Britannien: Zwölf Jahre Greenham Common

«Die haben unseren Dreck weggeräumt»

23. Juni 1994 | Vergangenen Dezember haben die Frauen von Greenham Common ihr letztes Camp vor der ehemaligen US-Raketenbasis aufgelöst. Evelyn Parker erzählt von ihrem langen Widerstand.

Das Tor steht noch, doch vom Zaun um das «Blue Gate», wie es die Frauen nannten, ist nicht mehr viel zu sehen – er liegt in viele kleine Stücke zerlegt auf der Wiese. «Dorthin haben sie uns immer zum Verhör gebracht», sagt Evelyn Parker und zeigt auf die niedrigen Barracken in etwa 400 Meter Entfernung; weiter hinten kann man die Silos erkennen, in denen die US Air Force ihre Marschflugkörper bunkerte und auf denen die Frauen einst tanzten.

Kaum haben wir die so lange umkämpfte ehemalige Luftwaffenbasis Greenham Common betreten, kurvt auch schon ein Wagen der Wachfirma «Securiguard» über das Gelände. Wir hätten hier nichts zu suchen, sagt einer der beiden Uniformierten in scharfem Ton und hält sein Walkie-Talkie so fest umklammert, als wolle er sofort die gesamte Polizei von Berkshire in Alarmbereitschaft versetzen können: «Dies ist Eigentum des Verteidigungsministeriums», herrscht er uns an. «Aber nicht mehr lange», kontert Evelyn Parker. «Doch», sagt er, aber auf die Frage, wer das denn sage, erhält sie keine Antwort. «Ich bin jahrelang hier gewesen», erzählt Evelyn Parker dem Uniformierten. «Oh, im Camp?», fragt der Security-Mann und wird gleich freundlicher. «Ja, aber nicht im Militärcamp, im Friedenscamp. Das ist ja ein entsetzlicher Job, den Sie haben», plaudert sie weiter, «den ganzen Tag Leute verscheuchen, die hier spazieren gehen oder ihren Hund ausführen, das ist doch keine Arbeit.» Der Wachmann ist sichtlich verwirrt. Es sei immer gut, die Initiative zu ergreifen, sagt Evelyn Parker hinterher, auch beim Reden. Auch das habe sie gelernt in den zwölf Jahren.

«Wimmin forever»

Vom Camp der Frauen am «Blue Gate» ist nichts mehr zu sehen; ein paar bemalte Betonquader und verbrannter Boden um die ehemalige Feuerstelle sind die einzigen Spuren des Lagers vor dem Tor. Und der Spruch an der Wand eines Wachhäuschens: «Wimmin forever». Wimmin? Eigentlich eine sprachliche Spielerei, erläutert sie, aber durchaus ernst gemeint: «women» sei schliesslich nur die Erweiterung des Wortes «men». Und als Erweiterung der Männer wollten die Frauen, die da bis Dezember 1993 aushielten, sich dann doch nicht verstanden wissen.

Evelyn Parker hat den Widerstand der Frauen von Greenham Common von Anfang bis zum Schluss mitgetragen. Sie lebt als Gemüsebäuerin auf einem einsamen Hof im Wald bei Newbury, fünf Kilometer vom Blue Gate entfernt. Zu ihr kamen die Frauen für ein Bad oder wenn sie sich ausruhen wollten, und hier stärkten sich auch die Demonstrantinnen und Demonstranten, die Anfang der 80er Jahre nach Greenham Common marschiert waren.

