Deutschland: Wie grün sind AutoarbeiterInnen?

S'isch halt scho e feine Sach

26. Juli 2007 | Am Geburtsort des Automobils ist die Klimadiskussion zwar angekommen. Aber hat sie auch die AutoarbeiterInnen erreicht? Und wie stehen klassenkämpferische Daimler-Beschäftigte zum Klimakiller Auto?


Dieter Stein hatte keinen leichten Stand am letzten bundesweiten Treffen zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken. Er verteilte Flugblätter, in denen er auf den Zusammenhang von Industrieproduktion und Temperaturanstieg, von Wirtschaftssystem und CO2-Ausstoss, von Machtverhältnissen und der drohenden Klimakatastrophe hinwies. Und dann hielt der Arzt aus einem kleinen Ort südlich von Frankfurt auch noch eine kurze Rede: «Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, kann diesen Wahnsinn stoppen? Wer, wenn nicht die sozialen Bewegungen, hat die gesellschaftliche Kraft, dem Kapital Einhalt zu gebieten?»

Gute Fragen. Doch die TeilnehmerInnen an der Konferenz der deutschen Gewerkschaftslinken Ende Juni hatten ganz andere Themen im Kopf. Zum Beispiel den fortlaufenden Abbau demokratischer Grundrechte, der auch auf aktive GewerkschafterInnen abzielt. Die Solidarität mit kämpfenden Daimler-ArbeiterInnen in Berlin, die von der IG Metall unter Druck gesetzt werden. Die Vorbereitung auf die künftigen Auseinandersetzungen (schon lange wurde in Deutschland nicht mehr so viel gestreikt). Oder die Frage des politischen Streiks, die angesichts der Regierungspolitik immer häufiger diskutiert wird.

Und so sammelte Mediziner Stein am Ende der Tagung manche seiner Flugblätter wieder ein, weil sie liegen geblieben waren. Aber immerhin wusste er, dass bei etlichen der über hundert TeilnehmerInnen seine Botschaft schon vorher angekommen war. Bei Michael Clauss zum Beispiel, IG-Metall-Betriebsrat im Daimler-Werk Stuttgart-Untertürkheim. Oder bei Serkan Senor, ebenfalls Betriebsmitglied der oppositionellen Gruppierung «Alternative» im Untertürkheimer Werk, die eine gleichnamige Betriebszeitung herausgibt. Sie und die anderen Betriebsräte der «Alternative» hatten Stein Anfang März zu einem Vortrag eingeladen, an dem der engagierte Arzt seine Überlegungen vortrug. «Es war eine gute Veranstaltung», sagt Senor. Über vierzig Kollegen hätten zwei Stunden lang über den Klimawandel, emissionssparende Verkehrssysteme, alternative Antriebssysteme und die profitorientierte Modellpolitik des Daimler-Vorstands debattiert.

Neunzehn Liter Spezialbenzin

Aber geht das überhaupt? Können AutoarbeiterInnen über ihren eigenen Schatten springen und ein Produkt infrage stellen, das sie täglich herstellen und von dem ihr Arbeitsplatz abhängt? Geraten nicht auch kapitalkritische und kampferprobte Belegschaftsvertreter in einen schier unlösbaren Interessen- und Loyalitätskonflikt, wenn sie das Auto an sich und die Produktpalette des Unternehmens im Besonderen in Zweifel ziehen? Was sagen die Kolleg-Innen dazu, die angesichts der anhaltenden Rationalisierung und der fortwährenden Ausgliederung ganzer Abteilungen um ihre Jobs bangen? Und womit kurven sie selber herum? Die letzte Frage ist am einfachsten zu beantworten. Beide, Clauss und Senor, fahren eine «Dreckschleuder», wie sie selber sagen. Der eine einen Mercedes-Offroader der M-Klasse («im Verbrauch eine Katastrophe, da will ich mich gar nicht rausreden»); der andere ein Modell der E-Klasse: «Der verbraucht nur zehn bis elf Liter auf hundert Kilometer!» Aber Serkan Senor brettert auch gern mal mit grösseren Kalibern durch die Gegend, wenn sie ihm zu Testzwecken kurz überlassen werden – wie kürzlich einen 600 DL, dessen 500 PS über neunzehn Liter Spezialbenzin schlucken.

