Britannien: Die Feuerwehr gegen Blairs Modernisierung

Eine Brandmauer für den Service public

6. Februar 2003 | Seit Monaten kämpfen die britischen Feuerwehrleute für höheren Lohn. Jetzt will die Regierung – wie einst Margaret Thatcher – die stärkste Gewerkschaft in die Knie zwingen.


Montagmorgen, Punkt 9 Uhr. Rund 800 «Grüne Göttinnen» tuckern zurück ins Depot, und 19 000 Soldaten wenden sich wieder ihrer hauptamtlichen Tätigkeit zu: Übungen an der Waffe, Konditionstraining, Vorbereitung auf den Wüstenkampf, Planspiele für den Sturm auf Bagdad - was man derzeit halt so tut als Angehöriger der britischen Armee.

48 Stunden lang hatten aber die Soldaten einen ganz anderen Dienst verrichten müssen. Wann immer in ihren Kasernen die Alarmglocken schrillten, kletterten sechs Uniformierte auf die Holzbank einer «Green Goddess» – so nennt man hier das älteste Feuerwehrauto der westlichen Welt. Einer klemmte sich hinters Lenkrad, sein Nebenmann schlug den Stadtplan auf – und los gings, sofern der Motor ansprang: Feueralarm! Dann heulten die «Göttinnen» (sie waren 1953 gebaut und so robust konzipiert worden, dass im Falle eines Atomkrieges auch Ungeübte mit ihnen umgehen konnten) mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu fünfzig Stundenkilometern durch die Strassen.

Und alle hofften, dass das Feuer, zu dem sie da gerufen wurden, die oberen Stockwerke noch nicht erfasst hatte. Denn die «Göttinnen» verfügen über nur eine, gerade zehn Meter lange Leiter. Seit Montagmorgen aber sind die rund 40.000 professionellen Feuerwehrleute wieder im Einsatz.

Der fünfte Ausstand

Der 48-Stunden-Streik am vergangenen Wochenende war der fünfte Ausstand der britischen Fire Brigades Union (FBU) seit Mitte November, und er wird wohl nicht der letzte gewesen sein. Denn die Positionen liegen weit auseinander. Hier die Gewerkschaft der Feuerwehrleute, die seit Ende Mai 2002 eine Lohnerhöhung von vierzig Prozent fordert; dort eine Labour-Regierung, die nicht nur eine substanzielle Lohnerhöhung verhindern, sondern die kampfstarke FBU auf Dauer schwächen will. Der Konflikt trägt längst Züge der grossen Auseinandersetzung zwischen der früheren konservativen Regierung und den Bergarbeitern in den Jahren 1984 und 1985.

Damals zerschlug Tony Blairs Vorgängerin (und Vorbild) Margaret Thatcher unter Einsatz des gesamten Staatsapparats inklusive der Armee die seinerzeit mächtige Bergarbeitergewerkschaft NUM, die eine Privatisierung der Kohleindustrie verhindern wollte. Thatcher hatte den Konflikt bewusst provoziert: Eine intakte Gewerkschaftsbewegung mit der NUM an der Spitze, das war ihr klar, würde ihre neoliberale Privatisierungspolitik nie hinnehmen.

Heute steht Tony Blair vor einer ähnlichen Herausforderung. Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Frühsommer 2001 haben sich viele Gewerkschaften auf Druck der Basis radikalisiert. Und viele der neuen Gewerkschaftsführer, die sich immer vehementer der neoliberalen Politik der Labour-Regierung widersetzen, sehen in der traditionell linken FBU ein Vorbild.