1979 hatte die britische Labour-Regierung die Stationierung der US-amerikanischen Mittelstreckenraketen vom Typ Cruise Missile in Greenham Common angekündigt. Evelyn Parker engagierte sich daraufhin in einer kleinen Gruppe, die die Bevölkerung der konservativen Stadt Newbury über die Gefahren der Atomwaffen informierte. «Und dann kam diese Gruppe aus Wales hier an. Wir versorgten sie mit dem Üblichen: gebackene Kartoffeln und Salat. Und plötzlich hiess es, die Frauen hätten sich am Zaun angekettet und wollten Schlafsäcke und Zelte.» Sie selber, sagt Evelyn Parker, habe damit nichts zu tun haben wollen: «Ich dachte, die würden sofort verhaftet.» Also brachte sie ein paar Ausrüstungsstücke hinaus und ging sofort wieder heim. «Aber nichts geschah, und so richteten sie ihr Camp ein.» Das war im Jahr 1981.

Neue Wege, um alte Probleme zu lösen

Es dauerte eine Weile, bis Evelyn Parker ihre Angst überwunden hatte. Ihre Eltern waren Deutsche, der Vater Halbjude und deswegen Mitte der 30er Jahre nach Italien geflüchtet, wo Evelyn geboren wurde. Als sich auch dort die Verhältnisse verschlimmerten, entkam die Familie 1938 über den Lago Maggiore in die Schweiz, lebte zwei Jahre in Zürich, reiste von hier weiter nach England, um nach Australien zu emigrieren. In Britannien aber wurde der Vater fast drei Jahre lang interniert: Er hatte einen deutschen Pass und galt damit als «alien», als Fremder. Also blieb die Familie dort. Evelyn Parker heiratete einen Bauunternehmer, dem sie die Finanzen ordnet, zog zwei Söhne und eine Tochter gross, begann mit dem biologischen Anbau von Gemüse und engagierte sich in der örtlichen Quäker-Gemeinde. Sie führte sie ein eher beschauliches Leben – bis sie selber über Zäune zu klettern begann.

Ganz zu Anfang gab es auch Männer im Camp von Greenham Common, aber das änderte sich bald. Nicht nur, dass sie sich von den Frauen bedienen liessen, sie gebärdeten sich auch gegenüber der Polizei recht feindselig. Es kam häufiger zu Konfrontationen, als den Frauen lieb war, und so warfen diese die Männer nach einem halben Jahr aus dem Lager.

Von da an wurde Greenham Common «ein Ort, an dem Frauen die Dinge auf ihre Art erledigen konnten – sie fanden neue Wege, um alte Probleme zu lösen», sagt Evelyn Parker. Bis dahin sei immer darüber diskutiert worden, ob die damals von Labour propagierte einseitige oder die bilaterale Abrüstung die richtige Strategie sei. «Die Frauen aber sagten: ‹So ein Quatsch, hier geht es um die Zukunft der Welt, da interessiert uns keine linke Politik, keine rechte Politik, überhaupt keine Politik. Uns interessiert das Leben.› Sie begannen sehr mutige Dinge zu tun: Sie durchschnitten den Zaun, liefen auf das Gelände, setzen sich mit den Soldaten auseinander und mit den Polizisten, gewaltlos natürlich.»

Ihr Beispiel ermutigte Evelyn Parker. Also wurde auch sie bald festgenommen, weil sie durch den Zaun schlüpfte, Farbbeutel auf die Raketenwerfer schleuderte, sich auf die Strasse legte, an Militärfahrzeugen hochkletterte. Sie wurde von Polizisten verprügelt, umhergestossen, «das Übliche halt».

Zwei, drei, viele Camps

Die Bewegung wuchs. Aus dem einen Camp wurden erst zwei, dann drei. «Wenn die Gruppe zu gross wurde, um bequem rund um ein Feuer zu sitzen, wurde ein neues Camp gegründet – einfach so, ohne Debatte, ohne Differenzen. Wir benannten die Camps nach den Farben des Regenbogens.» Einmal war Greenham Common von zwölf Frauencamps umzingelt. Eine langfristige Planung gab es nicht, alles war spontan und völlig freiwillig: «Was nur aus Pflichtgefühl getan wird, schadet der Bewegung. Wir taten nur, was wir wollten. Das ist mit ein Grund, weshalb wir so lange durchhielten.»