Der Grund für ihre Markenwahl liegt auf der Hand: Wie alle deutschen Autohersteller bietet Daimler seinen Beschäftigten Vorzugsbedingungen: Niedrigere Preise beim Kauf von sogenannten Jahreswagen, die nach Jahresfrist auf dem Gebrauchtwagenmarkt gute Erlöse erzielen. Oder günstige Leasingraten. So was lassen sich auch ArbeiterInnen nicht entgehen, die keinen Konflikt mit der Unternehmensleitung scheuen und die die Belegschaft gegen all die kleinen und grossen Sauereien im Betriebsalltag mobilisieren: die Erpressungsversuche des Managements, die Lohnkürzungen, die Arbeitsverdichtung und die ruinösen Arbeitsbedingungen. Sie wären ja auch blöd.

Kotzen bei acht Litern

Ähnlich pragmatisch ist ihre Modellwahl. Serkan Senor, der als linker Betriebsrat in der Getriebefertigung von Fahrzeugtechnik viel versteht und sich ständig weiterbildet, formuliert es so: «Unser kleinstes Modell in der A-Klasse, eine lahme Krücke, schluckt acht Liter. Da kotzen selbst die Leute, die es bauen, über den Verbrauch.» Und nehmen lieber ein grösseres Modell, bei dem das Verbrauch-Leistungs-Verhältnis besser ist. Und so nutzen manche Daimler-Beschäftigten das A-Modell aufgrund seiner geringen Leasingrate als Zweitwagen für die Frau, sonst aber nicht.

Die Faszination für die Technologie und für das Machbare im technischen Bereich ist also durchaus da bei den kritischen GewerkschafterInnen von Untertürkheim. Das war mal anders in den oppositionellen Kreisen der Daimler-Belegschaft. Tom Adler zum Beispiel, Daimler-Betriebsrat seit 1984, kann sich noch gut erinnern, wie das seinerzeit bei der mittlerweile legendären «Plakat»-Gruppe war, die ab 1968 sowohl gegen die sozialpartnerschaftlichen Betriebsratsfürsten wie auch die Konzernleitung kämpfte und gleichzeitig das Auto infrage stellte. «Wir konnten damals natürlich nur für den öffentlichen Verkehr und alternative Transportsysteme eintreten, weil wir im Werk eine klare Interessenvertretung betrieben haben», sagt er, «sonst wären wir untergegangen.»

Achtundsechziger in Altersteilzeit

Ihre damalige Kritik war freilich auch in einem ganz anderen Umfeld entstanden. Die Verzahnung von achtundsechziger Linken und der neuen Umweltbewegung prägte die betriebspolitisch aktiven Leute; dazu kam erstmals das Überkapazitätsproblem, das viele Beschäftigte dazu brachte, über neue Wege nachzudenken. «Die Arbeitsplatzfrage war schon wichtig», sagt Adler, «aber wir haben die Antwort ausserhalb der bestehenden Produktionsverhältnisse und der Autoproduktion gesucht.» In der Metallindustrie entstanden Arbeitskreise für Rüstungskonversion, und die Initiative der britischen Lucas-Aerospace-ArbeiterInnen wurde auch in Stuttgart diskutiert, wo gleichzeitig Bürgerinitiativen gegen Strassenbau und Verkehrslärm mobilisierten.

Heute ist das anders. Heute gehen die von der StudentInnenbewegung politisierten ArbeiterInnen in die Altersteilzeit, heute ist Adler wahrscheinlich der einzige Daimler-Betriebsrat, der sich «für Autos nicht interessiert». Seine jüngeren Betriebsratskollegen von der Liste der «Alternativen» haben einen ganz anderen Werdegang hinter sich – sie haben sich im Konflikt mit der Unternehmensleitung und ihren eigenen Vertretern im Management radikalisiert.

