Nordirland: Was kommt nach Trimble?

Der Schatten von Drumcree

28. Juni 2001 | Ab kommenden Sonntag müssen die Friedensstrategen in London und Dublin auf ihren wichtigsten Mann verzichten: David Trimble geht.

Die Temperaturen steigen, die Marschsaison ist in vollem Gang, und Nordirland steht vor der nächsten Krise. Das ist jeden Sommer so. Im Unterschied zu früheren Jahren scheint der langjährige Friedensprozess diesmal jedoch ernsthaft gefährdet. Die politischen Turbulenzen verstärken dabei noch die Spannungen zwischen den beiden Gemeinschaften. Diese haben sich erst letzte Woche wieder entladen, als irisch-katholische und unionistisch-protestantische SchülerInnen in Nordbelfast aufeinander losgingen. Ähnliche Zwischenfälle hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Während PolitikerInnen und Medien vom Friedensprozess sprachen, prügelten sich die Kids auf den Strassen. Vor allem in Nordbelfast, wo viele Arme wohnen und die Grenzen zwischen den protestantischen und katholischen Quartieren im Zickzack verlaufen, reicht oftmals ein Schimpfwort, eine Rempelei, ein Steinwurf – und die Strassenschlacht beginnt.

Die Auseinandersetzungen der letzten Woche waren also nicht neu, nur besonders heftig. Ausgelöst haben sie protestantische Jugendliche, die wie ihre Eltern fest glauben, dass das 1998 unterzeichnete Karfreitagsabkommen zu ihrem Schaden ist. Dass probritische loyalistische Paramilitärs an den Scharmützeln beteiligt waren, nahm die britische Nordirland-Verwaltung am Montag zum Anlass, einen der führenden Loyalisten wieder einzusperren. Gary Smith von den Ulster Freedom Fighters war anlässlich der im Karfreitagsabkommen vereinbarten Amnestie im September 1999 freigekommen. Nun sitzt er wieder.

Seine Verhaftung löst natürlich keine Probleme, aber sie signalisiert Entschlossenheit. In Nordirland finden in den nächsten zwei Wochen die wichtigsten Umzüge des Oranier-Ordens statt. Vor allem der Marsch der Oranier von Portadown, die partout von ihrer kleinen Kirche Drumcree durch die katholische Garvaghy Road laufen wollen, dürfte die Staatsmacht vor erhebliche Probleme stellen. In den letzten Jahren war es dort regelmässig zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen.

Gefährlich nahe

Mitten in dieser aufgeheizten Stimmung (normalerweise beenden in Nordirland alle Parteien ihr politisches Tagesgeschäft Ende Juni und nehmen es erst nach dem Ablauf der Marschsaison wieder auf) tritt nun der Erste Minister David Trimble zurück. Der Regionalpremier hatte zu Beginn des Unterhauswahlkampfes angekündigt, dass er am 1. Juli aus dem Amt scheide, wenn die IRA bis dahin keine wesentlichen Abrüstungsschritte getan habe. Für Trimble war diese Ankündigung schon aus wahltaktischen Gründen wichtig gewesen: Bedrängt von den rabiaten UnionistInnen um den Prediger Ian Paisley, wollte er Härte demonstrieren. Mit einem entschlossenen Vorsitzenden, so die Kalkulation, könne die Ulster Unionist Party (UUP) die Wahl gewinnen. Doch die Rechnung ging nicht auf – Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) gewann mehrere Sitze hinzu und ist nun mit fünf Unterhausabgeordneten der UUP (sechs Sitze) gefährlich nahe gerückt.

Da eine Mehrheit in der eigenen Partei das Karfreitagsabkommen ebenfalls sehr skeptisch beurteilt, kann Trimble seine Ankündigung nun nicht einfach zurückziehen. Schon einmal hatte er zum Mittel einer hinterlegten Rücktrittserklärung gegriffen. Das war im Dezember 1999 gewesen. Nur mit der Ankündigung seiner Demission im Falle fehlender Abrüstungsschritte der IRA konnte er damals seine Basis für die Allparteienregierung gewinnen, in der auch die IRA-nahe Partei Sinn Féin sitzt.

Als die IRA das Ultimatum der UnionistInnen verstreichen liess und Trimble seine Drohung wahr machen wollte, setzte London im Februar 2000 kurzerhand die Kompetenzen der neuen Regionalregierung ausser Kraft. Daraufhin machte die IRA ein für die eigenen Begriffe weit gehendes Zugeständnis: Sie sei bereit, ihre Waffen «dauerhaft ausser Gebrauch» zu setzen, sagte die Organisation, versiegelte drei Waffenlager und liess sie von einer internationalen Kommission (bestehend aus Cyril Ramaphosa vom südafrikanischen ANC und dem ehemaligen finnischen Ministerpräsidenten Martti Ahtisaari) inspizieren.

Hier zehn Gewehre, dort ein bisschen Sprengstoff

Das Entgegenkommen der IRA war allerdings an Bedingungen geknüpft, die London während der so genannten Hillsborough-Verhandlungen im Mai 2000 auch zugestand: Der britische Regierungsschef Tony Blair versprach damals eine weitgehende Demilitarisierung (also Rückzug der Armee) und die Umsetzung der angekündigten Polizeireform. Beide Zusagen wurden bisher aber nicht eingehalten. Dazu kommt, dass die IRA auf keinen Fall die von den UnionistInnen geforderte Unterwerfungsgeste tun will. Druck von protestantischer Seite hat bisher immer zu einer Verhärtung irisch-republikanischer Positionen geführt. Dazu kommt noch ein ganz praktisches Problem. «Die IRA funktionierte ja nicht wie andere Armeen, die ihr Arsenal an wenigen Stellen lagern», erklärt das ehemalige IRA-Mitglied Tommy McKearney. «Sie hat die Waffen überall versteckt. Der eine Bauer hat zehn Gewehre und fünf Pistolen vergraben, der andere hundert Pfund Sprengstoff gelagert.» Diese SympathisantInnen, so McKearney, hätten ihre Hilfe als ihren Beitrag zum «Kampf gegen die Briten» verstanden – «und viele sind heute einfach nicht bereit, die Waffen den Briten auszuhändigen».

Da Trimbles Rücktritt unausweichlich ist, diskutieren die Parteien bereits die Nachfolge. Derzeit werden vor allem Jeffrey Donaldson (ein Kritiker des Friedensprozesses), Reg Empey (Trimbles rechte Hand) und David Burnside (ein knallharter Thatcherist) als Kandidaten gehandelt. Mittelfristig denkbar ist auch ein Zusammengehen der UUP-Rechten mit der DUP. Als sicher gilt jedoch, dass jeder der drei potenziellen Nachfolger eine Neuverhandlung des Karfreitagsabkommens anstrebt. Dies jedoch dürfte den Friedensprozess, der mit den Geheimgesprächen zwischen den Briten und der Sinn-Féin-Führung Mitte der achtziger Jahre begann, um etliche Jahre verlängern. (pw)