Deutschland: Kehrtwende Richtung Freihandel

Grüne wackeln beim Klimaschutz

16. Juli 2019 | Am heutigen Dienstag debattiert die Landtagsfraktion der Grünen über das klimafeindliche und konzernfreundliche EU-Kanada-Handelsabkommen CETA. Und gibt dem Drängen des Kapitals möglicherweise nach.

Die Aktion war von langer Hand vorbereitet. Ende Mai hatten sich – auf Initiative des Konstanzer Bündnisses für gerechten Welthandel – sieben lokale Initiativen und Bündnisse aus ganz Baden-Württemberg in Stuttgart zusammengesetzt und beraten, wie der Protest gegen das gefährliche Handelsabkommen CETA neue Fahrt aufnehmen kann. Beteiligt am Treffen waren VertreterInnen von Gruppen aus Heidelberg, Karlsruhe, Weissach (bei Suttgart), Offenburg, Freiburg, Stuttgart und Konstanz. Und dabei kam die Idee auf, dass man den Grünen im Land mal deutlich vor Augen führen müsse, wie unglaubwürdig ihre Hinhaltetaktik in Sachen Freihandel ist.

Landauf, landab erzählen nämlich grüne PolitikerInnen, dass man weiterhin an einer Ablehnung von CETA festhalte. Schließlich hatten die Delegierten auf dem Landesparteitag der Grünen Ende 2017 mit großer Mehrheit für einen Beschluss, der viele Gründe gegen CETA auflistete: Durch den Vertrag seien Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutzstandards gefährdet, bekämen internationale Unternehmen Sonderklagerechte, wäre die Daseinsvorsorge bedroht. Er schreibe Privatisierungen auf Dauer fest, beschleunigte die Tendenz hin zu noch größeren Agrarkonzernen (auf Kosten der kleinbäuerlichen Landwirtschaft) und untergrabe die Kompetenz demokratischer Institutionen – auch auf kommunaler Ebene. Und so steht am Schluss dieser zutreffenden Analyse: CETA «ist und bleibt nicht zustimmungsfähig. Dies muss weiterhin GRÜNE Haltung auf allen Entscheidungsebenen sein.» Dieser Beschluss gelte weiterhin, beteuerten beispielsweise die baden-württembergischen Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand bei einer Protestaktion anlässlich des Landesparteitags im Oktober 2018 in Konstanz, die das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel organisiert hatte.

Doch schon damals war erkennbar, dass der baden-württembergische Vorstand bereits nach Hintertüren suchte. Der Grund: Ministerpräsident Winfried Kretschmann – Chef der grün-schwarzen Landesregierung – ist ein entschiedener Befürworter des CETA-Vertrags. Und: Er ist nicht weisungsgebunden und kann – Parteitagsresolution hin, Basisentscheidungen her – nach Gutdünken handeln.

Auf ihn und sein Kabinett aber kommt es an, wenn im Bundesrat über CETA abgestimmt wird. Im Unterschied zu anderen – ähnlich verheerenden – Handelsverträgen, die die EU in letzter Zeit verhandelte oder vereinbaren will, muss das Kanada-Abkommen von allen Parlamenten der 28-EU-Staaten ratifiziert werden, darunter auch vom Bundesrat. Eine Zustimmung des Bundestags gilt aufgrund der freihandelsfreundlichen Haltung von Union, SPD und FDP als sicher. Im Bundesrat hingegen gibt es noch die Möglichkeit, den Vertrag zu kippen – sofern alle Landesregierungen mit grüner und linker Beteiligung CETA ablehnen (oder sich bei der Abstimmung enthalten, was einem «Nein» gleichkommt). Bisher galt als ausgemacht, dass sich Grüne wie Linke klar positionieren würden.

Allerdings deutet sich hier eine Kehrtwende an. So haben die hessischen Grünen nicht auf einem «Nein zu CETA» im Koalitionsvertrag mit der CDU bestanden, und auch die Grünen und Die Linke in Bremen (wo sie jetzt mit der SPD koalieren) sparten das brisante Thema aus. Es könnte also knapp werden. Schon länger zeichnet sich ab, dass sich die Grünen angesichts der national-protektionistischen Politik der US-Regierung der neoliberalen Freihandelsidee zuwenden, als gäbe es keine andere Alternative zu Donald Trumps Politik – etwa in Form fairer, ökologisch nachhaltiger und sozialer Handelsbeziehungen, auch mit dem Globalen Süden.

Bescheidenes Ergebnis

Und so versammelten sich am vergangenen Donnerstag mehrere Dutzend AktivistInnen auf dem Stuttgarter Rotebühlplatz in Sichtweite der grünen Landesgeschäftsstelle; mit dabei waren neben den lokalen globalisierungskritischen Bündnissen auch VertreterInnen des BUND, des Vereins Mehr Demokratie und der Grünen Jugend. Eine Delegation marschierte zudem in den vierten Stock des Gebäudes und legte dem Landesgeschäftsleiter der Grünen, Andreas Hamm, eine Resolution vor, in der unter anderem hervorgehoben wurde, dass durch CETA «der Investitionsschutz Vorrang vor dem Klimaschutz» erhalte, «der Handel mit klimaschädlichen Produktion gesteigert» werde, «das klimaschädliche Transportvolumen der globalen Warenströme» wachse und «die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt» würden.

Die Resonanz fiel eher bescheiden aus. Inhaltlich habe das Gespräch «leider wenig ergeben», sagt Ludwig Essig vom Greenteam Schwabenpower. Und so ist weiterhin offen, welchen Kurs die Grünen in Sachen CETA verfolgen: Die Basis ist mehrheitlich dagegen, die KarrieristInnen in der Partei – und dazu gehört wohl ein gut Teil der Fraktion – hingegen scheuen sich offenbar, ihrer Regierung in den Arm zu fallen (wie auch die hessischen Grünen, die auf einen eindringlichen Appell zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen nicht reagierten, und auch die Grünen und die Linken im Bremen, die einen Aufruf des bundesweiten Netzwerks Gerechter Welthandel ignorierten).

Doch die CETA-KritikerInnen lassen nicht locker. So schickte das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel im Vorfeld der heutigen Fraktionssitzung zum Kanada-Abkommen Nese Erikli (Konstanz) und Dorothea Wehinger (Singen) einen Offenen Brief. Darin wollte es von den beiden regionalen Landtagsabgeordneten wissen, wie sie «zur möglichen Missachtung des Parteitagsbeschlusses durch grüne Regierungsmitglieder unter Führung des Ministerpräsidenten» stehen. Denn durch eine Zustimmung zu CETA würden die Grünen «selbst die Axt an den Klimaschutz und eine künftige ökologische Politik legen». Eine Antwort steht noch aus.