Schlechter Lohn, gefährliche Arbeit

Die FBU wusste sehr wohl, auf was sie sich einliess, als sie die scheinbar völlig überzogene Lohnforderung erhob. Vierzig Prozent mehr Lohn – einen solchen Einkommenszuwachs durften sich zwar die Unterhausabgeordneten erlauben, nicht aber die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Dabei konnte FBU-Generalsekretär Andy Gilchrist durchaus Argumente vorlegen. Seit dem letzten Streik der FBU im Jahre 1977 haben die britischen Feuerwehrleute erhebliche Lohneinbussen hinnehmen müssen. Ein voll ausgebildeter, erfahrener «fire fighter» verdient heute maximal 32.000 Euro im Jahr, das sind mindestens 10.000 Euro weniger, als Angehörige vergleichbarer Beschäftigungsgruppen erhalten, und weit weniger, als etwa ein Polizist verdient. Auch im internationalen Vergleich schneiden die Feuerwehrleute schlecht ab - sie arbeiten 42 Stunden in der Woche, erhalten keine Schichtzulagen, Überstunden werden nicht vergolten. Ihre Arbeitgeber – die Gemeinden – zeigten sich daher auch kompromissbereit. Sie boten im Juni sechzehn Prozent; dies wäre immerhin eine Verhandlungsgrundlage gewesen, sagt Mick Shergold, FBU-Sekretär im Bezirk London. Doch dann intervenierte die Zentralregierung; die Gemeindevertreter durften nur vier Prozent auf den Tisch legen.

Die Gespräche zogen sich hin. Im Spätsommer übernahm der für den öffentlichen Dienst zuständige Minister und stellvertretende Premier John Prescott das Kommando. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde aus einem simplen Lohnkonflikt eine politische Auseinandersetzung. Prescott, in dem viele einen Vertreter der Linken gesehen hatten, weil er aus der Gewerkschaftsbewegung gekommen war, drohte mit einem Streikverbot. Die rechten Medien verglichen den FBU-Vorsitzenden Gilchrist mit Arthur Scargill, dem Führer der Bergarbeiter im grossen Streik 1984/85, warfen den Feuerwehrleuten Raffgier vor und dekorierten ihre Berichte immer mit demselben Bild: Andy Gilchrist vor dem Che-Guevara-Poster in seinem Büro. Letzte Woche holte Prescott erneut aus: Er werde per Gesetz ein Lohndiktat durchsetzen, sagte er.

Wer ist schon gegen Modernisierung?

Um Lohn geht es aber schon lange nicht mehr. Die Labour-Regierung will auch bei der Feuerwehr durchsetzen, was sie «Modernisierung» nennt. Schon vor über einem Jahr hat Labour eine Expertenkommission unter Vorsitz von Sir George Bain eingesetzt. Die Bain-Kommission legte ihre Vorschläge zur Umstrukturierung der nationalen Feuerwehr im November vor. Sollte die FBU deren Vorschläge akzeptieren, wäre eine Lohnerhöhung von rund elf Prozent (verteilt auf zwei Jahre) möglich, liess Prescott die Öffentlichkeit wissen. Kein schlechtes Angebot, sollte man meinen, wer ist schon gegen eine Modernisierung der Feuerwehr? Doch die Vorschläge haben es in sich. Bisher hat nämlich vor allem die FBU Massnahmen zur Verbesserung und Professionalisierung des Brandschutzes ergriffen. Im Bemühen, ihre Mitglieder zu schützen und für deren Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen, hat die Gewerkschaft stets neue Ausbildungsprogramme gefordert und durchgesetzt, neue Geräte verlangt und erhalten, neue Erkenntnisse gesammelt und weitergegeben. Sie hat sich um Präventionsprogramme bemüht, Erfahrungen vermittelt, auf den Einsatz neuer Brandschutzmassnahmen gepocht – und war damit auch dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit entgegengekommen. Wenn sich jemand in den letzten Jahrzehnten für eine Modernisierung der Feuerwehr einsetzte, dann war es die FBU.

Die Regierungsvorschläge gehen dagegen in eine ganz andere Richtung. Labour ist wie die Konservativen überzeugt, dass der Privatsektor weitaus effizienter operiere als der öffentliche Dienst. Also müsse dieser Dienst auch in jenen Bereichen, die nicht sofort privatisiert werden können, nach marktwirtschaftlichen Kriterien strukturiert werden.

Deshalb schlägt die Bain-Kommission eine weitere Aufsplitterung des nationalen Feuerwehrwesens vor. Die lokalen Feuerwehren sollten – wie bereits Schulen und Krankenhäuser – als einzelne Einheiten und Kostenzentren geführt werden. Das Konzept sieht vor, Arbeitsabläufe zu standardisieren (damit punktuell billige Arbeitskräfte eingesetzt werden können), die Belegschaften abzubauen (rund 10.000 Feuerwehrleute erreichen in den nächsten drei Jahren das Pensionsalter), Brandwachen aufzulösen (150 Feuerwehrstationen könnten eingespart werden, heisst es aus Regierungskreisen).