1982 kam es zur ersten Grossdemonstration der Frauen. Kaum jemand hatte erwartet, dass genügend Frauen kämen, um eine lückenlose Menschenkette rund um den fast 15 Kilometer langen Zaun zustande zu kriegen – «wir veröffentlichten nämlich keinen einzigen Aufruf, verteilten kein Flugblatt, beschrieben kein einziges Stück Papier: Es war Mund-zu-Mund-Propaganda von Frau zu Frau.»

Doch dann kamen so viele, dass die Frauen schliesslich in Dreierreihen um Greenham Common standen. Die Unterstützung war enorm – an den Wochenenden kamen Frauen aus ganz Britannien angereist, Hunderte, Tausende besuchten die Camps. Und das Telefon von Evelyn Parker war die Schaltstelle zwischen den Frauen in den Lagern und der Aussenwelt.

Dann folgte ein Einbruch: Im Juni 1983 wurde Margaret Thatcher wiedergewähIt, die Stimmung war gedrückt, denn mit diesem Wahlergebnis war klar, dass die Cruise Missiles stationiert würden. «Zu diesem Zeitpunkt verbreiteten die Amerikaner allerlei eklige Gerüchte über uns und verboten den Soldaten sogar, mit uns Augenkontakt aufzunehmen. Und die Regierung versuchte uns mit allen Mitteln loszuwerden.»

Der Gerichtsvollzieher kommt sechs Mal am Tag

Schon zu Beginn hatte der Bezirksrat von Newbury die Frauen immer wieder vertreiben und die Caravans abschleppen lassen; Gerichtsvollzieher kamen und forderten die Frauen auf, den Ort zu verlassen. Mehr konnten sie freilich nicht tun: Die Camps waren juristisch mit Hausbesetzungen vergleichbar, und Hausbesetzungen sind in Britannien legal, jedenfalls bis heute.

Nach den ersten Räumungsaufforderungen lebten die Frauen sehr provisorisch – sie wohnten unter Plastikplanen oder in kleinen Zelten, die sie schnell abbauen und wegtragen konnten, sobald die Gerichtsvollzieher erschienen. Danach bauten sie alles wieder auf. 1983 verschärfte der Bezirksrat von Newbury die Räumungsstrategie: Die Gerichtsvollzieher kamen nicht nur alle paar Tage mal vorbei, sondern bis zu sechs Mal am Tag. «Das war sehr sehr hart. Aber für die Gegenseite war das genauso hart.» (Siehe dazu die aufschlussreichen Videos auf der Webseite des britischen Guardian.)

Mit der Zeit gelang es den Frauen, die Gerichtsvollzieher zu «zähmen», wie Evelyn Parker es nennt. Diese waren ja darauf abgerichtet, in den Personen, gegen die sie vorzugehen hatten, unter keinen Umständen menschliche Lebewesen zu sehen. Die Frauen aber sprachen sie an, redeten und scherzten mit ihnen, und in den letzten Jahren – bis 1992 gingen die Staatsangestellten ihrer Aufgabe nach – «haben die nur noch den Dreck der Frauen weggeräumt. Ist das nicht wunderbar?»

Olga und Natascha

Im November 1983 wurden die ersten Cruise Missiles eingeflogen. Kurz zuvor kam der damalige britische Verteidigungsminister Michael Heseltine auf die glänzende Idee, die Greenham-Common-Frauen als Agentinnen der Sowjets zu bezeichnen. «Wann immer eine von uns vor Gericht stand und der Richter sie nach dem Namen fragte, nannte sie sich Olga oder Natascha Soundso», erinnert sich Evelyn Parker, «was haben wir gelacht.

