Kapital & Arbeit: DB-Privatisierungspläne der grossen Koalition

Showdown auf Schienen

9. August 2007 | Ausgerechnet eine bisher eher konservative Gewerkschaft könnte die Börsenpläne der Deutschen Bahn entgleisen lassen.


Nun wird es also doch nicht schon in dieser Woche zum grossen Arbeitskampf kommen: In letzter Minute hat ein Gericht den für diesen Donnerstag geplanten Streik im Güterverkehr per einstweiliger Verfügung verboten. Da die Gewerkschaft in die Berufung gehen wird, ist der Ausstand nur verschoben. Denn die Begründung des Gerichts – der Volkswirtschaft drohe ein zu grosser Schaden – dürfte einer Überprüfung kaum standhalten.

Selten zuvor wurde in Deutschland ein Tarifkonflikt so erbittert geführt: Seit Wochen schon fauchen sich die Vorstände der Deutschen Bahn AG (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) an wie zwei alte Dampfloks, deren Kessel unter Hochdruck stehen, und die – sollte es nicht zu einer Einigung kommen – in der nächsten Woche aufeinander zurasen werden.

Denn es geht bei der Auseinandersetzung um mehr als ein paar Lohnprozente und kürzere, geregeltere Arbeitszeiten. Es geht um das Recht des DB-Fahrpersonals auf einen eigenen Tarifvertrag, es geht um den Widerstand gegen zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen, um das Sozialmodell des Service public, zu dem die bundeseigene DB noch gehört – aber auch um die vor drei Wochen vom Bundeskabinett beschlossene Teilprivatisierung der Deutschen Bahn und um die Frage, ob im globalisierten Kapitalismus noch halbwegs akzeptable Arbeitsverhältnisse durchgesetzt werden können.

All diese Aspekte machen den Bahnstreik zu einem sehr grundsätzlichen Kampf – den nebenbei noch zwei ältere Herren anheizen, die einander nicht verputzen können. Auf der einen Seite Hartmut Mehdorn, 65, der jahrzehntelang in der Flugzeugindustrie tätig war, bevor der damalige Kanzler Gerhard Schröder ihn 1999 an die Spitze der DB berief, die er zu einem globalen Logistikunternehmen ausbauen will. Und auf der anderen Seite der GDL-Vorsitzende Manfred Schell, 64, CDU-Mitglied, Lokführersohn und leidenschaftlicher Eisenbahner, der selber viele Jahre im Führerstand gearbeitet hat.

Dutzende Gerichte angerufen

Beide nehmen kein Blatt vor den Mund. Der hemdsärmelige Manager Mehdorn verfolgt beharrlich das Ziel, den letzten grossen Staatskonzern an die Börse zu bringen. Er hat ihn profitabel geschrumpft, Strecken stillgelegt, populäre Zugkategorien wie den Interregio gestrichen, ein wirres Preissystem eingeführt (und nach Protesten teilweise wieder fallen gelassen), Arbeitsplätze abgebaut, Löhne gesenkt, Arbeitsbedingungen verschärft und für die Substanzerhaltung nötige Investitionen zurückgestellt – dies alles, um auf dem Papier die Börsenfähigkeit des Konzerns zu belegen. Er wirft Schell vor, zu «terroristischen Mitteln» zu greifen.

Der wiederum nennt den klein gewachsenen Mehdorn öffentlich auch mal «Rumpelstilzchen» und bezichtigt den Bahnchef, der in den vergangenen Tagen gleich ein Dutzend Gerichte anrief, zuletzt mehrfach der «Prozesshanselei». Hier der kalte Manager, dort der bei seiner Basis überaus beliebte Gewerkschafter: Jede grosse Auseinandersetzung braucht ihre Figuren, und selten haben sie so gut zu einem Konflikt gepasst wie die beiden in diesem Fall.

