Deutschland: Hundert Jahre Novemberrevolution 1918

Aufstand und Niederlage

5. Oktober 2018 | Die breite Soldaten- und ArbeiterInnenbewegung am Ende des Ersten Weltkriegs spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Aber immerhin haben mehrere Museen in Baden, Elsass und der Schweiz die Ereignisse vom Winter 1918/19 aufgegriffen – auch in Stockach.

Am deutlichsten hat es vielleicht der Soldaten- und Arbeiterrat von Durlach formuliert. «Endlich kommt die Stunde Euerer Abrechnung und Vergeltung», hatten Mitglieder der Rats der Arbeiterstadt Durlach (bei Karlsruhe) auf ein Plakat geschrieben. «Wie oft mussten wir Krieger im Felde das milit. Klassen-Kapitalisten-System verspüren, wie oft schworen wir: ‚Abrechnung nach dem Kriege'», hieß es da. «Kein Krieger, keine Kriegsfrau darf dulden, dass das alte System (mit ihm der Krieg) ihren Kinder[n] wieder ersteht», steht auf dem Plakat, das zur Wahl der verfassungsgebenden Versammlung der neuen Republik Baden (dem ersten Landtag) im Januar 1919 verklebt wurde und dessen Aufruf in der Parole mündete: «Wer fördert den Krieg? Der Kapitalismus!»

Durchgedrungen ist diese Erkenntnis bekanntlich kaum. Im vorwiegend kleinbürgerlichen und bäuerlichen Baden bekam die katholische Zentrumspartei bei der Wahl am 15. Januar mit 36,6 Prozent die meisten Stimmen; auf Platz 2 und 3 folgten die Mehrheitssozialdemokraten (32 Prozent) und die liberale Demokratische Partei (22,8 Prozent). Die linke USPD erhielt gerade mal 1,5 Prozent.

Damit war fast schon vorbei, was sich im November 1918 mit großem Elan Bahn gebrochen hatte: Matrosen revoltierten in Wilhelmshaven und Kiel; Hunderttausende verließen die Fabriken und Kasernen; überall entstanden Soldaten- und Arbeiterräte (auch in Konstanz und Stockach); in Berlin, München und anderswo wurden am 9. November die Republik beziehungsweise (von Karl Liebknecht in Berlin) die sozialistische Republik ausgerufen; der Kaiser verschwand von der Bildfläche – später auch der badische Großherzog Friedrich II., der ins Hegauer Schloß Langenstein geflohen war, wo er am 22. November abdankte (aber alle Ländereien behalten durfte): Es gärte im Land, Revolution war angesagt, die alte Macht taumelte, in München gründeten Kurt Eisner und Genossen den Freistaat Bayern, auch in Bremen entstand eine Räterepublik …

Sozialdemokratischer Staatsterrorismus

Eine politische Neuordnung war unvermeidlich. Die Monarchie hatte abgewirtschaftet, an ihre Stelle traten die Republik und das allgemeine Wahlrecht, die Kapitalisten gestanden den Achtstundentag zu und akzeptierten Betriebsräte mit beschränkter Kompetenz. Doch die von den DurlacherInnen (und anderen) erhoffte gesellschaftliche und wirtschaftliche Neugestaltung blieb aus – auch dank der SPD, die sich nach der Bewilligung der Kriegskredite 1914 einen zweiten Sündenfall leistete, der zu einer dauerhaften Spaltung der Arbeiterbewegung führen sollte.

Ihr Vorsitzender Friedrich Ebert, dem die Regierungsgeschäfte übertragen worden waren, schlug sich ohne große Not (und nur aus Angst vor einer Wiederholung der russischen Oktoberrevolution) auf die Seite jener, die vom alten System so viel wie möglich erhalten wollten. Die SPD ging ein Bündnis mit den abgehalfterten Militärs, den neu entstandenen rechtsradikalen Freikorps, der alten Elite und deren Beamtenapparat ein.