In Newbury hatte sich derweil eine Gruppe etabliert, die die Bevölkerung gegen die Frauen aufzuhetzen versuchte. Die Frauen fanden bald heraus, dass sie von der rechten und regierungsnahen US-Stiftung «Heritage Foundation» finanziert war. Grosse Erfolge konnte die Gruppe aber nicht verbuchen: «Ihre Propaganda war zu faschistisch, die Bevölkerung von Newbury fürchtete sich vor ihr genauso wie vor uns. Über uns waren die Leute ja schockiert, weil wir zu einig, zu stark, zu unabhängig, zu selbstbewusst, zu autonom waren.»

Als im März 1984 dann die ersten Raketen-Konvois die US-Basis Greenham Common zu Übungszwecken verliessen, begann für die Frauen ein neues Kapitel ihres Widerstands.

Konvoi-Blockaden

Das System basierte auf der Überlegung, die Marschflugkörper in Greenham Common zu stationieren, die Raketen in Krisenzeiten aber in der Region zu verstecken. Auf diese Weise, so dachten die Militärs, seien ihre Raketen unsichtbar. Dieses Argument wurde den BewohnerInnen der Gegend ausführlich vorgetragen: Sie brauchten sich keine Sorgen machen, hiess es immer wieder von Regierungsseite, im Krisenfall seien sie durch einen feindlichen Gegenschlag nicht mehr bedroht als die restliche Bevölkerung Südenglands.

Das System, das sich die Militärs ausgedacht hatten, hatte einen einfachen, aber folgenreichen Schwachpunkt. Sie bewegten die Raketen, um diese vor feindlicher Satelliten-Spionage zu schützen, bedachten jedoch nicht, dass jemand ihr System am Boden sabotieren könnte. «Wir konnten es erst gar nicht glauben, dass sie das übersehen hatten», erzählt Evelyn Parker. «Deswegen dachten wir anfangs, dass die Cruise Missiles gar nicht hier, sondern vielleicht in Wales stationiert waren. Aber sie waren hier, kamen per Flugzeug aus den USA an und wurden in die Silos verfrachtet. Und wir machten sie in aller Welt lächerlich.»

Der erste Konvoi, der Greenharn Common zur Manöverfahrt verliess, entkam den Frauen noch, aber schon den zweiten konnten sie mit Hilfe eines ausgefeilten Informationsnetzes orten: Er wurde weiter westlich in der Nähe der Stadt Swindon gesehen, und als er zurückkam, «standen wir mit unseren Plakaten am Ortseingang von Newbury. Auch die Polizei war da, die hatten Angst, dass wir uns vor den Konvoi werfen.

Als er kam, sangen wir alle: «You have been to Swindon! You have been to Swindon!» Die entgeisterten Gesichter der Polizisten hättest du sehen müssen. Die waren völlig fassungslos, dass wir das wussten.»

Funkgeräte statt Telefon

Aus dieser Aktion entstand «Cruise-Watch». Nicht alle Greenham-Common-Frauen nahmen daran teil, viele wollten nichts von einer Bewegung wissen, an der sich auch Männer beteiligten. Wie wirksam diese Beobachtung der Konvois war, zeigte schon die Vorgehensweise des Verteidigungsministeriums: Das Telefon von Evelyn Parker wurde abgehört, Polizisten hinderten Frauen am Betreten der Telefonzellen, schliesslich baute die britische Post gar die Telefonzellen um die Militärbasis ab. Als sich die Frauen dann Funkgeräte beschafften und in Autos montierten, schnitten Polizisten die Antennen ab oder klauten die Wagenschlüssel.

Jede Nacht seien sie Wache gestanden, bis sie den Übungsrhythmus durchschaut hätten, sagt Evelyn Parker; danach wussten sie meist, wann ein Konvoi Greenham Common für eine Trainingsfahrt verlassen würde. «Dann wurde die Telefonkette in Gang gesetzt und überall, wo immer sie auch hinfuhren, warteten Leute mit Transparenten und Farbbeuteln.» Sie selber, sagt Evelyn Parker, habe ihre Freude an verdorbenen Eiern gehabt: «Wann immer die Greenham Common verliessen, stand ich mit meinen Eiern da. Da ich Hühner halte, habe ich immer viele Eier».