Der personelle Zwist ist jedoch nur Ausdruck eines tiefreichenden Konflikts, der viele Dimensionen hat – denn sonst hätten nicht 96 Prozent der GDL-Mitglieder für Streik votiert. Das, obwohl die grosse Eisenbahnergewerkschaft Transnet (sie gehört im Unterschied zur GDL dem Deutschen Gewerkschaftsbund DGB an) die Lokführer seit Jahren vor einem Sonderweg warnt. Sie und bemerkenswerterweise auch der Bahnvorstand rufen zur «Solidarität» mit den anderen Bahnbeschäftigten auf. Aber hatte nicht Transnet zugelassen, dass die Lokführer über Jahre hinweg immer schlechter gestellt wurden und beispielsweise länger arbeiten müssen als das übrige Bahnpersonal? Hat nicht Transnet-Chef Norbert Hansen als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Bahn Mehdorns Politik stets mitgetragen und etwa die Erhöhung der DB-Vorstandsgehälter um 62 Prozent abgenickt? Und ist Transnet nicht – im Gegensatz zu allen anderen DGB-Gewerkschaften – für eine Privatisierung der Bahn?

Und so stehen sie sich nun gegen­über: hier die PrivatisierungsbefürworterInnen von Mehdorn über den Transnet-Vorstand bis zu CDU/CSU, FDP, SPD-Spitze und Teilen der Grünen; dort die Lokführer und ein grosser Teil der Bevölkerung, die mehrheitlich den Börsengang ablehnt und schon den dreitägigen Lohnstreik Anfang Juli, damals noch getragen von Transnet, GDL und der kleinen ­GDBA, begrüsste. GDBA und Transnet unterschrieben vor vier Wochen das Bahnangebot (4,5 Prozent mehr Lohn). Die GDL-Mitglieder wollen jedoch mehr: Die Lokführer, die Zugbegleiter und die Beschäftigten der Bordgastronomie verlangen 31 Prozent mehr Lohn – eine für deutsche Verhältnisse astronomische Forderung.

Maximalgehalt 2148 Euro

Doch sie ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man den Arbeitsplatzabbau und die damit verbundene Leis­tungssteigerung berücksichtigt: Seit die Deutsche Bundesbahn 1994 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, sanken der Personalbestand von 350.000 auf 230.000 und die Zahl der Lokführer von 35.000 auf 19.600.

Auch die Entwicklung des Reallohns rechtfertigt die Forderung. Heute beträgt das Maximalgehalt eines angestellten Lokführers 2148 Euro brutto. Beispiel: Ein Vierzigjähriger mit siebzehn Jahren Berufserfahrung und zwei Kindern bringt netto 1628 Euro nach Hause. Mit Zulagen für Schicht- und Wochenenddienst ergibt dies rund 1900 Euro. Und das bei Schichtlängen von bis zu vierzehn Stunden, nur dreizehn freien Wochenenden im Jahr (aber nur von Samstag 14 Uhr bis Montag 6 Uhr), ununterbrochenen Fahrtzeiten von bis zu fünfeinhalb Stunden. Zusätzlich müssen sie, weil Personal eingespart wurde, am Wendepunkt ihrer Strecke oft auch noch den Müll wegräumen, den die Fahrgäste in den Waggons hinterlassen haben.

Jüngere LokführerInnen bekommen für die Regelarbeitszeit von 41 Stunden in der Woche maximal 1580 Euro netto im Monat (inklusive Zulagen). Nur das vor 1994 eingestellte Fahrpersonal erhält mehr: 2500 Euro brutto beziehen die alten BeamtInnen. Und deren Lohnniveau wollen die angestellten Lokführer erreichen. Diese Beamten – sie sind unkündbar und dürfen nicht streiken – musste die DB seinerzeit übernehmen. Mit ihnen will die DB-Konzernleitung den Bahnbetrieb aufrechterhalten, sollte in der nächsten Woche der Streik beginnen. Dieser Sondereinsatz der rund 8000 beamteten Lokführer dürfte jedoch kaum genügen – vor allem dann nicht, wenn die GDL-Mitglieder ihre Arbeit punktuell niederlegen und die Züge in wichtigen Durchgangsbahnhöfen einfach stehen lassen.

