Britannien: Medien und Macht

Das späte Aufbegehren der Elite

2. August 2011 | Noch vor kurzem wäre eine Rebellion führender britischer Politiker gegen den Medienzar Rupert Murdoch undenkbar gewesen. Heute fallen alle über ihn her.

Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet Rupert Murdoch stürzt David Cameron in die schwerste Regierungskrise seit dessen Amtsantritt, das ist schon einen Lacher wert. Denn mindestens 24 Mal seit dem Regierungswechsel im Mai 2010 war der Premierminister bei den ManagerInnen von Murdochs britischer Firma News International vorstellig geworden, um sich politisch-publizistische Rückendeckung zu holen, und auch Schatzkanzler George Osborne hatte über ein Dutzend Mal seine Aufwartung gemacht – rein privat natürlich. Und um ein paar Probleme zu besprechen wie die geplante Übernahme des mächtigen Fernsehsenders BSkyB. Man kannte sich, man mochte sich, eine Hand wäscht die andere. Was ist da schon dabei? So dachten auch viele führende Mitglieder der Labour Partei.

Und dann der Paukenschlag, ausgelöst von den Recherchen der linksliberalen Tageszeitung «Guardian», die herausfand, dass Privatspitzel des rassistischen Revolverblatts «News of the World» (NoW) nicht nur die Handys von Prominenten angezapft hatten (was man seit Jahren weiss). Sondern sich auch in die Mailbox einer ermordeten Schülerin gehackt und auf illegale Weise den Angehörigen gefallener Soldaten nachspioniert hatten. Plötzlich wurde alles publik: Dass Scotland Yard die Ermittlungen in dem Abhörskandal hintertrieb, weil Polizisten die Hand aufgehalten hatten. Dass Beamte den Law-and-Order-Blättern von News International hochvertrauliche Informationen zuspielten. Dass Murdochs Journalisten problemlos in den Polizeidienst wechseln konnten – oder, wie ein früherer NoW-Chefredaktor, direkt ins Zentrum der politischen Macht aufrückten. Andy Coulson war lange Zeit Camerons wichtigster Berater und Pressesprecher. Der Rest ist bekannt: Murdoch entschuldigte sich, Cameron gelobte Besserung, es rollten ein paar Köpfe.

Weitaus weniger ins öffentliche Bewusstsein geraten sind freilich die politischen Verheerungen, die diese enge Verstricktheit von reaktionärer Medienmacht, willfähriger Politik und korruptem Staatsapparat in den letzten Jahrzehnten angerichtet hat: Murdoch hat ja nicht nur das Wachstum seines Imperiums im Auge. Er verfolgt auch konkrete politische Ziele. Kaum hatte er in den achtziger Jahren die einflussreichen britischen Zeitungen NoW, «Sun», «Times» und «Sunday Times» übernommen, formte er aus ihnen eine publizistische Artillerie, die auf alles schoss, was dem neoliberalen Regime von Margaret Thatcher hätte gefährlich werden können. Er feuerte 1986 rund 5000 Drucker und Schriftsetzerinnen, vernichtete in einer einjährigen Zermürbungsschlacht deren Gewerkschaft (noch heute akzeptiert News International keine unabhängige Belegschaftsvertretung) und trieb auch Thatchers Nachfolger zu weiteren Deregulierungen und Privatisierungen an. Er versprach Tony Blair propagandistische Schützenhilfe für dessen Projekt eines neoliberalen Umbaus der Labour Party, zitierte den damals noch jungen Parteichef 1995 an eine internationale Management-Konferenz seines weltweiten Konzerns und gab ihm dort den Tarif durch.

Elf Jahre später, 2006, referierte Blair erneut vor einer hochkarätig besetzten Versammlung des Murdoch-Vorstands und bedankte sich. Der langjährige Premier ist heute noch davon überzeugt, dass Murdochs Schwenk weg von den Tories und hin zu seiner reformierten Partei Labours Wahlsieg 1997 erst ermöglicht hat. Das ist natürlich Unsinn: Damals, nach achtzehn Jahren Thatcherismus, hätten die BritInnen auch für eine weitaus progressivere Labourpolitik gestimmt. Und doch prägte diese Unterwürfigkeit des politischen Personals bis heute die politischen Entscheidungen in Britannien: Der Irakkrieg, die Steuergesetzgebung, der Fortbestand der antigewerkschaftlichen Gesetzgebung, die Wegsperrpolitik (nirgendwo in Europa gibt es so viele Inhaftierte), die Privatisierungen, die permanente Ablehnung eines sozial orientierten Europas – all das passte und passt immer noch haargenau in Murdochs politisches Programm.

Dass sich PolitikerInnen mächtigen VerlegerInnen andienen, ist nicht neu – im Falle Murdoch kam allerdings oft auch eine besonders harsche Variante der politischen Kontrolle ins Spiel. Als beispielsweise ein Unterhausausschuss 2009 die Abhörpraktiken von NoW thematisieren wollte, trudelten die Drohungen gleich bündelweise ein: Man werde kompromittierende Details aus dem Privatleben der Komiteemitglieder veröffentlichen – egal, ob real oder schlichtweg erfunden wie seinerzeit, als Murdochs «Sunday Times» den damaligen linken Labour-Vorsitzenden Michael Foot zu erledigen versuchte. «KGB: Foot war unser Agent», lautete die wahrheitswidrige Schlagzeile. Die Abgeordneten stellten schleunigst ihre Nachforschungen ein.

Und das war nicht das erste Mal. Solche Erpressungen funktionieren wahrscheinlich nicht mehr, weil alle, die einen Ruf zu verlieren haben, künftig einen grossen Bogen um Murdochs Blätter machen müssen – nachdem das Schweigen gebrochen ist. Auf eine umfassende Aufklärung wird die Öffentlichkeit jedoch lange warten: Die von Premier Cameron eingesetzte Untersuchungskommission veröffentlicht ihren Bericht wohl erst nach der nächsten Unterhauswahl. Und zu den politischen Folgen von Murdochs Machenschaften wird sie sich kaum äussern – der Ausschussvorsitzende Brian Leveson war ebenfalls schon mal Gast bei den Murdochs. (pw)