Als sich radikalere Teile der ArbeiterInnenbewegung widersetzten, weiterhin eine sozialistische Räterepublik und die Sozialisierung der Produktionsmittel forderten, Massenversammlungen organisierten, revolutionäre Matrosen zu Weihnachten den Befehl zum Rückzug aus Berlin verweigerten, sich zum Jahreswechsel 1918/19 die KPD gründete und im Januar 1919 der sogenannte Spartakusaufstand ausbrach, ließ die sozialdemokratisch geführte Regierung ihren Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) zu staatsterroristischen Maßnahmen greifen und auf ArbeiterInnen schießen. Der konterrevolutionären Hetze («Schlagt ihre Führer tot. Tötet Liebknecht», hieß es auf Plakaten) stand der reformistische Flügel der Sozialdemokratie kaum nach: Das sozialdemokratische Zentralorgan «Vorwärts» veröffentlichte kaum verklausulierte Mordaufrufe gegen Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die Täter fanden sich schnell.

Friedliches Baden?

Im Badischen ging es vergleichsweise gemächlich zu. Das jedenfalls legen Ausstellungen des Netzwerks Museen nahe, zu dem sich dreißig Museen im Dreiländereck Baden, Elsass und Nordwestschweiz zusammengeschlossen haben. Von Bern bis Frankfurt, von Strassbourg bis Stockach zeigen sie unter dem gemeinsamen Motto «Zeitenwende 1918/1919» Ausstellungen zum Krieg, zur Not der Bevölkerung, zum Übergang in die parlamentarische Demokratie, zum Frauenwahlrecht, zu einzelnen Figuren der damaligen Ereignisse – und zur Revolution.

Aufschlussreich – aber leider nicht mehr lange zugänglich – ist die Sonderausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe. Welche Zutaten braucht es für eine Revolution? Wann brechen Erhebungen aus? Welchen Verlauf nehmen sie? Wer sind die AkteurInnen? Wie wurden jeweils die Botschaften kommuniziert? Und was blieb übrig? «Revolution! Für Anfänger*innen», so der Titel, bietet neben viele Anregungen und Informationen zur Amerikanischen und Französischen Revolution, zu 1848 und 1918, zu den Umstürzen in China (1945-49), auf Kuba (1959) oder in Tunesien (2010/11) viele interessante Exponante – wie etwa das oben erwähnte Plakat des Durlacher Arbeiter- und Soldatenrats. Oder den – ebenfalls in Posterform erhaltenen – Aufruf des Revolutionären Rats von Mannheim. Der verhängte unter dem Eindruck der vielen Hunderten von Toten, die der weiße Terror bis dahin gefordert hatte, und nach dem Mord an Eisner in München (am 21. Februar) das Standrecht. Und erklärte am 23. Februar 1919: «Von heute an ist der Revolutionäre Arbeiter-Rat die höchste Behörde der Stadt Mannheim.» Denn «die Errungenschaften der Revolution sind in Gefahr. Man will die Revolution töten, indem man die Führer tötet. Die letzten Ereignisse in München beweisen es.»

Umgekommen ist im Südwesten aber niemand, wenn man der Ausstellung glauben darf: «Die Revolution 1918 ging in Karlsruhe weitgehend friedlich vor sich. Nur am 11. November kam es zu einem Zwischenfall, als der Matrose Heinrich Klumpp mit einem Trupp Soldaten abends vor das Schloss zog, um den Großherzog zu sprechen. Es folgte eine Schießerei, und die großherzogliche Familie verließ in Panik das Schloss.» Getroffen wurde offenbar nur ein Gemälde.

Bauernrat mit Bürgermeistern

Am westlichen Bodensee genügten Drohungen der Staatsgewalt. In Stockach zum Beispiel waren am 12. November rund 300 ArbeiterInnen der Maschinenfabrik Fahr und der Textilfirma Schießer mit einer roten Fahne zum Marktplatz in der Oberstadt gezogen, wo sie einen Arbeiterrat wählten. Das achtköpfige Gremium setzte sich jedoch nicht nur aus Lohnabhängigen zusammen – auch ein Käsereibesitzer gehörte ihm an, ebenso ein Oberjustizsekretär, ein Verwaltungssekretär und ein selbständiger Fotograf. Wenig revolutionär auch der zwei Tage später gebildete Bauernrat: Zwei der vier Delegierten waren die Bürgermeister von Orsingen und Stahringen.