Auch der Umweltgedanke lag ihnen lange Zeit fern. «Wir diskutieren in unserer Betriebsratsgruppe eigentlich erst seit einem halben Jahr übers Klima», sagt Serkan Senor. Den Anstoss dazu lieferten der Medienwirbel um das Toyota-Hybridauto Prius, die öffentliche Debatte über die Weltklimaberichte und – bei der Belegschaft – die Sorge, die schweren, motorstarken Mercedes-Modelle könnten ins Hintertreffen geraten.

Und so wird derzeit bei Daimler – anders als etwa bei VW, wo das Thema derzeit offenbar noch keine Rolle spielt – die Umweltfrage neu aufgerollt. «An der letzten Betriebsversammlung in der Motorenfertigung haben die Kollegen klargemacht, dass sie künftig die Entwicklung nur noch in eine Richtung vorantreiben werden – hin zu verbrauchsparenden Antrieben», sagt Michael Clauss. «Die Verantwortlichen in der Geschäftsführung haben ja auch viel zu lange gepennt.» Früher sei Daimler bei der Erforschung neuer Antriebssysteme und Brennstoffzellen mal führend gewesen, aber dann – nach dem Abebben der grünen Bewegung und der Institutionalisierung grüner Politik – «haben die alle Einsparungen im Verbrauch verblasen, indem sie immer stärkere Motoren anboten».

Gegen mehr Effizienz, Technologie und weniger CO2-Ausstoss sei keiner, «in der Belegschaft hängt niemand am Verbrennungsmotor», sagt auch Senor – und berichtet von einer Jugendversammlung, auf der kürzlich DC-Konzernchef Dieter Zetsche auftrat und davon sprach, dass man in rund zwanzig Jahren so weit sei, ein Mercedes-Vollhybridmodell anzubieten. Doch diese Zeitangabe nehme niemand ernst: «Die stehen auch wegen der EU-Vorgaben unter Druck. Es gibt einen Kampf um den letzten Tropfen Benzin.»

«Mir muss man das Autofahren verbieten»

Nur am Konzept des Individualverkehrs will keiner rütteln. «Das sitzt bei unseren Leuten so tief, dass niemand es infrage stellt», sagt Betriebsrat Clauss. Und überhaupt sei ein Dreiliterauto angesichts der Renditevorgaben bei Mercedes schlichtweg nicht vorstellbar. Mindestens zehn Prozent Rendite sei derzeit das Mass aller Dinge im Daimler-Konzern, und dafür müssen sich die Beschäftigten in allen Werken krummlegen. Das hochgesteckte Profitziel erlaubt andererseits aber auch keine grossen Investitionen, die für die Entwicklung neuer Antriebssysteme nötig wären.

Nur ein Systemwechsel, nur eine fundamentale Änderung der Machtverhältnisse und Entscheidungsprozesse könnten, so Clauss, daran etwas ändern. Die gesetzlichen Vorgaben müssten natürlich für alle gelten, auch für ihn: «Mir zum Beispiel muss man das Autofahren verbieten. Appelle an die Verbraucher und die Industrie nutzen nichts.» Aber so was sei angesichts der Regierungspolitik in Berlin nicht zu erwarten.

«Ja und, willst du denn gar nichts über Technik wissen?», protestiert Serkan Senor am Ende des Gesprächs. Da gebe es nämlich viel zu erzählen – über die Aluminium-Magnesium-Achsen zum Beispiel, die derzeit getestet werden, über die Harnstoffeinspritzung zur Verbrauchsreduzierung der Dieselmotoren, die Einführung von Lenkspiegeln, von Infrarot-Nachtscheinwerfern, von Rückfahrkameras …

«Du siehst, die Identifikation mit dem Produkt ist noch da», sagt Clauss, «'s isch halt scho e feine Sach.» Aber er habe deswegen auch ein schlechtes Gewissen – und überlege sich, ob er nicht zumindest zu einem Ökostromanbieter wechseln soll. Für den Ökoarzt Dieter Stein wäre das schon mal ein Fortschritt. (pw)