Britannien: Privatisierung um jeden Preis

Verhökern mit Verlust

15. Oktober 2014 | Um ein paar Millionen Pfund locker zu machen, privatisiert die Regierung selbst profitable Staatsbetriebe.

Mit Sachverstand, Finanzen und realer Ökonomie standen die britischen Tories schon immer auf Kriegsfuss. Anders ist kaum zu erklären, weshalb Schatzkanzler George Osborne – nach dem Desaster bei der Privatisierung von Royal Mail vor einem Jahr – nun erneut einen profitablen Staatsbetrieb verhökern will. Noch vor der Unterhauswahl im Mai 2015 soll der britische Anteil an Eurostar verkauft werden, verkündete er am Montag. Eurostar betreibt die Bahnstrecke unter dem Ärmelkanal, die London mit französischen und belgischen Städten verbindet; 55 Prozent der Anteile hält die französische Staatsbahn SNCF, 5 Prozent gehören der – ebenfalls staatlichen – belgischen SNCB. Den Rest kontrolliert (noch) das Londoner Finanzministerium.

Abgesehen vom volkswirtschaftlichen Unfug, Anteile an einem zunehmend rentablen Unternehmen auf den Markt zu werfen (der Profit von Eurostar stieg im letzten Jahr auf rund 24 Millionen Euro), riskiert die britische Regierung mit der raschen Privatisierung – Osborne lässt sich dabei von der Schweizer Bank UBS beraten – ein ähnliches Debakel wie beim Verkauf von Royal Mail, der britischen Post. Weil übereilt und ohne Kenntnis der Marktsituation im Oktober 2013 durchgezogen, kostete er die SteuerzahlerInnen rund zwei Milliarden Euro: Die Aktien waren viel zu billig angeboten worden. Kurz nach ihrer Emission schnellte der Kurs in die Höhe.

Es geht den Tories also nicht ums Geld, es geht ihnen ums Prinzip. Anders ist auch nicht zu erklären, weshalb die konservativ-liberale Regierung bis Februar 2015 die rentable East-Coast-Railway reprivatisieren will. 2009 übernahm ein staatliches Non-profit-Unternehmen den Betrieb der wichtigen Bahnstrecke zwischen London und Edinburgh entlang der Ostküste, weil die zuvor zuständige Privatfirma kollabiert war. Danach verbesserte sich der Service, die Fahrpreiserhöhungen blieben einigermassen stabil und der Schatzkanzler bekam regelmässig dreistellige Millionenbeträge überwiesen. Die Bahn war populär, und es fehlte auch nicht an Ideen, wie der Betrieb weiterhin zum Nutzen der Fahrgäste und des Gemeinwohls aufrecht erhalten könne. Doch die Regierung lehnte alle Vorstösse rundweg ab.

Es sind jedoch nicht nur die Tories, die dem Markt um jeden Preis huldigen. Vergangene Woche gab die schottische Regierung bekannt, dass künftig die Tochterfirma Abellio der niederländischen Staatsbahn den Bahnverkehr von Scotrail in Schottland übernehmen wird – und zwar für zehn Jahre: Eine beachtliche Kehrtwende der in Schottland regierenden Scottish National Party (SNP). Selbst der frühere Labour-Premierminister Gordon Brown hatte den SchottInnen vor dem Unabhängigkeitsreferendum im September die Möglichkeit in Aussicht gestellt, künftig selber und basisdemokratisch darüber entscheiden zu können, ob der schottische Schienenverkehr privat bleibt – oder wieder in die öffentliche Hand genommen wird. Dass SNP-Verkehrsminister Keith Brown die Ausschreibung und den Vergabeprozess nicht stoppte, hat nicht nur bei der Eisenbahngewerkschaft RMT für Protest gesorgt. Auch andere Trade Unions, die schottischen Grünen – und selbst Teile der Labour-Partei – kritisierten den Schritt in harschen Worten. Die breite progressiv-gesellschaftliche Allianz, die im Referendumswahlkampf entstanden war, zerfällt allmählich – auch weil die SNP jetzt wieder von den Linken seit langem gehegte Vorbehalte bestätigt: Ganz so fortschrittlich, wie sich die NationalistInnen im Abstimmungskampf gaben, sind sie nicht. (pw)