarden Euro bekannt gab, verbot ungedeckte Leerverkäufe deutscher Bankaktien (was aber ausser ein paar Schlagzeilen nichts bewirkt). Und Kabinettsmitglieder versprachen, sich für eine Finanzaktivitätssteuer oder eine Finanztransaktionssteuer starkzumachen. Die Aktivitätssteuer, die auch der Internationale Währungsfonds IWF befürwortet, soll nur für die Gewinne der Banken und die Boni der BankerInnen gelten. Die weiter reichende Transaktionsabgabe würde hingegen jeden Handel mit Wertpapieren besteuern, die Spekulation eindämmen und selbst bei minimalem Steuerfuss den Staaten Milliarden bringen. Doch die Transaktionssteuer, versicherten die PolitikerInnen sogleich besorgten FinanzakteurInnen, würde - weil weltweit nicht durchsetzbar - ohnehin nicht kommen. Dem Bundestag aber genügten die Pillen.

Die zentralen Fragen sind ohnehin nicht in der öffentlichen Diskussion. Was ist, wenn die rigiden Sparprogramme, die Deutschland, die EU-Kommission und der IWF den hoch verschuldeten Staaten aufzwingen, dort - wie absehbar   - erst recht eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang setzen? Wer hat für die nächsten Rettungsaktio­nen noch Geld? Vernichten Rendite­ziele von 25 Prozent, die die Deutsche Bank weiterhin anstrebt, nicht ganze Gesellschaften? Welche Entwicklungsmöglichkeiten haben die von den Reichen leergeplünderten Staaten? Müsste nicht eine Vergesellschaftung der Privatbanken auf die Tagesordnung kommen?

Noch scheint alles wie gehabt: Die da unten müssen in Spanien, in Griechenland oder demnächst in Deutschland halt noch ein bisschen mehr bluten, damit es «mit der Wirtschaft wieder nach oben» geht. Vielleicht zerlegt sich aber in all den Krisen das bisherige Sys­tem der Profitmaximierung, der Kapitalismus. Undenkbar? Auch in anderen Weltregionen hatten die Menschen lange Zeit an den gesellschaftlichen Fortschritt geglaubt – bis ihr Staat von Räuberbanden zusammengeschossen wurde. Und scheiterte. (pw)