Nordirland: Britanniens Mühe mit der eigenen Brut

Alte Ratte, neuer Hund

31. August 2000 | Seit einiger Zeit befehden sich die protestantischen Loyalisten. Dabei geht es um mehr als nur die Sicherung von Pfünden.

Nordirlandminister Peter Mandelson war wieder sehr zufrieden mit sich. «Die Menschen von Belfast wollen nicht mehr unter der Knute von Gangstern und Strauchdieben leben, die ihre alten paramilitärischen Methoden für eigene Zwecke einsetzen», sagte er und fügte hinzu: «Es ist an der Zeit, dass wir uns den dunklen Seiten der nordirischen Gesellschaft zuwenden.» Was der Minister darunter versteht, hatte er kurz zuvor demonstriert: Er schickte Johnny Adair zurück ins Gefängnis. Adair, der den Beinamen der «Verrückte Hund» trägt, hatte nach seiner Haftentlassung im September letzten Jahres viel Unruhe gestiftet und einen Kleinkrieg zwischen den verschiedenen Organisationen der protestantischen Loyalisten losgetreten.

Es gibt allerdings noch andere «dunkle Seiten». Johnny Adair war Ende der achtziger Jahre in der C-Kompanie der probritischen paramilitärischen Ulster Defence Association (UDA) aktiv. Die C-Kompanie unterschied sich von den anderen Einheiten der loyalistischen Paramilitärs: Während diese willkürlich und unkkordiniert KatholikInnen umbrachten, ging die C-Kompanie gezielt gegen Menschen im unmittelbaren IRA-Umfeld vor.

Die Einheit, das war damals bald klar, wurde gut informiert – von Brian Nelson, den der militärische Geheimdienst in die UDA geschleust hatte und der die Anweisungen seiner Führungsoffiziere weitergab. Als Brian Nelson 1992 aufflog (er wurde vom Geheimdienst an die Polizei verpfiffen), zog die UDA-Spitze die Konsequenzen und feuerte die lokalen Kommandanten der C-Kompanie. In dieses Vakuum rückte Johnny Adair, der schon immer Führer werden wollte.

Endlich Anführer?

In jener Zeit hatten die Briten auch wenig gegen Drogenhandel und Schutzgelderpressung einzuwenden; damit bezahlten die probritischen loyalistischen Paramilitärs ihre Waffen und unterhielten ihre Organisationen (die IRA hingegen finanzierte sich vorzugsweise durch Banküberfälle).

Adair hat also den britischen Diensten einiges zu verdanken – und möglicherweise ist er auch jetzt wieder dankbar. Denn durch die Inhaftierung gilt der Mann, dem zwanzig Morde nachgesagt werden, an der militant-protestantischen Shankill Road in Belfast als Held. Er hat damit gute Voraussetzungen das zu werden, was er immer werden wollte: Unumstrittener Anführer der skeptischen Loyalisten.

Die Fehde der paramilitärischen Organisationen konnte Adairs Inhaftierung allerdings nicht beenden: Am Dienstag verletzten Loyalisten ein junges Mädchen schwer, es wurde von einer Kugel getroffen, die eigentlich ihrem Vater galt.

Lohnt sich Politik?

Rivalitäten gab es schon immer zwischen der UDA und der Ulster Volunteer Force (UVF), der anderen grossen loyalistischen Gruppierung; Anfang der siebziger Jahre starben bei Scharmützeln über zwei Dutzend protestantische Paramilitärs. Die beiden Verbände – sie rekrutieren und organisieren in denselben Vierteln – kamen sich schon bei der Mittelbeschaffung immer wieder in die Quere. Mit dem Waffenstillstand 1994 schien jedoch Frieden einzukehren – beide Gruppen erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass sie ihr politisches Ziel erreicht hätten: Die Union von Nordirland und Britannien sei nicht mehr gefährdet.

Doch ab 1998 verstärkten sich die Spannungen wieder. Die UVF blieb ihrer Einschätzung treu – auch deswegen, weil ihre politischen Führungsfiguren nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommen ins nordirische Parlament gewählt worden waren und dort eine von allen Seiten anerkannte wichtige Rolle spielen.

In der UDA hingegen verlor der politische Flügel an Einfluss. Obwohl die UDA viel grösser ist als die UVF, erzielte sie bei der Regionalwahl 1998 viel weniger Stimmen als ihre Konkurrenz. Immer mehr UDA-Mitglieder kamen zu der Ansicht, dass sich der politische Prozess für sie nicht gelohnt habe.

Neue Allianz

In der UVF war schon 1996 ein Zwist zwischen Befürwortern und Gegnern des Verhandlungsprozesses ausgebrochen. Der loyalistische Hardliner Billy Wright (Beiname: «König Ratte») bildete die Loyalist Volunteer Force (LVF), die sich auch Jahre nach ihrer Gründung mit der UVF streitet. In den letzten Monaten rückten die Skeptiker nun zusammen: Der «Verrückte Hund», der den 1997 ermordeten «König Ratte» stets bewundert hatte, liess seine UDA von der Shankill Road immer häufiger mit der LVF auftreten. Bei einem loyalistischen Festival am vorletzten Wochenende zeigten UDA und LVF gemeinsam Flagge. Diese Provokation liessen UVF-Mitglieder nicht unbeantwortet.

Mandelsons Entscheidung könnte noch böse Folgen haben. Adairs Inhaftierung gilt in der verschrobenen Logik der UDA als Beweis dafür, dass die Briten mit der IRA zusammenarbeiten. Hätten sie sonst den entschiedenen IRA-Gegner Adair ausgeschaltet? Sollte sich diese Sicht durchsetzen, wäre für weitere Unruhe gesorgt. (pw)