Die dümmste aller Varianten

Für den Bahnvorstand könnte der Arbeitskampf zu keinem dümmeren Zeitpunkt kommen. Denn am 24. Juli, kurz vor Ferienbeginn, beschloss die Berliner Regierung endlich das, worauf Mehdorn seit Jahren hinarbeitet: die bedeutendste Privatisierung in der deutschen Geschichte, den grössten Ausverkauf öffentlichen Eigentums – die Teilprivatisierung der DB. Jahrelang hatten die Regierungsparteien über deren Details und vor allem die Frage gestritten, ob das Schienennetz samt Immobilien ebenfalls verhökert werden oder im Bundesbesitz verbleiben soll. Die SPD-Spitze, die die Bahn gern als schlagkräftigen Global Player sehen würde, sprach sich dafür aus, Bahnbetrieb und Anlagen gemeinsam auf den Markt zu bringen. CDU/CSU befürworteten hingegen die Trennung von Betrieb und Netz – nur so könne mehr Wettbewerb auf den Schienen gewährleistet werden.

Beschlossen wurde die dümmste aller Varianten, für die auch Mehdorn plädierte: Die DB – die zu 49 Prozent verkauft werden soll – darf, so der Kabinettsbeschluss, fünfzehn Jahre lang das Netz bewirtschaften. Verlängert der Bundestag den Vertrag dann nicht, wird das Netz wieder vom Bund verwaltet. In diesem Fall erhält die DB die dafür investierten Eigenmittel zurückerstattet. Den voraussichtlich mehrstelligen Milliardenbetrag will und kann dann wahrscheinlich keine Regierung aufbringen. Zudem zahlt der Bund der DB jährlich bis zu 2,5 Milliarden Euro zur Erhaltung des Netzes.

SPD-Basis opponiert

Die Regierung von Angela Merkel bezifferte den erhofften Erlös aus dem Verkauf der ersten Tranche von 25 Prozent der DB-Anteile auf fünf Milliarden Euro. Sie veranschlagt also den Wert des Staatskonzerns auf zwanzig Milliarden. Nach Expertenansicht ist die Deutsche Bahn jedoch mindestens 180 Milliarden Euro wert. Selbst das Bundesverkehrsministerium hat vor kurzem das Streckennetz auf 126 Milliarden geschätzt – ohne die rund 5000 Bahnhöfe.

Der Zeitpunkt für die Kabinettsentscheidung war wohlbedacht. Eine ers­te Lesung könne, so die Hoffnung der KoalitionspolitikerInnen, in den ers­ten Sitzungswochen nach der Sommerpause stattfinden, sodass vor dem SPD-Bundesparteitag Ende Oktober alles unter Dach und Fach wäre. Die Eile ist verständlich: Immer mehr Teile der SPD-Basis sprechen sich grundsätzlich gegen eine Privatisierung der Bahn aus; fünf SPD-Landesparteitage haben bereits dagegen votiert und fordern Moratorien und Gutachten, die auch das positive Schweizer Modell berücksichtigen.

Mittlerweile haben sich auch die Verkehrsminister der Bundesländer gegen den Privatisierungsplan ausgesprochen, weil sie nach einem Börsengang der Bahn weitere Streckenstilllegungen auf dem Land befürchten. Und Umweltverbände kündigten bereits eine Verfassungsklage an: Laut Grundgesetz muss «zum Wohl der Allgemeinheit» der Bund «Ausbau und Erhalt des Schienennetzes» gewährleisten. In diesem Punkt entspricht die Verfassung dem Willen der Bevölkerungsmehrheit. Es steht also nicht gut um Mehdorns grossen Plan. Dass ihm ausgerechnet eine kleine, bisher eher konservative Gewerkschaft in die Suppe spuckt, erbost ihn besonders. Die GDL-Führung wiederum muss beweisen, dass sie mehr zustande bringt als die anderen Gewerkschaften. (pw)