Kostenintensive, aber nur langfristig wirksame Massnahmen etwa im Präventionsbereich bleiben auf der Strecke. Auch der Nachtdienst soll ausgedünnt werden. Nachts brenne es seltener, sagt die Regierung und verweist auf die Statistik. Sie ignoriert dabei die Tatsache, dass letztes Jahr über sechzig Prozent aller Brandopfer zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr früh starben. Professor Roger Seifert, Fachmann für «industrielle Beziehungen» an der Universität Keele, hält das Bain-Konzept für eine Katastrophe. Sollen künftig isoliert agierende, vom Erfahrungsschatz ihrer KollegInnen abgeschnittene Profis Feuer bekämpfen, unterstützt von unqualifizierten Teilzeitkräften und angeleitet von Top-Managern, die heute schon 250.000 Franken im Jahr erhalten? Seifert ist nicht der Einzige, der vermutet, dass Labour den gesamten Feuerwehr-Service marktreif schiessen will.

So hat die Bain-Kommission bereits eine Zusammenlegung aller Notrufzentralen vorgeschlagen: Ein privat betriebenes Callcenter könne diese Arbeit genauso gut erledigen. Auch das Konzept der Privaten Finanzierungsinitiative PFI (vgl. Randspalte) hat längst Einzug gehalten. So finanziert und wartet ein Privatunternehmen sämtliche Fahrzeuge der Londoner Feuerwehr. Ausserdem klopft Group 4 Falck, ein internationales Konsortium, das in Britannien unter anderem mehrere Gefängnisse und den Werkschutz für etliche Firmen betreibt, immer wieder an die Tür von Downing Street 10, dem Amtssitz von Premier Blair.

Die Heimatfront wankt

Dass das Konsortium dort Gehör findet, sollten die Feuerwehrleute ihren Kampf verlieren, ist ausgemachte Sache. Das zeigt schon die Tatsache, dass Labour just an Silvester, als alle mit anderem beschäftigt waren, einen ersten Vertrag mit einem angloamerikanischen Konsortium zur Übernahme des Londoner U-Bahn-Netzes unterzeichnete. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt – die Zerschlagung der unterfinanzierten U-Bahn in mehrere Teile wird von einer überwältigenden Mehrheit der Londoner Bevölkerung abgelehnt.

Sollte der Vertrag Bestand haben (Londons Oberbürgermeister Ken Livingstone hat letzte Woche dagegen Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht), werden Privatunternehmen die nächsten dreissig Jahre lang gegen eine horrende Nutzungsgebühr U-Bahnhöfe und Gleisanlagen betreiben dürfen. Das gleiche Konzept ist im Falle von Railtrack, dem privatisierten Netzbetreiber der britischen Eisenbahn, kläglich gescheitert. Nachdem Millionenbeträge in private Taschen geflossen waren, hat die Regierung das bankrotte Unternehmen retten müssen und wieder in die öffentliche Hand genommen.

Ein Nebeneffekt des neuen Deals: Für jede Störung des U-Bahn-Betriebs, für den sie selber nicht verantwortlich sind, könnten die Privaten demnächst andere haftbar machen. Als Verursacherin solcher Störungen dürfte bald auch die FBU gelten: Während der Streiks der Feuerwehrleute mussten in den vergangenen Wochen neunzehn U-Bahn-Stationen schliessen, weil sie so tief unter der Erde liegen, dass sie ohne den Bereitschaftsdienst professioneller Brandschützer als zu gefährlich gelten.

Auf diese Weise und mithilfe einiger kleiner Gesetzesänderungen könnte die Blair-Regierung die FBU in Schach halten – Thatcher hatte das bereits vorexerziert. Seit ihren Antigewerkschaftsgesetzen müssen die Trade Unions ein aufwendiges und langwieriges Prozedere durchlaufen, bevor sie einen Streik ausrufen dürfen. Wenn sie dieses nicht einhalten, kann sie jeder Unternehmer schadensersatzpflichtig machen. Dass die Labour-Führung vor Ähnlichem nicht zurückschreckt, hat sie in den letzten Wochen gezeigt. «Nicht einmal Thatcher hat so unverblümt mit einem Streikverbot gedroht», sagt Mick Shergold von der Londoner Feuerwehr.