Einmal organisierten die Aktivistinnen von «Cruise Watch» einen grossen Hinterhalt. «Wir wussten, dass sie kommen würden, wir wussten, an welchem Kreisverkehr sie ihre Geschwindigkeit reduzieren müssen, und so stellten wir ein Auto mit Anhänger quer über die Strasse. Der Konvoi hielt an, einige von uns kletterten auf die Raketenwerfer und schnitten Kabel und Bremsleitungen durch. Damit waren sie bewegungsunfähig.»

Diese Aktion machte Schlagzeilen. «Da, glaube ich, dämmerte ihnen, dass sie das Spiel verloren hatten.»

Das Camp von Aldermaston

1987 unterzeichneten die US-amerikanische und die sowjetische Regierung schliesslich den INF-Vertrag über die Reduzierung der Mittelstreckenraketen, 1990 wurden die ersten Cruise Missiles abgezogen und 1992 verliessen die US-Truppen ihre Militärbasis Greenham Common.

Mit der Aufgabe von Greenham Common war der Kampf aber nicht vorbei. Die USA zogen zwar ihre Mittelstreckenraketen ab, zuvor hatte aber die britische Regierung die Aufrüstung der eigenen Atommacht beschlossen: Die Polaris-U-Boote sollten durch vier deutlich leistungsfähigere Trident-U-Boote ersetzt werden. Diese U-Boote sind in Schottland stationiert, die Atomköpfe werden jedoch in Südengland gefertigt. Die tödlichen Teile werden in der Atomfabrik von Aldermaston (13 Kilometer östlich von Greenham Common) hergestellt und in Burghfield (fünf Kilometer südöstlich von Aldermaston) montiert.

Ein dauerhaftes Camp vor Aldermaston einzurichten, kam für keine der Frauen in Frage: «Wir waren einfach nicht dazu bereit, in unmittelbarer Nähe eines Orts zu leben, an dem Plutonium hergestellt wird. Dort ist die Situation einfach schrecklich, die haben nicht einmal Entsorgungspläne für ihren Atommüll, also liegt alles noch dort.»

Einmal im Monat jedoch treffen sich Frauen vor Aldermaston, ein anderes Wochenende in Burghfield. Und «Nuke Watch» beobachtet (ähnlich wie zuvor «Cruise Watch») den Transport der Sprengköpfe von England nach Schottland. Aber die Frauen sind vorsichtig.

Anders als die Greenham-Common-Rampen, die nur Attrappen mit sich führten, werden jetzt richtige Sprengköpfe durch das Land gefahren. «Nuke Watch» kümmert sich daher hauptsächlich um die Verbreitung von Informationen.

«Wir alarmieren die Gemeinden und Grafschaften, durch die die Transporte kommen, denn das Verteidigungsministerium erzählt denen ja nichts», sagt Evelyn Parker. «Es informiert weder die Polizei noch die für Katastrophenfälle zuständigen Stellen, es schweigt sich aus. Die Öffentlichkeit findet diese Transporte gefährlich, also erzählt man ihr lieber nichts davon».

Mit einem Knäuel Wolle

Störanfallig sind diese Konvois freilich genauso. Evelyn Parker macht sich einen Spass daraus, ab und zu an den zwei Ampeln ausserhalb von Burghfield zu warten, an denen die Konvois anhalten müssen. «Wenn ich Glück habe und einen Trident-Konvoi entdecke, der gerade steht, nehme ich die Wolle, die wir alle immer dabei haben, klettere am Fahrerhaus hoch und versuche, mit dem Faden möglichst schnell ein Netz zu spinnen. Wenn noch andere dabei sind, macht es natürlich mehr Spass. Die Fahrer bleiben dann drin sitzen und rufen per Funk die Polizei.» Die komme dann zwar angerauscht, unternehme aber meistens nichts, jedenfalls sei schon lange niemand mehr deswegen verhaftet worden: Festnahme wegen Umgarnens eines Atomsprengkopfes – das tönt dann wohl doch zu lächerlich.