Entsprechend bieder fiel der Aufruf der in einem politischen Vakuum entstandenen Räte aus: Er beschränkte sich auf die Aufforderung, Ruhe und Ordnung zu bewahren. Einige Tage später kam es zu einer Massenveranstaltung mit Karl Großhans, SPD-Mitglied und Vorsitzender des Konstanzer Arbeiter- und Soldatenrats. Bei der «gewaltig besuchten Versammlung» verfolgten die Menschen «mit größter Aufmerksamkeit den oftmals von Beifall unterstützten Vortrag des gewandten und schon längst als gemäßigter Redner bekannten Herrn» (so das «Stockacher Tagblatt»).

So gesehen klingt der Titel der Sonderausstellung «Erster Weltkrieg, Revolution und Neubeginn. Stockach im Umbruch 1917-1923» etwas übertrieben. Wo war da die Revolution? Dennoch empfiehlt sich ein Besuch des Stockacher Stadtmuseums. Denn es blieb nicht immer ruhig. So kam es angesichts der anhaltenden Not im Juni 1919 zu Arbeiterunruhen. Die USPD – sie war in Stockach bis dahin nicht in Erscheinung getreten – organisierte eine Protestversammlung «gegen Schwindel, Willkür und Gewaltherrschaft», die in einer Wirtshausschlägerei zwischen SPD- und USPD-Mitgliedern mündete. Am folgenden Tag marschierten rund 270 Fahr-ArbeiterInnen (wieder mit roter Fahne) zum Rathaus und verlangten den Rücktritt des Oberamtmanns, dem sie die Missstände bei der Versorgung der Bevölkerung anlasteten. Ruhe kehrte erst ein, nachdem die Regierung eine Freikorps-Kompanie mit Maschinengewehren entsandt hatte.

Im August 1920 revoltierten die Stockacher Belegschaften erneut: Sie warfen den lokalen Händlern übertrieben hohe Preise vor, plünderten Geschäfte und setzten ihre Forderungen teilweise durch. Doch da gab es den Stockacher Arbeiter- und Soldatenrat schon lange nicht mehr. (pw)


PS: In seiner exzellenten Darstellung der Revolutionszeit («1918/19 – eine deutsche Revolution») schreibt Sebastian Haffner: «Von Januar bis Mai 1919, mit Ausläufern bis in den Hochsommer hinein, tobte in Deutschland ein blutiger Bürgerkrieg, der Tausende von Todesopfern und unsägliche Bitterkeit hinterließ.

Dieser Bürgerkrieg stellte die Weichen für die unselige Geschichte der Weimarer Republik, die aus ihm geboren, und die Entstehung des Dritten Reichs, das in ihm gezeugt wurde. Denn er machte die Spaltung der alten Sozialdemokratie unheilbar, beraubte der übriggebliebenen Rumpf-SPD aller künftigen Bündnismöglichkeiten auf der Linken und zwang sie in eine Position der ewigen Minderheit; und er erzeugte in den Freikorps, die ihn [den Krieg] für die SPD-Regierung führten und gewannen, die Gesinnungen und Gewohnheiten der späteren SA und SS, die vielfach aus ihnen hervorgegangen sind.»

«Revolution! Für Anfänger*innen». Badisches Landesmuseum Karlsruhe, im Schloss. Bis 11. November 2018.

«Erster Weltkrieg, Revolution und Neubeginn. Stockach im Umbruch 1917-1923». Stadtmuseum Stockach. Bis 31. Dezember 2018.

Über die Ereignisse der Revolu-tionsjahre 1918 und 1919 im östlichen Bodenseeraum berichtet Karl (Charly) Schweizer auf einer Veranstaltung des Vereins seemoz e.v. am Freitag, 9. November, 19.30 Uhr, im Treffpunkt Petershausen, Georg-Elser-Platz 1, Konstanz.