Der Irak-Krieg könnte allerdings dazu führen, dass Blair eine schnelle Beilegung des Konflikts sucht. Bereits zu Beginn der Streiks im November hatte der Befehlshaber der britischen Streitkräfte erklärt, dass seine Truppen nicht an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen könnten: Beides – Feuer löschen und andernorts Krieg führen – sei nicht zu bewältigen. Für dieses Terminproblem könnten sie nichts, beteuert Feuerwehrmann Shergold, schliesslich hätten sie bereits im Mai ihre Forderung vorgelegt und auf zügige Verhandlungen gedrängt. Andererseits «haben wir als linke Gewerkschaft diesen Krieg stets abgelehnt» – wie schon den letzten Golfkrieg, gegen den die FBU damals als erste Trade Union mobilisierte. In die Patriotismusfalle lassen sich die FBU-Mitglieder jedenfalls nicht locken. (pw)


Teure Sparsamkeit: Milliarden für den Mittelweg

Erfunden haben sie zwar die Konservativen Anfang der neunziger Jahre, massenhaft eingesetzt wurde die Private Finanzierungsinitiative (PFI) aber erst von Tony Blairs Labour-Regierung.

Das PFI-Konzept besteht darin, dass der Staat den Bau und den Unterhalt öffentlicher Einrichtungen Privatunternehmen überlässt. Privatfirmen (meist Bauunternehmen und Banken) strecken das Geld vor, bauen Schulen, Spitäler, Strassen, Gefängnisse, Kasernen, Brücken, Finanzämter und sorgen für den Unterhalt; die Behörden zahlen ihnen dafür 25 oder 30 Jahre lang eine Nutzungsgebühr.

Der Staat, so begründeten die Tories ihre Initiative, sei nicht in der Lage, seine öffentlichen Einrichtungen auch nur annähernd so kostengünstig zu bauen und so effizient zu betreiben wie Privatunternehmen. Der Markt, so ihre These, sorge für bessere Bau-qualität und termingerechte Fertigstellung – kurzum: Private Investitionen seien «ihr Geld wert».

Heraus kam das Gegenteil. So erwies sich das erste PFI-Krankenhaus im Land, das neue Cumberland-Spital in Carlisle, schon kurz nach seiner Fertigstellung als unbenutzbar. Rohre platzten, Abwässer überschwemmten die Operations-säle, der Strom stieg aus, in mehreren Zimmern brach die Decke ein, Fenster flogen aus den Rahmen. In einem anderen Spital hatten die Privatinvestoren den Leichenraum vergessen. Nach einem im letzten Monat publizierten Untersuchungsbericht sind PFI-Schulen in jeder Hinsicht (Raumgrösse, Heizung, Licht, Akustik) «signifikant schlechter» als öffentlich finanzierte.

Und teurer sind sie auch noch. Nur kurzfristig scheint der Staat zu sparen. Da Private anfänglich die Summe aufbringen, tauchen die Investitionen nicht im Haushalt auf – ein Buchhaltungstrick. Mit PFI könnten viel mehr Projekte angegangen werden, argumentiert Labours Schatzkanzler Gordon Brown.

Schon in wenigen Jahren aber wird sich der Staat die Öffentlich-Private Partnerschaft (PPP) – wie PFI mittlerweile auch genannt wird – nicht mehr leisten können. Ein Beispiel: 1990 beantragte die Verwaltung des Walsgrave-Spitals in Coventry die Renovation des dreissig Jahre alten Krankenhauses. Doch die Regierung lehnte ab; die Kosten (50 Millionen Euro) könnten nicht getragen werden. 1997, unter Labour, beschloss die Nationale Gesundheitsbehörde jedoch den Neubau eines PFI-finanzierten Spitals (Investitionssumme: 287 Millionen Euro). Der neue Komplex ist schlecht zu erreichen und bietet viel weniger PatientInnen Platz als die drei Krankenhäuser, die er ersetzt. Dafür zahlt nun der Staat den Privatfinanziers 60 Millionen Euro im Jahr – und zwar 25 Jahre lang.

Dennoch will die Regierung an PFI (einem Kernstück von Blairs «Mittelweg») festhalten. Sie werde das Konzept ungeachtet des vom letzten Labour-Parteitag beschlossenen Moratoriums fortsetzen, erklärte ein Minister. Derzeit sind 500 PFI-Schulen in Bau oder in Planung. Auch die Londoner U-Bahn soll künftig auf PFI-Basis betrieben werden. (pw)