Britannien: Misshandlungen im Irak

Sorry, wir verhören bloss

13. Mai 2004 | Öffentliche Entschuldigungen sind Premier Tony Blair nie schwer gefallen. Aber ob es diesmal damit getan ist?

Wieder einmal stand Geoff Hoon vor dem Unterhaus, wieder einmal wusch er vor allem sich selber rein, und wieder einmal glaubten ihm viele kein einziges Wort. Eigentlich sei alles bestens, sagte der britische Verteidigungsminister den Abgeordneten am Montag, die Regierung habe die Dinge im Griff, und dass er den Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK über Folter und Misshandlungen im Irak erst letzte Woche auf den Schreibtisch bekommen habe, zeige nur die Effizienz seiner Mitarbeiter. Die nämlich seien den Anschuldigungen schon frühzeitig nachgegangen.

Gewiss, räumte Hoon ein, ein paar unschöne Sachen seien schon passiert (der Tod des irakischen Häftlings Baha Mousa in britischem Gewahrsam, der Einsatz von Kapuzen und die ungerechtfertigte Beschlagnahme eines Autos), aber in allen Fällen habe es sich um «ungenehmigte Aktionen von ein paar wenigen» gehandelt.

Hoons Rechtfertigungsversuch erschütterte sogar die grössten KriegsbefürworterInnen in der Labour-Fraktion. Waren nicht schon vor zwölf Monaten erste Fotos von der Misshandlung irakischer Gefangener durch britische Soldaten aufgetaucht? Wurde der IKRK-Bericht nicht schon im Februar den Briten übergeben? Hatte nicht Hoons Stellvertreter Adam Ingram vor kurzem noch behauptet, keinen Bericht entgegengenommen zu haben? Und geht jetzt das gleiche Spiel von vorne los – wie im vergangenen Sommer, als die Regierung im Ruch stand, ihr Dossier über irakische Waffen aufgebauscht zu haben. Auch damals gab die Regierung immer nur so viel zu, wie ihr gerade nachgewiesen werden – und hatte am Schluss jedes Vertrauen verspielt. Da nutzte auch der Untersuchungsbericht von Lordrichter Brian Hutton wenig, der das Labour-Kabinett weisswusch und Hoon, der damals schon in Bedrängnis war, aus der Patsche half.

Diesmal könnte es für Hoon allerdings eng werden. Denn kaum hatte der Verteidigungsminister zu Ende geredet, wurde in London ein Untersuchungsbericht von Amnesty International (AI) publik. Laut AI haben britische Truppen im Irak weitaus mehr Kriegsverbrechen begangen, als die Regierung bisher zugab. Der Bericht dokumentiert ausführlich den Tod von acht Menschen (darunter ein achtjähriges Mädchen), die von britischen Soldaten im Südirak erschossen wurden; zahlreiche weitere Fälle, in denen Zivilpersonen durch britische Truppen getötet wurden, seien – so der Bericht – nicht untersucht worden.

Angesichts dieser neuen Erkenntnisse lief Hoons Entlastungsoffensive glatt ins Leere. Die Bilder, die das linksliberale Boulevardblatt «Daily Mirror» vorletztes Wochenende publizierte, seien eine Fälschung, sagte er. Die Fotos – sie sollen britische Soldaten bei der Misshandlung von Gefangenen zeigen – weisen in der Tat einige Ungereimtheiten auf: Die Schwarzweissaufnahmen sind gestochen scharf, die Szenen wirken gestellt, mehrere Details stimmen nicht. Insgesamt sind sie weit weniger glaubhaft als die Zeugenaussagen von britischen Soldaten, die der kriegskritische «Mirror» ebenfalls abdruckte. Doch die Fotos spielen – anders als in den USA – in Britannien keine grosse Rolle. Mittlerweile sind die meisten BritInnen davon überzeugt, dass es nicht nur vereinzelt zu Übergriffen kam.

Das gilt ganz besonders für Nordirland. Dort schüttelten viele nur den Kopf, als sie das Statement des britischen Generals Michael Jackson hörten: Die «Disziplinlosigkeit» einiger weniger habe «zehntausende in Verruf gebracht, die unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen ihren Dienst auf lobenswerte Weise versehen». Dort weiss man noch gut, wozu disziplinierte Truppen angehalten werden: Sie schlagen Verhaftete, verbinden ihnen die Augen, werfen sie aus (tief fliegenden) Hubschraubern, schiessen auf Demonstranten, töten Verdächtige. Misshandlungen gehören zum Job, gezielte Folter steht in jedem Handbuch über Verhörtechniken. Kein westeuropäisches Land wurde in den letzten fünfzig Jahren so oft vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wie Britannien.

Inzwischen haben viele BritInnen genug. Laut einer Umfrage der Tageszeitung «Independent» befürwortet mittlerweile eine Mehrheit den Abzug der Truppen aus dem Irak. Eine Befragung im Auftrag der «Times» ergab, dass Labour so unpopulär ist wie seit siebzehn Jahren nicht mehr. Und Premierminister Tony Blair denkt, so ein Artikel im «Guardian» vom Dienstag, erstmals sogar öffentlich an einen Rücktritt: Wenn er der Partei zur Last falle, werde er sein Amt zur Verfügung stellen. (pw)