Um Greenham Common ist es derweil still geworden, doch die Frauen bereiten der Regierung noch im Nachhinein Ärger. Das Verteidigungsministerium, das das Gelände 1951 noch unter den Ausnahmegesetzen des Zweiten Weltkriegs erworben und der US Air Force zur Verfügung gestellt hatte, würde das riesige Areal gern verkaufen. Im Verlauf der Auseinandersetzungen um den Raketenstützpunkt jedoch hatten die Greenham-Common-Frauen Erstaunliches zu Tage gefördert. Als zwei Frauen wegen unbefugten Betretens. des Geländes angeklagt wurden, machten diese geltend, dass Greenham Common sogenanntes «common land» sei und das Gericht bestätigte in seinem Freispruch diesen Tatbestand.

«Common land» ist ein Relikt aus feudaler Zeit: Grossgrundbesitzer überliessen damals die eher unwirtlichen Teile ihres Landes den Anrainern als Weideland. Noch heute haben 36 «commoners» ein Nutzungsrecht an Greenharn Common, ihnen müsste der Zugang jederzeit gestattet sein. Die Regierung handelte mit der Errichtung des Zauns, der Landebahn und der Militärgebäude also illegal.

«Sie hätten das schon längst sehen müssen, erst wir haben sie darauf gestossen. Aber darum geschert haben sie sich dann auch nicht», sagt Evelyn Parker, «wie immer». Erst jetzt, da die Regierung das Areal verkaufen will, hat sie den «Commoners» eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet 5400 Franken angeboten, falls sie auf ihr Nutzungsrecht verzichten. Zwei wollen aber ihr Recht partout nicht veräussern, und die Regierung hat keine Möglichkeit, sie zu zwingen. Und wer will schon ein Terrain erwerben, auf das auch andere ein Anrecht haben? Hier geschieht jedenfalls so schnell nichts.

Greenham Common ist überall

Tausende waren in die Camps von Greenham Common gepilgert, hatten dort das Wochenende oder ihre ganzen Ferien verbracht. «Es ging bei Greenham Common nicht nur um die Raketen, alles ist doch miteinander verbunden. Wir Frauen sehen im Unterschied zu den Männern die Welt nicht als Ansammlung voneinander abgeschotteter Einzelbereiche», sagt Evelyn Parker, die sich seit einiger Zeit in einem Dritt-Welt-Laden für fairen Handel engagiert.

Diese Welt sei schon viel zu lange auf der Basis männlicher Werte regiert und verwaltet worden: «Die Werte der Frauen sind völlig verschwunden.» Und so waren Greenham-Common-Frauen während des Bergarbeiterstreiks 1984-85 aktiv, sie unterstützten die Anti-AKW-Arbeit (noch heute gibt es ein Frauencamp bei der britischen Wiederaufbereitungsanlage und Plutonium-Fabrik Sellafield) und engagierten sich in der Frauenkampagne zur Erhaltung der Kohlezechen 1992.

Überall, wo heute gegen die Zerstörung der Umwelt und des sozialen Gefüges der Gesellschaft protestiert wird, sind Frauen dabei, die auch in Greenham Common waren. Die Solidarität untereinander hörte mit dem Ende der Aktionen vor Greenharn Common nicht auf. Das Gemeinschaftsgefühl war es, das einige Frauen dazu bewog, das Camp bis Dezember 1994 aufrechtzuerhalten, als die Cruise Missiles längst abgezogen waren. Noch immer kamen viele, besonders an den Wochenenden, und diesen Kontakt wollten sie nicht abreissen lassen. Und so treffen sic sich noch heute gelegentlich: Zur Sommersonnenwende zum Beispiel oder in den Wochenendcamps vor AIdermaston oder Burghfield. (pw)


Dieser Text erschien im Juli 1994 in der Schweizer Friedenszeitung FriZ.